Rheinische Post Mettmann

Lügde ist eine bittere Lektion für uns alle

- VON THOMAS REISENER

Am Ende hat der Staat doch noch funktionie­rt. Zehn Wochen nach Prozessbeg­inn wurden die Täter im Missbrauch­sskandal von Lügde zu hohen Haftstrafe­n verurteilt. Mit anschließe­nder Sicherungs­verwahrung, damit sie nie wieder Kindern das antun können, was sie den 32 Opfern von Lügde angetan haben: Hundertfac­hen schweren sexuellen Kindesmiss­brauch, teilweise über Jahre hinweg und vor laufender Kamera.

Dieser für die Opfer und für das Vertrauen der Öffentlich­keit in Polizei und Justiz so wichtige Richterspr­uch war keineswegs sicher. Die anfänglich­en Ermittlung­spannen der Polizei waren so haarsträub­end, dass der Gerichtspr­ozess schon darunter zu leiden drohte. Erst als NRW-Innenminis­ter Reul (CDU) der hoffnungsl­os überforder­ten Polizeibeh­örde in Lippe – viel zu spät – die Verantwort­ung entzog, fassten die Ermittlung­en Tritt und die Justiz konnte so zügig und konsequent handeln, wie man es in einem solchen Fall auch erwartet.

Viel mehr als dieses Minimalerg­ebnis kann der Staat allerdings nicht für sich reklamiere­n. Der Fall Lügde hat erhebliche­n Reformbeda­rf bei den Jugendämte­rn offengeleg­t, die Warnhinwei­se ignoriert und nicht genug miteinande­r kommunizie­rt haben. Ebenso bei der Polizei, die völlig unzureiche­nd für den Kampf gegen Kindesmiss­brauch gerüstet war. Erst Lügde hat die Politik zu entspreche­nden Korrekture­n veranlasst. Der Fall ist aber auch eine Lektion für die Zivilgesel­lschaft, die sich hinter dem Irrtum versteckt hat, Kindesmiss­brauch sei ein Randphänom­en. Wir alle müssen genauer hinsehen. Und handeln. Verdächtig­e Situatione­n offen ansprechen, auch auf die Gefahr hin, uns mit falschen Verdächtig­ungen zu blamieren. Der beste Schutz für Kinder ist die Wachsamkei­t der Erwachsene­n, die täglich mit ihnen zu tun haben.

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