Auf der falschen Spur
Warum die Linkspartei die Mehrheit für die große Umweltspur beschaffen konnte – und warum das Projekt durch das politische Durcheinander gelitten hat.
Selbst viele Menschen, die sich regelmäßig mit Kommunalpolitik beschäftigen, kamen in den letzten Tagen nicht mehr mit: Warum gibt es im bürgerlichen Düsseldorf plötzlich eine rot-rot-grüne Mehrheit? Diese Konstellation hatte vor einer Woche die große Umweltspur gegen die Stimmen von CDU und FDP durchgedrückt. Diese viel beachtete Entscheidung war das Ergebnis eines tagelangen politischen Durcheinanders – und könnte sich noch als Bumerang erweisen.
Es lohnt sich also ein Blick zurück, jetzt, wo sich die erste Aufregung gelegt hat.
rp-online.de/rheinpegel
Wie also war der Beschluss möglich? Die Befürworter der Umweltspur profitierten von einem glücklichen Umstand: Die Entscheidung über das umstrittene Verkehrsprojekt fiel nicht im Stadtrat, sondern im Verkehrsausschuss. Das Untergremium ist, wie der Name vermuten lässt, zuständig für fachliche Entscheidungen zum Verkehr – und in der Stimmverteilung linker. Das hat damit zu tun, dass die Verhältnisse in der laufenden Wahlperiode äußerst eng sind. Im Stadtrat mit seinen 82 Mitgliedern (plus Oberbürgermeister) ergab das Wahlergebnis eine hauchdünne Mehrheit für das Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Wendet man das Rechenverfahren zur Sitzverteilung aber auf das 19 Köpfe kleine Verkehrsgremium an, entsteht dort eine rot-rotgrüne Mehrheit. Darüber hinaus entschied sich auch das Mitglied der Freien Wähler für die große Umweltspur, die von Wersten bis in die Innenstadt und weiter zum Nordstern führen soll. Das ergab eine deutliche Mehrheit von elf zu acht Stimmen.
Politisch bildete die Abstimmung den Abschluss einer bemerkenswert chaotischen Vorbereitung. Das Papier mit den Plänen war in den Sommerferien plötzlich aufgetaucht – während die Verkehrsdezernentin und viele Ratsleute noch im Urlaub waren. Das Vorhaben wurde dadurch öffentlich diskutiert, noch bevor es politisch vorbesprochen war – erstaunlich ungeschickt. Denn damit beraubten sich die Verantwortlichen der Möglichkeit, in Ruhe nach Kompromissen zu suchen, falls die Pläne einem der Partner zu weit gehen. So war es dann auch: Die FDP stieg in der ersten Fraktionssitzung nach den Ferien mit lautem Getöse aus. SPD und Grüne konnten das Prestige-Projekt gegen Diesel-Fahrverbote nur mit Hilfe der Linkspartei retten.
Das birgt zwei große Risiken. Das eine besteht darin, dass der Verkehrsausschuss nur über die ersten fünf von zwölf Teilabschnitten abgestimmt hat. Sie sollen in den Herbsterien markiert werden. Weitere Abstimmungen, zum Beispiel über die Corneliusstraße, folgen. Nach Auskunft der Stadtverwaltung gab es keinen Ermessensspielraum bei der Entscheidung, dass der Verkehrsausschuss das letzte Wort haben muss. Aber stimmt das überhaupt? Unter den Juristen im Stadtrat herrscht darüber keine Einigkeit. Falls es den Gegnern der Spur gelingt, die Abstimmungen über weitere Teilabschnitte in den Stadtrat zu holen, hätte Rot-Rot-Grün keine Mehrheit mehr. Dann bliebe es vielleicht bei einer Teil-Umweltspur. Denkbar wäre sogar, dass der Stadtrat als Königsgremium die schon gefallene Entscheidung des Verkehrsausschusses kassiert. Wäre das möglich? Aus der Stadtverwaltung heißt es schmallippig, man beteilige sich nicht an Spekulationen.
Das noch größere Risiko ist, dass die Umweltspur durch den Ausstieg der FDP angreifbarer geworden ist. Die Liberalen stehen Einschränkungen des Autoverkehrs kritischer gegenüber als die Bündnispartner. So lange sie den Verkehrsversuch mittrugen, ergab sich eine gefühlte breite gesellschaftliche Unterstützung. Nun ergibt sich CDU und FDP gegen Links – und das zu Beginn des Wahlkampfjahres. Das wird die Polarisierung verstärken, falls die befürchteten Riesenstaus kommen.
Ohne nennenswerte Folgen bleibt das Durcheinander derweil für das Ampel-Bündnis. Dessen Partner praktizieren schon seit Jahren die Kunst, über weite Strecken harmonisch zusammenzuarbeiten, um dann immer mal wieder mit dem politischen Holzhammer aufeinander – und im Falle von FDP und Grünen vor allem auf den Oberbürgermeister – los zu gehen. Dass das Bündnis jetzt noch platzt, will aber bislang niemand.
ARNE LIEB