So schwach ist Dortmunds Abwehr
27 Gegentreffer hat der BVB bereits kassiert. Viel zu viele für eine Mannschaft, die Meister werden will.
DORTMUND Wer mit einem Auswärtssieg in die Rückrunde startet und dabei einen Zweitore-Rückstand aufholt, der jammert normalerweise nicht. Normalerweise. Borussia Dortmund ist so ein Auftakt beim 5:3 in Augsburg gelungen. Und trotzdem zieht Sportdirektor Michael Zorc die Stirn in Falten. Er schaut auf die Gegentore und sagt: „Das macht mir Sorgen. So wirst du am Ende nicht deine Ziele erreichen.“Alarmieren muss ihn, dass die Gegentore in Augsburg nicht nur Ergebnis der gern zitierten individuellen Fehler waren, sondern ganz offenkundig ein eher allgemeines Phänomen abbilden.
Es besteht in der Orientierung der meisten Spieler und damit in der Ausrichtung der Mannschaft. Mit Ausnahme von Torwart Roman Bürki, der drei Verteidiger Lukasz Piszczek, Mats Hummels und Manuel Akanji sowie des zentralen Mittelfeldspielers Axel Witsel standen in der Dortmunder Startaufstellung in Augsburg lediglich Athleten, die am liebsten begeistert nach vorn rennen und die danach vergessen, dass es im modernen Fußball immer auch um Verteidigung im Teamverbund geht.
Deshalb konnte Augsburg, wahrlich kein Team, das Champions-League-Klasse beanspruchen darf, in den Genuss erstaunlicher Beinfreiheit gelangen. Die Tore gehörten im Abschluss zu den leichteren Übungen. Erst als die Schwaben körperlich am Ende waren und ihrerseits trotzdem weiter nach vorn rannten, fanden die Dortmunder Räume für ihre Aufholjagd.
Auch ihnen, namentlich der großen Entdeckung Erling Haaland, wurden Treffer leicht gemacht. Das ist allerdings kein Muster, auf das sich der BVB verlassen darf. Und das erklärt Zorcs Sorgenfalten. Nicht in jedem Spiel werden ausreichend Tore erlaubt, einen ordentlichen Rückstand auszugleichen. Schon vom nächsten Gegner, dem nach vier Siegen in Folge selbstbewussten 1. FC Köln, ist nicht so viel Entgegenkommen zu erwarten.
Die Dortmunder Leichtfertigkeit in der Spielanlage hat bereits zu 27 Gegentreffern geführt, mit Abstand die schwächste Bilanz der sechs Teams auf den Europapokal-Rängen.
Und sie ist kein neues Phänomen. Mangelnde Konzentration auf die wesentlichen Kleinigkeiten des Fußballs waren schon in der zurückliegenden Saison der Grund dafür, dass der BVB den Bayern den Meistertitel lassen musste. Durch die Verpflichtung von Mats Hummels glaubten die Dortmunder, diese Schwäche ausgeräumt zu haben.
Es nützt freilich nichts, wenn sich nur ein paar Recken an die Grundlagen des Erfolgs erinnern und der Rest in jugendlichem Überschwang die Hälfte seiner Aufgaben einfach vergisst. Es ist davon auszugehen, dass Trainer Lucien Favre nicht zur Fraktion der Vergesslichen gehört. Der Schweizer ist ja einer, der selbst im größten Spaßfußball noch die Schattenseiten sieht und entsprechend früh den mahnenden Zeigefinger hebt.
Das tun jetzt auch andere wieder. Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung, zum Beispiel. „Wir dürfen nicht so sorglos sein“, sagt er und verweist darauf, dass
Favre ähnliche Botschaften sendet. „Aber ab einem gewissen Punkt ist der Spieler selbst dafür verantwortlich, wie er auf den Platz tritt“, erklärt er dem Fachblatt „Kicker“.
Das ist nur zum Teil richtig. Am Ende halten nämlich nicht die Spieler, sondern jene, die sie auf den Platz schicken, also vor allem die Trainer, den Kopf hin, wenn mal nicht die Haalands dieser Welt die Schlappen ausbügeln, die der Mannschaft selbstverliebte Dribbelkönige wie (nur ein Beispiel) Thorgan Hazard und andere Mittelfeldzauberkönige einbrocken. Vorstellungen wie die Abwehrleistung des Teams in Augsburg bis zur wundersamen Wandlung des Spiels nach Haalands Einwechslung und einer Systemänderung mit breiter Rückendeckung für die Spitzen können nicht nur dafür sorgen, dass (siehe Zorc) „die Ziele nicht erreicht werden“. Sie könnten auch Favre erneut in Frage stellen. Dabei ist der Detail-Fetischist aus der Schweiz geradezu berüchtigt dafür, seiner Mannschaft einen haarklein formulierten Verhaltenskatalog für alle Spielsituationen mitzugeben. Was kann er dafür, wenn seine Jungs dabei auf Durchzug schalten?