Mittelmaß der Dinge
Seit Jahren wird die Spannung in der Bundesliga im Abstand zwischen Bayern und Dortmund gemessen. Doch plötzlich scheint die Dialektik aufgebrochen. Spitze, das ist jetzt die halbe Liga. Auch Schalke steckt fest im Mittendrin.
DÜSSELDORF Erleben wir den spannendsten Bundesliga-Start der Geschichte? Auch Menschen, die sich nicht der Glaubensrichtung TV-Werbung zugehörig fühlen, können die üblichen Superlative augenblicklich nicht widerlegen. Nach acht gespielten Runden ist die Liga eine Drei-Klassen-Gesellschaft. Plus Paderborn.
Was die gesamte obere Tabellenhälfte dabei veranstaltet, das gab es in der Fußball-Neuzeit so noch nicht. Ganze zwei Punkte trennen Spitzenreiter Mönchengladbach vom Neunten Leverkusen. Kein Klub kann von einem durchweg gelungenen Saisonstart sprechen. Vielmehr erliegt die Spitzengruppe einer kollektiven Blockade. Sobald die Schwergewichte aus Dortmund und München taumelnd ins Leere schlagen, überbietet sich die Konkurrenz im Auslassen historischer Möglichkeiten wie in den letzten Runden eines Schützenfests. Selbst in diesen Sternstunden der Mittelmäßigkeit noch Durchschnitt zu verkörpern, wirkt nicht wie der Ausweis gehobener Klasse.
Der FC Schalke 04 hat mit bloßem Dabei- und Mittendrinsein jedoch bereits ein Etappenziel markiert. Allein die Teilnehmerurkunde soll Trainer David Wagner von dieser Saison mit nach Hause bringen. Ein konkretes Saisonziel hat sich die neue Führung um Jochen Schneider tunlichst verkniffen. Zu nachhaltig hatten die Tiefschläge der vergangenen Saison den Klub erschüttert. Nach Jahren, in denen wechselnde Gesichter denselben spielerischen Mangel verwalteten und kurzfristige Erfolge strukturelle Probleme übertünchten, wollte Schalke wieder einiges anders machen. Diesmal offenbar die richtigen Dinge.
Nach einer enttäuschenden vorigen Saison inklusive drohenden Abstieg in die Zweite Liga, waren sich die Verantwortlichen in ihrer fußballerischen Bankrotterklärung einig. Mangels Masse musste sich Sportchef Schneider aber auf kosmetische Eingriffe beschränken. Die Königstransfers des Sommers waren Kaderplaner und Integrationsbeauftragte statt Torjäger und Linksverteidiger. Die lange Zeit unterbesetzte Administrative hat der Klub flugs aufgestockt. In Trainer Wagner hat Schneider die passende Gallionsfigur identifiziert. Der 48-Jährige verfängt bislang als Moderator und Motivator in einem Umfeld, das nicht nur kritische Geister als bisweilen schwierig umschreiben würden.
Seit Saisonbeginn wirkt dieses Schalker Team, das sich in wesentlichen Teilen aus den Verantwortlichen für die vergangene Saison rekrutiert, als habe Wagner ihnen ein
Software-Update aufgespielt. Nebenwirkungen: Schwindelgefühle, Höhenangst und Wahrnehmungsstörungen. Nach dem 3:1-Erfolg in Leipzig zückte Wagner bereits den Rezeptblock. „Bitte gebt denen Tabletten“, adressierte er an alle, die es brauchten.
Als Beruhigungsmittel ungleich wirksamer erwiesen sich ein später Gegentreffer zum 1:1 gegen Köln und eine aufschlussreiche 0:2-Niederlage in Hoffenheim am Sonntag. Ein Spiel wie die Schalker Saison in einer Nussschale: Ungeahnter Offensivgeist, Amine Harit, der unermüdlich Haken schlägt und Pässe steckt. Jonjoe Kenny, der in Gelsenkirchen zeigen will, dass er in England spielen sollte. Die Omar Mascarells und Salif Sanés, die plötzlich die erhofften Stützen sind, Rabbi Matondo, dessen Talent weit mehr ist als ein urbaner Mythos. Ohnehin beispielhaft ist der Aufstieg von Suat Serdar, der vorerst in der DFB-Auswahl endete. Das Fachmagazin „Kicker“bescheinigt ihm gar den besten Notenschnitt aller Bundesligaspieler
– noch vor Robert Lewandowski.
An Typen wie eben diesem mangelt es dem Schalker Kader gleichwohl existenziell. Guido Burgstaller verrichtet sein Tagwerk inzwischen unter Ausschluss jeder Torgefahr, Mark Uth ist das wohl größte Schalker Missverständnis neben Sebastian Rudy. So konnten die Schalker aus ihrer teils drückenden Überlegenheit nicht mal im Ansatz Kapital schlagen. Trainer sagen dann Trainersachen. „Wir haben das letzte Drittel nicht konsequent bespielt“, bemängelte Wagner. Schalke hat ein Sturmproblem, würden Beobachter ohne A-Lizenz formulieren. Wenn Aushilfstorschützen wie Harit oder Serdar nicht einspringen, wird deutlich, dass Schalke in der Spitze die Klasse für gehobene Bundesliga-Ansprüche fehlt.
Alfred Schreuders Analyse sagte viel zum Stand der Dinge in der Liga: Schalke sei der bislang stärkste Gegner gewesen, bemerkte der Trainer der TSG Hoffenheim, die zuletzt beim FC Bayern siegte. Tatsächlich speist sich Schalkes Stärke zu einem Gutteil aus der Schwäche der anderen. Und mit dieser Lesart ist die Tabelle gar nicht mehr so kurios. Hätten sich die Bayern und der BVB nicht gleichzeitig eine Auszeit genommen, wäre alles altbekannt.
Das Duell mit Wagners Ex-Verein aus der Nachbarstadt Dortmund am Samstag (15.30 Uhr) wird vieles weiter schärfen: Die Tabelle, Wagners Profil und den Standort beider Klubs. Wenn die Fußball-Bundesliga es wirklich ernst meint mit ihrem neuerlichen Spannungsversprechen, dann spricht allerdings vieles für ein Unentschieden.