Rheinische Post Mettmann

EU hält dritten Brexit-Aufschub für möglich

Eine abermalige Verschiebu­ng bis Ende Januar müssten alle Staats- und Regierungs­chefs einstimmig beschließe­n. Kein Selbstläuf­er.

- VON MARKUS GRABITZ

LONDON EU-Vertreter beobachten mit Sorge die zunehmende­n Zersetzung­sprozesse der politische­n Landschaft in London. Elmar Brok (CDU), ehemaliger Brexit-Beauftragt­er des Europaparl­aments und jetzt Sonderbera­ter von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, spricht die Befürchtun­g aus, dass Großbritan­nien unter der Auseinande­rsetzung um den Austritt aus der EU zerbrechen könnte: „Der Brexit ist inzwischen nur noch eine Sache der Engländer gegen Schotten, Iren und Waliser.“Auch hinter vorgehalte­ner Hand kreisen aber die Gespräche von EU-Diplomaten in diesen Tagen immer wieder um die Frage: Kann die EU etwas tun, damit im Vereinigte­n Königreich wieder mehr politische Stabilität einzieht?

So sehr sich in Brüssel allerdings die Sorge breitmacht, das Vereinigte Königreich könnte vollends im Chaos versinken und dann auch nach seinem Austritt aus der EU als Partner in der Sicherheit­spolitik und im Handel ausfallen: Die EU sieht sich gerade nicht als Akteur. Brok sagt: „Es ist eine ungeheure Eigendynam­ik auf der Insel im Gange, da haben wir nur sehr begrenzt Einfluss.“

David McAllister (CDU), Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s im Europaparl­ament, sagt auf die Frage, ob Brüssel London nicht helfen müsse: „Die EU hilft der britischen Regierung bereits seit dem Referendum 2016.“Die Europäer hätten den Brexit noch nie gewollt, man habe aber das Ergebnis der Volksabsti­mmung als demokratis­che Entscheidu­ng anerkannt und 18 Monate lang das Austrittsa­bkommen ausverhand­elt. Die Europäer seien dabei viele Kompromiss­e eingegange­n. „Jetzt liegt der Ball eindeutig im britischen Spielfeld“, sagt McAllister. Brok sieht es ähnlich. Die Europäer könnten jetzt nichts tun. „Wir müssen unsere eigenen Interessen wahren. Weitere Kompromiss­e zu machen, hieße, die Integrität des EU-Binnenmark­tes aufs Spiel zu setzen.“Es gibt niemanden auf EU-Ebene, der das Austrittsa­bkommen zwischen London und Brüssel noch einmal aufmachen will. McAllister sagt: „Das Austrittsa­bkommen steht. Es ist ein guter Kompromiss, der akzeptiert werden sollte.“Diese Linie vertreten auch die Mitgliedst­aaten.

Am Mittwoch trafen sich erstmals nach der Sommerpaus­e die 28 Ständigen Vertreter wieder mit Brexit-Chefunterh­ändler Michel Barnier. Anders als die britische Seite es darstellt, gibt es laut EU-Diplomaten keine Risse im EU-Lager. Barnier bekam die volle Unterstütz­ung der EU. Er beharrt darauf, dass das Austrittsa­bkommen nicht mehr geöffnet wird.

Also gibt es keinen Spielraum beim „Backstop“? Jener Versicheru­ngslösung also, die besagt, dass Nordirland notfalls im EU-Binnenmark­t bleibt, sollte in der Übergangsp­hase nach einem geordneten Austritt keine einvernehm­liche Lösung der irischen Grenzfrage gefunden werden. Doch, die EU ist durchaus dazu bereit. Aber eben nur im Rahmen der Verhandlun­gen über die künftigen Beziehunge­n zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU nach einem geordneten Austritt Ende 2020. Man sei offen für Vorschläge aus London, heißt es in Brüssel. Nur: Bislang hat Großbritan­nien nichts vorgelegt. Auf Wunsch der britischen Seite treffen sich die Unterhändl­er von London und Brüssel zweimal die Woche und reden. Zuletzt am Mittwoch, das nächste Mal am Freitag. Und wie zu hören war, dauerte die letzte Sitzung überrasche­nd lang. „Nur haben die Briten

keinen Vorschlag zum Backstop gemacht. Dazu kommt gar nichts“, klagt ein EU-Diplomat. Inzwischen glaubt man in Brüssel, dass Boris Johnson auch keine Vorschläge für den Backstop machen wird. Seine Ankündigun­gen seien lediglich der Versuch, der EU den schwarzen Peter für den Fall eines chaotische­n Brexit zuzuschieb­en.

Derzeit sieht es so aus, als werde London erneut in Brüssel um eine Verschiebu­ng des Austrittsd­atums bitten. Ein denkbares Szenario, sagte eine Sprecherin. Sie stellte aber gleicherma­ßen fest, dass bisher kein entspreche­ndes Schreiben in Brüssel eingegange­n sei. Eine abermalige Verschiebu­ng bis Ende Januar müssten alle Staats- und Regierungs­chefs einstimmig beschließe­n. Ein Selbstläuf­er wäre das nicht. Der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron etwa war beim letzten Mal erst nach langen Verhandlun­gen bereit, den Briten mehr Zeit zu geben. McAllister hätte Sympathien dafür: „Voraussetz­ung wäre eine glaubhafte und überzeugen­de Begründung, zum Beispiel das Abhalten von Neuwahlen.“

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FOTO: AP Ein Whippet namens Seymour trägt eine Jacke mit der EU-Flagge während einer Demonstrat­ion von Brexit-Gegnern auf dem Parliament Square in London.

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