Rheinische Post Mettmann

Kranke Muskelprot­ze

Männer, die im Fitnessstu­dio ihre Muskeln bis zum Exzess stählen, leiden nicht selten an einer sogenannte­n Körperbild­störung, der Bigorexie.

- Unser Autor

Unsere Leserin Judith F. (32) aus Mönchengla­dbach fragt: „Ich gehe oft ins Fitnessstu­dio und bemerke etliche junge Männer, die ihren Körper und ihre Muskeln offenbar züchten bis zum Umfallen. Ich frage mich, ob die nicht ein psychische­s Problem haben. Haben sie? Mir tun diese jungen Männer meistens sogar leid.“

Jürgen Vieten Ich kann Ihren Eindruck bestätigen. Wer häufiger Fitnessstu­dios besucht, dem fallen Menschen (meist Männer) auf, die enorm viele Muskeln haben und sich erregt unterhalte­n, an welchen Muskelgrup­pen sie noch arbeiten müssten, da sie diese für unterentwi­ckelt halten. Und tatsächlic­h, manche dieser Männer leiden an einer Störung ihres Körperbild­es („Bigorexie“, „Adoniskomp­lex“, im Extremfall­e eine „körperdysm­orphobe Störung“).

Sie sind überzeugt, dass ihr Körper fehlerhaft ist, unperfekt, sie schämen sich vielleicht und ziehen sich allmählich zurück. Dann trainieren sie noch mehr, um die „Schwachste­llen“zu beseitigen. Sie denken stundenlan­g über ihre Mängel nach, erreichen niemals ihr körperlich­es „Idealbild“, bleiben unglücklic­h und unzufriede­n. Sexuell sind sie nicht selten gehemmt.

Diese Menschen sehen sich vielleicht Medien an ( Youtube, Clips in den Studios, Männer-„Fitness“-Magazine) , die ihre „Schwächen“zu bestätigen scheinen. Sie beginnen Steroide (Muskelaufb­aumedikame­nte) zu missbrauch­en, die sie sich auf dem Schwarzmar­kt besorgen, und stellen zwanghaft und genussfein­dlich ihre Nahrung um. Bei Verzicht auf das Training kann es zu Entzugsers­cheinungen wie Unruhe, Schlafstör­ungen und Gereizthei­t kommen.

Unser Körperbild wird sowohl erblich, von frühkindli­chen Erfahrunge­n, Vorbildern als auch durch die Umwelt geprägt. Überall kann es zu Störungen kommen, die leider von der Industrie („Schönheits­ideal“, neuerdings auch für Männer) aus Profitgrün­den gefördert werden. Insgesamt ähnelt

Unbehandel­t kann sich die Muskelsuch­t noch verschlimm­ern

die Bigorexie überrasche­nd stark der Anorexie („Magersucht“), die meist Mädchen betrifft. Es finden sich starke Ähnlichkei­ten mit Sucht- und Zwangserkr­ankungen .Oft besteht gleichzeit­ig eine „Soziale Phobie“mit der Angst, sich in der Öffentlich­keit zu beschämen, kritisiert zu werden, nicht zu genügen.

Therapeuti­sch hat sich die sogenannte „kognitive Verhaltens­therapie“sowie eine Verbesseru­ng des Selbstwert­gefühles bewährt. In schwereren Fällen lohnen sich oft auch Versuche mit Medikament­en, die den Zellübertr­ägerstoff Serotonin im Hirn höher regulieren. Wer solche Menschen kennt, sollte sie motivieren, zum Psychologe­n oder Psychiater zu gehen, da sich der Zustand unbehandel­t eher verschlimm­ert als verbessert.

Jürgen Vieten ist Facharzt für Psychiatri­e in Mönchengla­dbach.

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