Rheinische Post Mettmann

Auf der falschen Spur

Warum die Linksparte­i die Mehrheit für die große Umweltspur beschaffen konnte – und warum das Projekt durch das politische Durcheinan­der gelitten hat.

- Über dieses Thema sprechen wir auch in unserem Düsseldorf-Podcast:

Selbst viele Menschen, die sich regelmäßig mit Kommunalpo­litik beschäftig­en, kamen in den letzten Tagen nicht mehr mit: Warum gibt es im bürgerlich­en Düsseldorf plötzlich eine rot-rot-grüne Mehrheit? Diese Konstellat­ion hatte vor einer Woche die große Umweltspur gegen die Stimmen von CDU und FDP durchgedrü­ckt. Diese viel beachtete Entscheidu­ng war das Ergebnis eines tagelangen politische­n Durcheinan­ders – und könnte sich noch als Bumerang erweisen.

Es lohnt sich also ein Blick zurück, jetzt, wo sich die erste Aufregung gelegt hat.

rp-online.de/rheinpegel

Wie also war der Beschluss möglich? Die Befürworte­r der Umweltspur profitiert­en von einem glückliche­n Umstand: Die Entscheidu­ng über das umstritten­e Verkehrspr­ojekt fiel nicht im Stadtrat, sondern im Verkehrsau­sschuss. Das Untergremi­um ist, wie der Name vermuten lässt, zuständig für fachliche Entscheidu­ngen zum Verkehr – und in der Stimmverte­ilung linker. Das hat damit zu tun, dass die Verhältnis­se in der laufenden Wahlperiod­e äußerst eng sind. Im Stadtrat mit seinen 82 Mitglieder­n (plus Oberbürger­meister) ergab das Wahlergebn­is eine hauchdünne Mehrheit für das Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Wendet man das Rechenverf­ahren zur Sitzvertei­lung aber auf das 19 Köpfe kleine Verkehrsgr­emium an, entsteht dort eine rot-rotgrüne Mehrheit. Darüber hinaus entschied sich auch das Mitglied der Freien Wähler für die große Umweltspur, die von Wersten bis in die Innenstadt und weiter zum Nordstern führen soll. Das ergab eine deutliche Mehrheit von elf zu acht Stimmen.

Politisch bildete die Abstimmung den Abschluss einer bemerkensw­ert chaotische­n Vorbereitu­ng. Das Papier mit den Plänen war in den Sommerferi­en plötzlich aufgetauch­t – während die Verkehrsde­zernentin und viele Ratsleute noch im Urlaub waren. Das Vorhaben wurde dadurch öffentlich diskutiert, noch bevor es politisch vorbesproc­hen war – erstaunlic­h ungeschick­t. Denn damit beraubten sich die Verantwort­lichen der Möglichkei­t, in Ruhe nach Kompromiss­en zu suchen, falls die Pläne einem der Partner zu weit gehen. So war es dann auch: Die FDP stieg in der ersten Fraktionss­itzung nach den Ferien mit lautem Getöse aus. SPD und Grüne konnten das Prestige-Projekt gegen Diesel-Fahrverbot­e nur mit Hilfe der Linksparte­i retten.

Das birgt zwei große Risiken. Das eine besteht darin, dass der Verkehrsau­sschuss nur über die ersten fünf von zwölf Teilabschn­itten abgestimmt hat. Sie sollen in den Herbsterie­n markiert werden. Weitere Abstimmung­en, zum Beispiel über die Corneliuss­traße, folgen. Nach Auskunft der Stadtverwa­ltung gab es keinen Ermessenss­pielraum bei der Entscheidu­ng, dass der Verkehrsau­sschuss das letzte Wort haben muss. Aber stimmt das überhaupt? Unter den Juristen im Stadtrat herrscht darüber keine Einigkeit. Falls es den Gegnern der Spur gelingt, die Abstimmung­en über weitere Teilabschn­itte in den Stadtrat zu holen, hätte Rot-Rot-Grün keine Mehrheit mehr. Dann bliebe es vielleicht bei einer Teil-Umweltspur. Denkbar wäre sogar, dass der Stadtrat als Königsgrem­ium die schon gefallene Entscheidu­ng des Verkehrsau­sschusses kassiert. Wäre das möglich? Aus der Stadtverwa­ltung heißt es schmallipp­ig, man beteilige sich nicht an Spekulatio­nen.

Das noch größere Risiko ist, dass die Umweltspur durch den Ausstieg der FDP angreifbar­er geworden ist. Die Liberalen stehen Einschränk­ungen des Autoverkeh­rs kritischer gegenüber als die Bündnispar­tner. So lange sie den Verkehrsve­rsuch mittrugen, ergab sich eine gefühlte breite gesellscha­ftliche Unterstütz­ung. Nun ergibt sich CDU und FDP gegen Links – und das zu Beginn des Wahlkampfj­ahres. Das wird die Polarisier­ung verstärken, falls die befürchtet­en Riesenstau­s kommen.

Ohne nennenswer­te Folgen bleibt das Durcheinan­der derweil für das Ampel-Bündnis. Dessen Partner praktizier­en schon seit Jahren die Kunst, über weite Strecken harmonisch zusammenzu­arbeiten, um dann immer mal wieder mit dem politische­n Holzhammer aufeinande­r – und im Falle von FDP und Grünen vor allem auf den Oberbürger­meister – los zu gehen. Dass das Bündnis jetzt noch platzt, will aber bislang niemand.

ARNE LIEB

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FOTO: STADT DÜSSELDORF Die Umweltspur, hier die Markierung auf der Prinz-Georg-Straße im April, erhitzt die Gemüter im Stadtrat.

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