Zwischen Touchdown und Theologie
Nils Müller ist TV-Experte für American Football und angehender Pfarrer. Das sei kein Gegensatz, sagt der Recklinghäuser.
RECKLINGHAUSEN Mit der Berechenbarkeit des Sports ist das so eine Sache. Der Sport selbst versucht, über seine prominenten Vertreter immer wieder glaubhaft zu versichern, welch hohes Gut doch die Unberechenbarkeit des Wettkampfs sei. Dass jeder jeden schlagen kann, dass große Überraschungen die größten Geschichten erzählen. Und doch arbeitet der Sport mit aller Macht gegen das Unkontrollierbare an. Wo Milliarden fließen, wo Klubs wie Unternehmen geführt werden, ist Unwägbarkeit ein
Graus. Es geht um Planbarkeit von Erfolg. Der American Football ist in diesem Punkt seit jeher ein Vorreiter. Alles wird gemessen, alles wird erfasst, alles wird ausgewertet – alles, um die Chance zu erhöhen, das nächste Spiel zu gewinnen. Das Optimum wäre die verlässliche Voraussage eines Spielausgangs. Wie soll in so ein Weltbild Glaube hineinpassen?
Die Frage geht an Nils Müller. Der 27-Jährige ist Experte für American Football beim Privatsender ProSieben Maxx, der im fünften Jahr die National Football League (NFL) im deutschen Fernsehen überträgt und seit zwei Wochen samstags auch ein College-Footballspiel im Programm hat. Doch warum soll gerade Müller die Frage nach dem Glauben im Messbar-Universum Football beantworten? Weil er Pfarrer werden will, in Bochum evangelische Theologie studiert. „Statistik ist im Football ja nicht alles, es geht auch um Teamspirit, Zusammenhalt, um das Umgehen mit Schwierigkeiten. Dass man Gott jetzt erstmal statistisch nicht beweisen kann, ist also für mich nicht schlimm“, sagt Müller, ein Kind des Ruhrgebiets, mit Wurzeln in Herten.
Zum Football kam er mit 14. Als Spieler in der Jugend der „Recklinghausen Chargers“. Von 2015 bis 2018 trainierte er die Herrenmannschaft des Vereins. Inzwischen ist er „Offensive Coordinator“bei den Münster Mammuts in der NRW-Liga. Er bezeichnet sich selbst als Football-Nerd und gilt hierzulande als einer der größten Kenner des US-College-Footballs. „Man muss schon ein bisschen bekloppt sein, so tief in den College-Football einzusteigen“, sagt Müller. Den Job im Fernsehen bekam er über ein Casting. Den Job in der Kirche will er über sein Studium bekommen. „Ich habe angefangen Theologie zu studieren, weil ich Pfarrer werden will. Ich habe zwei tolle Vorbilder in meiner Heimatgemeinde, in der Friedenskirche in Herten-Disteln“, sagt Müller. „Ich komme aus einer Familie, die gar nicht so auf Glaube und Kirche getrimmt ist. Aber für mich ist Kirche ein Lebensentwurf, ein Gegenentwurf zum ,höher, schneller, weiter‘. Ich liebe es, den Menschen den Glauben nahezubringen und ihn zu erklären.“
Und Müller nimmt den Glauben auch mit in die Sportler-Kabine. „Wir züchten selbst unsere Amateursportler heute in ultra-kompetitive Sphären. Da einen Gegenpol zu haben mit dem christlichen Glauben und als Trainer einem Spieler
„Für mich ist Kirche ein Lebensentwurf, ein Gegenentwurf zum ,höher, schneller, weiter’“
Nils Müller
sagen zu können ,Du musst nicht mehr machen, als du leisten kannst‘, das ist eine Sache, die total wichtig ist. Das ist jedenfalls meine Erfahrung aus den vergangenen Jahren als Trainer“, sagt er. „Aus meiner christlichen Perspektive kann ich einem Spieler ja sagen: ,Pass auf, die nächste Aktion wird besser. Und wenn nicht, macht dich das als Mensch auch nicht schlechter.‘“Ich muss ihm ja nicht gleich mit der Bibel kommen. Müller ist mit dem Football und dem Pfarr-Traum im Einklang, für ihn ist es kein Entweder-oder.
Football im Fernsehen erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Zum Saisonstart der NFL feierte ProSieben Maxx am vergangenen Sonntag den erfolgreichsten Tag seiner Geschichte. So holte der Sender 4,2 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen sowie 8,0 Prozent in der
Zielgruppe der 14- bis 39-jährigen Männer. Müller sagt: „In Deutschland ist man mit Fußball einfach übersättigt. Und man meint irgendwann, alles über Fußball zu wissen. Football dagegen ist nicht so schnell zu durchdringen, insofern lockt er sicher viele Menschen an.“Und mit Blick auf eine Fußball-Bundesliga, in der der FC Bayern zuletzt sieben Mal in Folge Deutscher Meister wurde, fügt er hinzu: „Ich finde, die NFL ist mit den Regeln, die gesetzt sind, also Gehaltsobergrenzen und Cap Space (Gesamtvolumen an Gehältern, d. Red.), ein attraktiveres sportliches Konzept, als das, was wir aktuell im europäischen Fußball haben, wo es heißt: Wer das meiste Geld hat, kauft die besten Spieler.“
Bleibt am Ende die Frage, was Müller glaubt, wer diesmal den Super Bowl gewinnen wird. „Mir bleibt nichts anderes übrig, als wieder auf die New England Patriots zu tippen, auch wenn es langweilig ist, immer auf sie zu tippen“, sagt Müller. Aber ein Tipp bleibt eben immer ein Tipp, ist nie Gewissheit. Da ist Sport dann eben doch wie Glaube.