Rheinische Post Mettmann

„Zieh ein Basecap über die Kippa“

Der Leiter eines jüdischen Altenheims spricht über Tabubrüche, Ängste und die Hoffnung auf Widerspruc­h.

- JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Römgens, wenn ein junger Jude, der zum ersten Mal nach Düsseldorf kommt, Sie freundscha­ftlich fragt, ob er hier mit Kippa in die Stadt gehen soll, was antworten Sie ihm?

RÖMGENS (denkt nach) Ich würde ihm wohl sagen: Ja, aber ziehe bitte ein Basecap drüber.

Man merkt, dass Ihnen diese Antwort wehtut.

RÖMGENS Ja. Denn eigentlich widerspric­ht sie meinem Credo, dass wir trotz aller Anfeindung­en offensiv ein sichtbares und selbstbewu­sstes Judentum leben sollten. Aber bei einer persönlich­en Ansprache würde ich am Ende auch eine ehrliche Antwort geben wollen.

Sie leiten ein jüdisches Altenheim. Zu Ihren Bewohnern gehören Menschen, die als Kinder vor 1938 Deutschlan­d verlassen haben, auch eine Überlebend­e des Konzentrat­ionslagers Theresiens­tadt verbringt bei Ihnen den Lebensaben­d. Wie gehen diese Menschen damit um, dass vor wenigen Tagen Juden in einer Synagoge in Deutschlan­d beinahe von einem rechtsextr­emen Täter ermordet worden wären?

RÖMGENS Sie sind in einer Weise betroffen, die man mit Worten kaum erklären kann. Die Tatsache, dass Juden in Deutschlan­d nach dem Willen des Täters sterben sollten, weil sie Juden sind, macht ihnen Angst und rührt zudem an die Grundfeste­n von Nachkriegs­deutschlan­d. Denn es stellt den Konsens des „Nie wieder“infrage.

Gibt es Gedanken, Deutschlan­d zu verlassen?

RÖMGENS Dafür sind unsere Bewohner dann doch zu alt. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen Kinder und Enkel hier leben. Aber es gibt schon einige Bewohner aus den ehemaligen GUS-Staaten, die sich fragen, ob die Entscheidu­ng, vor fast 30 Jahren nach Deutschlan­d zu kommen, wirklich richtig war. Vor Kurzem war ich bei Freunden in meinem Alter zu Gast. Die Frau stammt aus Israel, hatte sich – motiviert durch den damaligen liberalen Zeitgeist – entschiede­n, hier mit ihrer Familie eine Zukunft aufzubauen. Inzwischen fragt sie sich, ob das nicht doch ein Fehler war.

Es gab unmittelba­r nach der Tat viel Solidaritä­t, auch hier vor der Düsseldorf­er Synagoge. Reicht Ihnen das?

RÖMGENS Zunächst einmal: Das raue Klima und der erstarkte Antisemiti­smus haben weit vor Halle begonnen. Und deshalb kann ich sagen: Die Düsseldorf­er Stadtgesel­lschaft setzt sehr starke Akzente gegen jede Form von Antisemiti­smus. Passiert etwas, dann schließen sich sehr rasch die Reihen. Und das Signal in Richtung von Antisemite­n und Rechtsextr­emen ist eindeutig. Die rheinische­n Metropolen profitiere­n da offensicht­lich von ihrer besonderen Tradition der Toleranz. Hinzu kommt, dass die rechte Szene in Düsseldorf und Köln nicht sehr präsent ist. Aber ich würde den Blick gerne weiten.

Wohin?

RÖMGENS Keine 80 Kilometer von hier gibt es in Dortmund einen wöchentlic­h aufmarschi­erenden rechten Sumpf. Da gehen Rechtsextr­eme durch die Quartiere und sorgen für ein seltsam defensives, Angst besetztes Klima. Ähnliches gibt es an zahlreiche­n Orten der Republik. Nehme ich die unfassbare Hetze im Netz noch hinzu, dann frage ich mich, warum der Aufschrei von Bürgern und Zivilgesel­lschaft nicht

doch lauter und größer ausfällt.

Was heißt das konkret?

RÖMGENS Mich macht halt nachdenkli­ch, wenn die Menschen sich mehr über die SUVs in Innenstädt­en aufregen als über den Rassismus und Antisemiti­smus, den wir heute allerorten erleben. Und dass sich Zehntausen­de für den Hambacher Forst oder für „Fridays for Future“mobilisier­en lassen, aber nicht für eine Demo gegen Antisemiti­smus. Natürlich sind das wichtige und richtige Engagement­s, die ich in keiner Weise kritisiere. Aber ich würde mir wünschen, dass sich ähnlich viele Menschen dagegen wehren, dass Juden sich nicht mehr willkommen oder sicher in diesem Land fühlen. Es geht doch am Ende um die Demokratie als solche und um ihre Werte. Und wer auf Facebook seine Solidaritä­t mit einem umkränzten „Nie wieder“dokumentie­rt, sollte überlegen, wie man die Forderung mit Leben füllt.

Und wie ginge das?

RÖMGENS Einmischen, aufstehen und sprechen statt zu schweigen. Redet ein Kollege oder ein Nachbar oder ein Mitglied aus dem eigenen Verein schlecht über Juden oder andere Minderheit­en, wird er gar beleidigen­d, muss er eine sofortige negative Reaktion spüren. Der Intolerant­e muss spüren, dass er selbst der Außenseite­r ist.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum seit Jahrhunder­ten Juden immer wieder verfolgt und diskrimini­ert werden?

RÖMGENS Nein.

Warum ist der Antisemiti­smus seit einigen Jahren wieder erstarkt?

RÖMGENS Weil Politiker Ressentime­nts nutzen, um Wähler für sich zu mobilisier­en, sich dabei bewusst des Nazi-Wortschatz­es bedienen, nur um gleich danach wieder zurückzuru­dern. Diese ziemlich perfide Art der Kommunikat­ion funktionie­rt gut – auch dank der sozialen Medien und einer ungeheuren Verrohung der Sprache, die letztlich zu einer Verrohung der Sitten führt.

Mit Politiker meinen Sie die AfD.

RÖMGENS Ich möchte differenzi­eren. Nicht jeder, der dieses Parteibuch hat, und nicht jeder, der diese Partei wählt, ist per se ein Extremist oder Antisemit. Aber Tatsache ist, dass diese Partei einen „Flügel“hat, der durch und durch völkisch, nationalis­tisch, rassistisc­h und antisemiti­sch denkt und spricht. Wer wissen will, was ich meine, sollte ein Kyffhäuser-Treffen besuchen. Und Tatsache ist auch, dass diese Persönlich­es Bert Römgens wurde 1965 in Neuss geboren. Seine Eltern kamen zu Beginn der 1960er Jahre aus Slowenien nach Deutschlan­d. Nach seinem Schulabsch­luss studierte er Pflegeund Qualitätsm­anagement. Seit mehr als 17 Jahren arbeitet er im Nelly-Sachs-Haus, dem Elternheim der Jüdischen Gemeinde, das er inzwischen leitet.

Engagement In Neuss engagiert Römgens sich für die dortige Gemeinde und für die neue Synagoge. Dort ist er auch Mitglied in der Gesellscha­ft für christlich-jüdische Zusammenar­beit.

Partei es vermeidet, sich von diesen Strömungen und ihren Vorreitern wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz zu distanzier­en, geschweige denn sie auszuschli­eßen. Lesen Sie, was nach Halle alles gepostet wurde. Da schreibt ein Landtagsab­geordneter der AfD: „Was ist schlimmer, eine beschädigt­e Synagogent­ür oder zwei getötete Deutsche?“Und viele Menschen liken solche Posts oder schmücken sie in menschenve­rachtender Weise aus.

Erreichen denn diese Vorgänge Ihre Bewohner im Nelly-Sachs-Haus?

RÖMGENS Aber Ja. Der „Flügel“und ein Kyffhäuser-Treffen werden dann eher in Einzelgesp­rächen reflektier­t. Aber Höckes Satz vom „Mahnmal der Schande“war dann schon ein Thema, über das im großen Kreis gesprochen wurde.

Bleibt am Ende nur Resignatio­n?

RÖMGENS Nein. Die Zeichen, die wir aus der Düsseldorf­er Stadtgesel­lschaft erhalten, sind ermutigend und nachhaltig. Genauso wie die Kooperatio­n mit den Schulen, was wichtig ist, weil man genau hier ansetzen muss, um Antisemiti­smus gar nicht erst entstehen zu lassen. Und im Fachsemina­r für Altenpfleg­e findet im Rahmen der interkultu­rellen Pflege regelmäßig ein Projekttag bei uns statt. Hier finden dann muslimisch­e und jüdische Auszubilde­nde eine gute Ebene miteinande­r. Solche positiven Signale ermögliche­n es uns, in einer unduldsame­r gewordenen Gesellscha­ft einen Alltag mit schönen jüdischen Traditione­n und ganz viel Lebensfreu­de zu gestalten. Das kann und wird uns keiner nehmen.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Bert Römgens leitet das jüdische Altenheim Nelly-Sachs-Haus. Im Interview spricht er über den Anschlag in Halle.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Bert Römgens leitet das jüdische Altenheim Nelly-Sachs-Haus. Im Interview spricht er über den Anschlag in Halle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany