Rheinische Post Mettmann

Zwischen Touchdown und Theologie

Nils Müller ist TV-Experte für American Football und angehender Pfarrer. Das sei kein Gegensatz, sagt der Recklinghä­user.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RECKLINGHA­USEN Mit der Berechenba­rkeit des Sports ist das so eine Sache. Der Sport selbst versucht, über seine prominente­n Vertreter immer wieder glaubhaft zu versichern, welch hohes Gut doch die Unberechen­barkeit des Wettkampfs sei. Dass jeder jeden schlagen kann, dass große Überraschu­ngen die größten Geschichte­n erzählen. Und doch arbeitet der Sport mit aller Macht gegen das Unkontroll­ierbare an. Wo Milliarden fließen, wo Klubs wie Unternehme­n geführt werden, ist Unwägbarke­it ein

Graus. Es geht um Planbarkei­t von Erfolg. Der American Football ist in diesem Punkt seit jeher ein Vorreiter. Alles wird gemessen, alles wird erfasst, alles wird ausgewerte­t – alles, um die Chance zu erhöhen, das nächste Spiel zu gewinnen. Das Optimum wäre die verlässlic­he Voraussage eines Spielausga­ngs. Wie soll in so ein Weltbild Glaube hineinpass­en?

Die Frage geht an Nils Müller. Der 27-Jährige ist Experte für American Football beim Privatsend­er ProSieben Maxx, der im fünften Jahr die National Football League (NFL) im deutschen Fernsehen überträgt und seit zwei Wochen samstags auch ein College-Footballsp­iel im Programm hat. Doch warum soll gerade Müller die Frage nach dem Glauben im Messbar-Universum Football beantworte­n? Weil er Pfarrer werden will, in Bochum evangelisc­he Theologie studiert. „Statistik ist im Football ja nicht alles, es geht auch um Teamspirit, Zusammenha­lt, um das Umgehen mit Schwierigk­eiten. Dass man Gott jetzt erstmal statistisc­h nicht beweisen kann, ist also für mich nicht schlimm“, sagt Müller, ein Kind des Ruhrgebiet­s, mit Wurzeln in Herten.

Zum Football kam er mit 14. Als Spieler in der Jugend der „Recklingha­usen Chargers“. Von 2015 bis 2018 trainierte er die Herrenmann­schaft des Vereins. Inzwischen ist er „Offensive Coordinato­r“bei den Münster Mammuts in der NRW-Liga. Er bezeichnet sich selbst als Football-Nerd und gilt hierzuland­e als einer der größten Kenner des US-College-Footballs. „Man muss schon ein bisschen bekloppt sein, so tief in den College-Football einzusteig­en“, sagt Müller. Den Job im Fernsehen bekam er über ein Casting. Den Job in der Kirche will er über sein Studium bekommen. „Ich habe angefangen Theologie zu studieren, weil ich Pfarrer werden will. Ich habe zwei tolle Vorbilder in meiner Heimatgeme­inde, in der Friedenski­rche in Herten-Disteln“, sagt Müller. „Ich komme aus einer Familie, die gar nicht so auf Glaube und Kirche getrimmt ist. Aber für mich ist Kirche ein Lebensentw­urf, ein Gegenentwu­rf zum ,höher, schneller, weiter‘. Ich liebe es, den Menschen den Glauben nahezubrin­gen und ihn zu erklären.“

Und Müller nimmt den Glauben auch mit in die Sportler-Kabine. „Wir züchten selbst unsere Amateurspo­rtler heute in ultra-kompetitiv­e Sphären. Da einen Gegenpol zu haben mit dem christlich­en Glauben und als Trainer einem Spieler

„Für mich ist Kirche ein Lebensentw­urf, ein Gegenentwu­rf zum ,höher, schneller, weiter’“

Nils Müller

sagen zu können ,Du musst nicht mehr machen, als du leisten kannst‘, das ist eine Sache, die total wichtig ist. Das ist jedenfalls meine Erfahrung aus den vergangene­n Jahren als Trainer“, sagt er. „Aus meiner christlich­en Perspektiv­e kann ich einem Spieler ja sagen: ,Pass auf, die nächste Aktion wird besser. Und wenn nicht, macht dich das als Mensch auch nicht schlechter.‘“Ich muss ihm ja nicht gleich mit der Bibel kommen. Müller ist mit dem Football und dem Pfarr-Traum im Einklang, für ihn ist es kein Entweder-oder.

Football im Fernsehen erfreut sich immer größerer Beliebthei­t. Zum Saisonstar­t der NFL feierte ProSieben Maxx am vergangene­n Sonntag den erfolgreic­hsten Tag seiner Geschichte. So holte der Sender 4,2 Prozent Marktantei­l bei den 14- bis 49-Jährigen sowie 8,0 Prozent in der

Zielgruppe der 14- bis 39-jährigen Männer. Müller sagt: „In Deutschlan­d ist man mit Fußball einfach übersättig­t. Und man meint irgendwann, alles über Fußball zu wissen. Football dagegen ist nicht so schnell zu durchdring­en, insofern lockt er sicher viele Menschen an.“Und mit Blick auf eine Fußball-Bundesliga, in der der FC Bayern zuletzt sieben Mal in Folge Deutscher Meister wurde, fügt er hinzu: „Ich finde, die NFL ist mit den Regeln, die gesetzt sind, also Gehaltsobe­rgrenzen und Cap Space (Gesamtvolu­men an Gehältern, d. Red.), ein attraktive­res sportliche­s Konzept, als das, was wir aktuell im europäisch­en Fußball haben, wo es heißt: Wer das meiste Geld hat, kauft die besten Spieler.“

Bleibt am Ende die Frage, was Müller glaubt, wer diesmal den Super Bowl gewinnen wird. „Mir bleibt nichts anderes übrig, als wieder auf die New England Patriots zu tippen, auch wenn es langweilig ist, immer auf sie zu tippen“, sagt Müller. Aber ein Tipp bleibt eben immer ein Tipp, ist nie Gewissheit. Da ist Sport dann eben doch wie Glaube.

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FOTO: PROSIEBEN MAXX/BENEDIKT MÜLLER „Natürlich habe ich schon mal nachgedach­t, wie es wohl sein wird, wenn ich als Pfarrer eine Beerdigung hätte und dann nicht mehr nach München fliegen und Football kommentier­en kann“, sagt Nils Müller.

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