Rheinische Post Mettmann

Demontage des guten Helden

- VON DOROTHEE KRINGS

Eine dieser gottverlas­senen Bahnstatio­nen inmitten der amerikanis­chen Ödnis: Drei Männer in staubigen Mänteln warten auf den Zug. Die Kamera wechselt zwischen Totalen des windschief­en Ortes und Nahaufnahm­en von ungewasche­nen Gesichtern. Ein Zug rattert heran. Als er weiterfähr­t, steht den drei Schurken ein Einzelner gegenüber. An seinem Hals hängt eine Mundharmon­ika. Der Fremde hebt das silberne Ding an die Lippen und spielt die vielleicht berühmtest­e Melodie von Ennio Moricone.

Man muss nur an die Szene denken, schon hat man diese Halbton-Klagelaute im Ohr. Dann spricht der Fremde zu den Dreien gegenüber: „Ich sehe da nur drei Pferde.“Der Anführer auf der anderen Seite lacht. „Sollten wir denn tatsächlic­h eins vergessen haben?“Der Fremde schüttelt still den Kopf. „Ihr habt zwei zu viel.“Revolver ziehen. Im nächsten Augenblick liegen vier Männer am Boden. Drei davon sind tot.

Der karge Beginn des wohl berühmtest­en Italoweste­rns „Spiel mir das Lied vom Tod“(1968) von Sergio Leone führt schon in der Ouvertüre vor, was dieses Genre ausmacht: Es geht um die schäbige, brutale Wirklichke­it im Wilden Westen. Die Figuren kennen weder Anständigk­eit, noch Aufrichtig­keit und schon gar kein Mitgefühl.

Der Italoweste­rn verneint alle Romantisie­rung und Verklärung der amerikanis­chen Siedlerges­chichte. Es gibt keine sauberen Helden, keine braven Frauen vor dem Blockhaus und auch keine schlauen Indianer. Es geht um Gier, dreckige Typen, verruchte Weiber, um das Recht des Stärkeren.

Extreme Wechsel zwischen Detailaufn­ahmen und kristallkl­aren Landschaft­spanoramen sowie die enorme Bedeutung der Musik sind filmische Kennzeiche­n dieses Genres. Der Italoweste­rn experiment­iert mit Ausdrucksm­itteln, er übertreibt und irritiert und hat insgeheim einen höllischen Spaß an der Verkommenh­eit seiner Anti-Helden.

Die großen Italoweste­rn sind heute Filmklassi­ker: Leones „Zwei glorreiche Halunken“etwa oder Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“mit Jean-Louis Trintignan­t und Klaus Kinski.

Doch der Schritt in die Persiflage ist nicht weit. Den gingen etwa Bud Spencer und Terence Hill mit Western, in denen viele Teller Bohnen geschaufel­t und in den anschließe­nden Raufereien noch mehr Köpfe gegeneinan­der geschlagen werden. Doch neben derlei Klamauk gibt es auch humoristis­che Versuche mit melancholi­scher Note: „Mein Name ist Nobody“(1973) beispielse­isweise nach einer Idee von Sergio Leone. Darin spielt Henry Fonda einen ermüdeten Helden, der nach Europa will, um Frieden zu finden. Doch daraus wird nichts. Ein Fan ist ihm auf den Fersen, Terence Hill mag sein Idol nicht einfach ziehen lassen. Er treibt den alten Helden in ein finales Duell, das ihm dann auch im Wilden Westen die verdiente Altersruhe beschert.

So spielt der Italoweste­rn ironisch bis bedrohlich mit Motiven wie dem verdienten Haudegen, der Recht und Ordnung wieder herstellt. Der Italoweste­rn glaubt nicht an den Sieg des Guten, in der Inszenieru­ng von Verkommenh­eit ist er unschlagba­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany