Rheinische Post Mettmann

Abtauchen in Eller

Der Kulturbahn­hof zeigt eine sehenswert­e Installati­on der Lüpertz-Schülerin Julia Sossinka. Ihr Titel ist treffend gewählt.

- VON CLEMENS HENLE

Die Stoffobjek­te werfen Schatten auf die meterhohen Wände des verdunkelt­en Wartesaals. Wie überdimens­ionierte, bunte Korallen hängen die textilen Objekte an feinen Fäden von den Balken des Dachstuhls. Im Hintergrun­d läuft leise Musik, und über die Wände flimmert ein Video. Auf dem Boden der 140 Quadratmet­er großen Halle des ehemaligen Bahnhofsge­bäudes in Eller liegen Sitzkissen. Diese immersive Installati­on ist die Arbeit von Julia Sossinka und hat den passenden Titel „Abtauchen“.

Der Betrachter des Werks soll hinübertre­ten in eine

andere Sphäre

Im Rahmen des Sommeratel­iers des Kulturbahn­hofs Eller hat sie in den vergangene­n zwei Monaten den Raum mit ihrer Installati­on gestaltet. „Dieser Raum mit seinen hohen Wänden ist ein traumhafte­s Atelier“, sagt Sossinka. Die Berlinerin hat in der Abgeschied­enheit des Bahnhofs zum ersten Mal mit textilen Werkstoffe­n und Videoproje­ktionen gearbeitet. „In solch einer Künstlerre­sidenz entwickelt sich bei mir immer viel Neues, weil man sehr konzentrie­rt arbeiten kann und sich um nichts anderes kümmern muss“, sagt Sossinka. In „Abtauchen“verfolgt die Lüpertz-Schülerin ihre Idee von raumgreife­nden Installati­onen. Denn sie will, dass der Betrachter ins Licht- und Farbenspie­l der Arbeit eintaucht und sich dadurch in andere Sphären bewegt. Unterstütz­t wird das durch ein Zusammensp­iel von Licht, Projektion­en, Klang und Musik.

Während des Studiums bei Markus Lüpertz an der Kunstakade­mie Düsseldorf lag Sossinkas künstleris­cher Fokus noch ganz auf der Malerei. Nach ihrem Abschluss mit Meisterbri­ef bewegte sich die gebürtige Hattingeri­n aber immer mehr in den Raum. Von Collagen über Assemblage­n bis hin zu großformat­igen Installati­onen, die den kompletten Ausstellun­gsraum bespielen, reichte ihr künstleris­cher Entwicklun­gsprozess. Seit sieben Jahren lebt Julia Sossinka nun schon in Berlin.

Dort nahm sie unter anderem am Festival „48 Stunden Neukölln“teil, zu dem sie eine Installati­on im Neuköllner Körnerpark aufbaute. In ihrer ehemaligen Heimat stellte die Künstlerin erst kürzlich auf einer Gruppenaus­stellung im Heerdter Projektrau­m „Neues aus dem Wald“aus. Thema hier war der Kampf um den Erhalt des Hambacher Waldes.

„Für mich sind meine installati­ven Arbeiten Zeichnunge­n im Raum“, sagt Julia Sossinka. So schuf sie im Jahr 2015 in einer zweiwöchig­en Arbeitspha­se eine riesiges, abstraktes Spinnennet­z für die Kunstkirch­e Christ König in Bochum. Durch den ganzen Kirchenrau­m zog sich eine Installati­on aus Erntegarn – ein Gewebe, das sonst zum Bündeln von Stroh oder Heu genutzt wird. Auch hier konnte der Betrachter in die Arbeit eintauchen, denn der Kirchgang in der Mitte blieb als Durchgang frei.

Trotz dieser großen und immersiven Installati­onen ist Sossinka auch immer noch Malerin. Das zeigt sie im Kulturbahn­hof in einem kleineren, der Wartehalle vorgelager­tem Raum. Sehr farbenfroh­e und stark abstrahier­te Landschaft­sbilder hängen dort. Durch den dicken Farbauftra­g bekommen diese Bilder eine eindrucksv­olle, fast dreidimens­ionale Struktur. Zentimeter­weit steht die Ölfarbe ab. Dieser Effekt wird durch den späteren Auftrag einer Kontrastfa­rbe noch verstärkt. Mit gestischen Pinselstri­chen sucht Sossinka in ihrer Malerei nach einer eigenen, malerische­n Sprache. Durch farbenfroh­e Wiederholu­ngen des Pinselstri­ches ergeben sich Bilder, die in ihrer Farbgebung an spätsommer­liche Landschaft­en erinnern, in der Formenspra­che aber ein vollkommen abstraktes Bild darstellen.

Mit derselben Herangehen­sweise hat Sossinka auch die Stoffobjek­te im Wartesaal gemacht. „Ich habe mich von Naturforme­n inspiriere­n lassen und diese dann aus mir heraus auf den Stoff gemalt“, sagt die 36-Jährige. Danach schnitt sie die an Korallen erinnernde­n Formen aus, stopfte sie mit Holzwolle und klebte sie zusammen. In jedem Objekt steckt echte Handarbeit, keines gleicht dem anderen, und in der schieren Menge an diesen textilen Objekten steckt ein ungeheures Maß an Fleiß.

Im Zusammensp­iel mit der Musik, dem verdunkelt­en Raum und den Videoproje­ktionen wird daraus eine wirklich sehenswert­e, raumgreife­nde Installati­on.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Julia Sossinka vor ihrer Arbeit „Abtauchen“im Kulturbahn­hof Eller.

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