Kampfschwimmer sind auch wüstentauglich
Die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr ist rund um den Globus einsetzbar. Ihre Ausbildung geht an die Grenze des Zumutbaren.
ECKERNFÖRDE (dpa) Kaum ein Wort löst die Spannung, nur Schritte und das Atmen unter dem schweren Marschgepäck der Soldaten stören die Stille. Plötzlich Schüsse. Der Gegner hat die zwölf Kampfschwimmer bei der Annäherung an ihr Zielobjekt entdeckt. In kleinen Gruppen gehen die Soldaten in Deckung und wehren sich mit heftigen Feuerstößen. Rauchbomben bilden eine Wand aus weißem Nebel, die dem Gegner die Sicht nehmen soll. Die Männer geben sich gegenseitig Feuerschutz und setzen sich in ein kleines Waldstück ab. „Auffanglinie ist die Waldkante“, bellt es in den Funk. „Alpha rechts, Bravo links.“
Der Funker hat da schon seine TIC-Meldung abgesetzt: Troops in Contact, Soldaten mit Feindkontakt. Bei einem echten Einsatz wäre nun Alarm. Doch der Kampf der Spezialkräfte auf dem Standortübungsplatz Christianshöh an der deutschen Ostseeküste ist ein Training für den nächsten Einsatz, der die Soldaten nach Niger in Westafrika führen wird. Dort bilden deutsche Kampfschwimmer nigrische Spezialkräfte aus.
Kampfschwimmer in der Wüste? Man muss das Aufgabenspektrum dieser Soldaten verstehen, um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen. Die Spezialisierung auf das feuchte Element dient nur der Anreise in das Einsatzgebiet, das in Siedlungen, im Gebirge, in einem Wald oder eben in einer Wüste liegen kann. Die Befreiung deutscher Geiseln und eine „robuste Evakuierung“aus einem Krisengebiet gegen bewaffneten Widerstand können zu den Aufträgen gehören. Oder das Entern von Schiffen gegen Widerstand, um Piraten zu stellen und Verschleppte in Sicherheit zu bringen. Auch die Festnahme Gesuchter zur Vernehmung oder Strafverfolgung ist so ein Szenario. Außerdem „Spezialaufklärung“, die Informationen aus Satellitenaufnahmen mit einem verdeckten Besuch am Ort des Geschehens überprüft und ergänzt.
Die Kampfschwimmer sind die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr. Das Kommando Spezialkräfte
der Marine hat seine Heimat im Marinestützpunkt Eckernförde, direkt an der Ostsee. Die Ausbildung dauert drei Jahre und steht – eine Besonderheit – auch Zivilisten ohne militärische Vorbildung offen. Die Auslese ist hart. Es gibt weniger als 100 Kampfschwimmer in der Bundeswehr.
Ein Höhepunkt der Ausbildung: der drei Wochen dauernde Überlebenslehrgang, bei dem sich die Anwärter mit selbstgebauter Ausrüstung und von Verfolgern bedrängt über eine weite Strecke durchschlagen müssen. Abschluss des Lehrgangs ist ein 36-stündiges Verhör. Es ist eine der härtesten Ausbildungen
überhaupt in der Bundeswehr und geht nah an die Grenze dessen, was man in einem freiheitlich-demokratischen Staat Bürgern in Uniform zumuten kann. Weibliche Anwärter sind explizit gewünscht. Vor einigen Jahren ist eine Frau angetreten, hat aber nach einer Woche aus freien Stücken verzichtet.
Jedes Jahr werden fünf bis sechs Kampfschwimmer ernannt. Knapp 20 Männer sind ein „Einsatztrupp“. Je vier Soldaten sind ein „Fireteam“. Immer in einem Einsatz dabei sind ein Teamführer, ein Funker, ein Sanitäter. Wie das Team genau weiter bestückt wird, hängt von der Aufgabe ab.
Öffentlich wird über Einsätze von Spezialkräften wenig bekannt. Das war vor gut zehn Jahren anders, als Piraten den deutschen Frachter „Hansa Stavanger“entführt hatten. Der Befreiungseinsatz wurde letztlich abgebrochen – wegen der Gefahr eines Scheiterns, aber auch nach einem Kompetenzgerangel in der Bundesregierung, ob die GSG 9 der Bundespolizei oder die Kampfschwimmer die Aufgabe übernehmen sollten.
In einem Marine-Jahrbuch aus dem Jahr 2013 wird der Fall beschrieben: Am 5. April 2009 wurden alle Angehörigen des 1. Kampfschwimmereinsatzteams aus ganz
Deutschland nach Eckernförde berufen. Eiliges Packen, Munition, Waffen, Ausrüstung. Die Kampfschwimmer waren schon in Wüstentarnkleidung in der Luft, darunter Neopren-Tauchanzüge, Flossen an den Füßen. Mit dem Fallschirm springen die Soldaten ins Wasser neben der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“, kurz darauf sind sie an Bord. Doch dabei bleibt es auch – zu einer gewaltsamen Geiselbefreiung kommt es nicht mehr.
„Das ist schon ein extrem cooler Job. Die Teamarbeit! Und dann: Man kann etwas Besonderes machen“, sagt Kampfschwimmer Tilo Baier (38), der die Übung auf dem Übungsplatz Christianshöh verfolgt. „Ich dachte damals auch an die Geisellagen. Die muss doch jemand rausholen können, dachte ich. Dazu kommen die Männerspielzeuge. Quad, der Geländewagen Wolf, Fallschirmspringen.“
Allein 30 verschiedene Waffen werden bei den Kampfschwimmern verwendet. Pro Woche könnten schon mal 10.000 Schuss Munition im Training verfeuert werden. Auf die Schießfertigkeiten wird großer Wert gelegt: Aus der Sicherheitsposition der Waffe vor der Brust sind Anlegen des Gewehrs, Entsichern und der erste Schuss praktisch eins. In einer halben Sekunde ist das zu schaffen, wie die Kampfschwimmer vorführen können. Binnen zwei Sekunden sollte in der Nahdistanz auch der zweite Schuss sitzen – auf die Fläche eines Brustkorbs gerechnet. Bis zu 60 Kilogramm muss ein Mann heute in den Einsatz tragen. In der Hightech-Welt ist einiges an Gewicht dazugekommen. So etwa die Brennstoffzelle „Jenny“. Sie soll den gestiegenen Strombedarf für Nachtsichtgeräte, Computer und Funkverbindungen liefern, über die sich Einsätze heute in Echtzeit aus der Ferne verfolgen lassen.
Was sich nicht geändert hat, ist die strikte Geheimhaltung. Öffentlich sprechen Regierung und Bundeswehr nicht darüber, wo genau die Spezialkräfte in den vergangenen Jahren jeweils im Einsatz waren. Der Bundestag wird nur in vertraulicher Sitzung über diese Operationen informiert.