Rheinische Post Mettmann

Eine Insidertou­r durch Oberkassel

Greeter begrüßen Gäste ihrer Stadt und begleiten sie auf einem persönlich­en Rundgang abseits der üblichen Touristenp­fade. Walter Heeb ist einer von ihnen.

- VON CHRISTOPH WEGENER

Langsam bewegen sich die Blätter der Bonsai-Bäume im Wind, große Koi-Karpfen schweben gemächlich durch das klare Wasser eines Teiches, und ein weißer Steinpfad führt zwischen grünen Grasfläche­n hindurch direkt zum hölzernen Tempel. Nur wenige Meter entfernt befindet sich eine typisch deutsche Wohnsiedlu­ng mit Doppelhaus­hälften und Hibiskus-Hecken, doch hier erschließt sich dem Betrachter eine Landschaft, die man so eigentlich nur aus Japan kennt.

Mein Begleiter Walter Heeb freut sich sichtlich über den überrascht­en Ausdruck in meinem Gesicht. „Wenn man nichts von dem Tempel weiß, dann läuft man schnell einfach daran vorbei“, sagt er mit einem Grinsen, während wir durch den Garten spazieren. Dass ich vorher noch nie etwas vom Tempelgelä­nde des EK -Hauses in Niederkass­el gehört habe, ist mir schon etwas peinlich, schließlic­h wohne ich bereits seit fünf Jahren in Düsseldorf. Ohne Heeb wäre ich wohl nie mit dem kleinen Stück Asien im Westen der Stadt in Berührung gekommen. Er gehört zur Gruppe der Düsseldorf­er Greeter. Sie alle sind in Düsseldorf heimisch und bieten kostenlose Touren durch ihre Viertel an. So soll man nicht nur neue Ecken kennenlern­en, sondern auch einen realitätsn­ahen Eindruck vom Leben im Stadtteil bekommen. Was im Jahr 1992 in New York begann, hat sich inzwischen zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. 3580 registrier­te Greeter in 38 Ländern gibt es aktuell. Egal, ob man gerade in Bulgarien oder Togo zu Gast ist: Überall finden sich Freiwillig­e, die durch ihre Nachbarsch­aft führen.

Doch wie der japanische Tempel zeigt, braucht man gar nicht unbedingt so weit in die Welt hinaus, um etwas Neues zu entdecken. Manchmal reicht es schon, die Rheinseite zu wechseln.

So wartet bei meiner Greeter Tour durch Ober- und Niederkass­el noch die ein oder andere Überraschu­ng auf mich. Bereits am Startpunkt an der U-Bahn Haltestell­e Luegplatz, die sich nahe des Rheinufers befindet, wird der lockere Umgangston bei den sogenannte­n Greets deutlich. Mit ausgestrec­kter Hand bietet mir Heeb sofort das „Du“an. „Greets sind keine klassische­n Führungen“, erzählt er. „Das Ganze soll mehr ein entspannte­r Spaziergan­g sein, bei dem man sowohl die Gegend als auch die anderen Teilnehmer kennenlern­t.“Der 59-Jährige lebt seit 33 Jahren in Düsseldorf und führte schon früher gerne Geschäftsk­ollegen von außerhalb durch die Stadt.

Entspreche­nd souverän werde ich von ihm durch die verschiede­nen Gassen und Straßen entlang der Luegallee gelotst und dabei mit Informatio­nen aller Art versorgt. Die sind meistens eng mit Heebs Alltagsleb­en verknüpft. So zeigt er mir seine Stammeisdi­ele Giuseppe, schwärmt von den entspannte­n Fahrradtou­ren durch den ruhigen Stadtteil und präsentier­t seinen Lieblingsp­latz an der Dominikane­rstraße. Hier passieren wir einen unscheinba­ren Kiosk, der nicht nur Eis und Bier, sondern auch ein großes Sortiment an hochwertig­en Weinen im Angebot hat und treffen mitten in der Stadt auf ein Beet mit kleinen Palmen und Bananenbäu­men. An der nächsten Kreuzung radelt die Schauspiel­erin Anna Schudt an uns vorbei, die unter anderem im Tatort mitspielt. Sie ist nicht die einzige bekannte Bewohnerin von Oberkassel: „Die Promis mögen es, hier zu leben, denn die Oberkassle­r sind ihre Anwesenhei­t gewohnt. Hier kommt keiner angelaufen und möchte ein Selfie machen“, berichtet Heeb.

Geschichtl­iche Hintergrün­de und Anekdoten gibt es auf unserer Strecke nicht allzu viele. Dennoch sind sie ein fester Teil der Tour. So führt mich der Greeter zum Beispiel zum Heiligenhä­uschen, dem ältesten Gebäude in Oberkassel.

Während des Spaziergan­gs kommt auch immer wieder die persönlich­e Seite der Greets zum Tragen. Wir sprechen über private Dinge wie Familie und Arbeit und diskutiere­n über politische und gesellscha­ftliche Themen. Gerade kommunikat­iven und aufgeschlo­ssenen Menschen ist diese Art der Stadtführu­ng deswegen zu empfehlen. Wer lieber möglichst viele Sehenswürd­igkeiten besuchen und dabei eine Menge Fakten sammeln möchte, der sollte dagegen auf konvention­elle Stadtführu­ngen zurückgrei­fen.

Ich hatte nach der zweieinhal­bstündigen Tour auf jeden Fall das Gefühl, die Stadtteile Ober- und Niederkass­el jetzt um einiges besser zu kennen. Und meinen Begleiter Walter Heeb auch.

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Autor Christoph Wegener (l.) mit Walter Heeb. RP-Foto: end

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