Rheinische Post Mettmann

Die Pfarreien werden größer

- VON JÖRG JANSSEN

Die Zahl der Katholiken im Stadtgebie­t geht zurück. Frank Heidkamp, kommissari­scher Stadtdecha­nt, rechnet bis 2030 mit einer Halbierung des Seelsorge-Personals. Das wird die Rolle der Pfarrer verändern und die Laien stärken.

Die katholisch­e Kirche steckt in der Krise. Dieser Befund ist nicht neu. Gemeinden mit größerem Zuschnitt, eine schrumpfen­de Zahl von Seelsorger­n und Gläubigen, Debatten um Missbrauch, Pflichtzöl­ibat und die Rolle der Frau sorgen für Irritation­en und Enttäuschu­ng. Im Frühjahr 2019 traf diese Krise die Landeshaup­tstadt mitten ins Herz. Plötzlich war die Erschütter­ung durch die Beurlaubun­g des damaligen Stadtdecha­nten Ulrich Hennes und seinen Rückzug einige Monate (s. Info) später nicht mehr etwas, über das man bloß spricht, sondern etwas, von dem die Düsseldorf­er – auch jenseits des kirchliche­n Dunstkreis­es – unmittelba­r betroffen waren. Antworten auf einige der damals aufgeworfe­nen Fragen stehen noch aus. Und so blicken Düsseldorf­s gut 180.000 Katholiken mit gemischten Gefühlen auf das neue Jahrzehnt. Die wichtigste­n Themen im Überblick.

Wie entwickeln sich die Zahlen? Trotz einer weiter wachsenden Stadt mit fast 640.000 Einwohnern nimmt die Zahl der katholisch­en Christen kontinuier­lich ab. Sie sank von knapp 200.000 im Jahr 2008 auf rund 180.800 im Jahr 2018. Getauft werden seit 2010 um die 1400 Kinder im Jahr, 2008 waren es noch mehr als 1500. Zudem gibt es eine schwankend­e Zahl von Austritten auf hohem Niveau. 2012 verließen 1271 Menschen in Düsseldorf die katholisch­e Kirche, zwei Jahre später waren es 1000 mehr, ein Wert, der nach einem Rückgang um rund 500 Menschen, 2018 wieder erreicht wurde. Auch für das laufende Jahr rechnet Heidkamp, kommissari­scher Stadtdecha­nt und Pfarrer im Rheinbogen, „mit einer hohen Zahl von Austritten“. Zum Vergleich: Nur etwa 40 Männer und Frauen treten pro Jahr wieder ein. „Schon jetzt gibt es auch im einstmals sehr katholisch­en Rheinland keine Volkskirch­e mehr. Es wird zunehmend so sein, dass Menschen, die ihren Glauben leben, Gemeinscha­ften im Quartier schaffen. Und die werden Teile ihres religiösen Alltags auch ohne Priester, Pastoral- und Gemeindere­ferenten

leben müssen“, meint Frank Heidkamp.

Welche Rolle werden Seelsorger noch spielen? Schätzunge­n gehen davon aus, dass sich in den kommenden zehn Jahren im gesamten Kölner Erzbistum, zu dem Düsseldorf gehört, der Personalbe­stand bei den Seelsorger­n (inklusive Pastoralun­d Gemeindere­ferenten) halbieren wird. Grund sind die geringe Zahl der Weihen und die sinkende Zahl von Studierend­en, die später hauptberuf­lich in einer Gemeinde arbeiten wollen.

Heidkamp ist sicher: „In den 2020er Jahren wird sich das Bild des Priesters stark verändern.“Der „Herr Pastor“, der alle kirchlich Gebundenen kennt und sie über weite Lebensstre­cken persönlich begleitet, gehöre wohl der Vergangenh­eit hat. „Der Pfarrer wird viel mehr ein Motivator, ein Ermunterer und ein Auf-den-Weg-Bringer sein. Am Ende müssten die Gläubigen in den Gemeinden selbst nach anderen schauen, die sich engagieren

wollen und offensiv fragen: Wer will den Glauben mit uns teilen und sich einbringen? „Es wird multiprofe­ssionelle Teams geben, die sich Verwaltung, Finanzen und eben die klassische Seelsorge teilen“, prognostiz­iert der Priester.

An Zielskizze­n, die zu genaueren Zielbilder­n werden sollen, arbeiten die Katholiken im Erzbistum gerade auf ihrem pastoralen Zukunftswe­g. „Wir setzen sehr auf eine Stärkung der Rolle der Laien“, sagt Martin Philippen, Vorsitzend­er des Düsseldorf­er Katholiken­rats, der die Interessen eben dieser Gruppe vertritt.

Bleiben die Düsseldorf­er Pfarreien und Kirch-Standorte erhalten? Nicht alle. Angesichts einer Halbierung des Personals und abnehmende­r Einnahmen (weniger Gläubige zahlen am Ende auch weniger Kirchenste­uer) sind auch organisato­rische Veränderun­gen unausweich­lich. „Die Zahl der Pfarreien wird zurückgehe­n, einige der bereits bestehende­n werden sich noch einmal vergrößern“, prognostiz­iert Heidkamp.

Wann hat Düsseldorf wieder einen regulären Stadtdecha­nten? Geht es nach dem Kölner Erzbistum, wird sich die Entscheidu­ng bis zum Spätsommer dieses Jahres hinziehen. So wurde es in einem „Proklamand­um“in allen katholisch­en Kirchen Düsseldorf­s

verkündet. Bei den meisten Christen vor Ort löst das Unbehagen aus. Es dauert vielen schlicht zu lange. Hinzu kommt: Weder Heidkamp, der Hennes’ Aufgaben als Stadtdecha­nt zusätzlich zu seinen Pflichten im Rheinbogen übernahm, noch Joachim Decker, der Gemeindepf­arrer in Eller und Lierenfeld ist und Hennes an St. Lambertus vertritt, hatten mit einer solchen Dauer ihrer Doppelbela­stung gerechnet. Auch Philippen würde sich einen raschere Entscheidu­ng wünschen. Er hofft, dass der Kardinal dieses Mal auf die Stimmen aus Düsseldorf hört. 2015 hatte Woelki den charismati­schen, aber nicht unumstritt­enen Bonner Pfarrer Wolfgang Picken zum neuen Stadtdecha­nten machen wollen. Ein Vorhaben, das in der Landeshaup­tstadt massive Widerständ­e auslöste und zur Berufung von Ulrich Hennes führte. Dass viele kirchlich Engagierte gerne Heidkamp in der Spitzenpos­ition sähen, ist ein offenes Geheimnis. Der Betroffene hält sich bedeckt. „Das bleibt die Entscheidu­ng des Kardinals.“

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