Romantik am Golf von Neapel
Das Orchestra di Santa Cecilia aus Rom gab ein Symphoniekonzert in der Tonhalle.
Das berühmte Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy mag oft aufgeführt werden, doch Überdruss konnte sich am Montagabend in der Tonhalle für keine Sekunde einstellen. Geigerin Janine Jansen und das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma unter Leitung von Sir Antonio Pappano spielten es auf eine Weise, für die das Wort „Hingabe“wie geschaffen schien.
Vor allem die niederländische Solistin musizierte mit einem Entdeckergeist, als wolle sie die fast zwei Jahrhunderte alte Komposition gerade erst aus der Taufe heben. Sie ging schon am Anfang aufs Ganze und nahm der Dramatik und des Ausdrucks wollen lieber mal einen Achtel-Ton Ungenauigkeit in Kauf. Das war ein Spiel ohne Netz. Als versierte Technikerin konnte sie sich das leisten und intonierte freilich zu annähernd 100 Prozent sauber.
Das Schönste: Alle drei Sätze interpretierte die Geigerin anders. Sie führte den angeregten Hörer durchs große Wunderland der Frühromantik. Die Lyrik des Mittelsatzes klang nicht selbstgefällig, sondern innerlich erregt ein bisschen wie bei Goethes „Gretchen am Spinnrad“, wo sich das Gefühl der Zuneigung mit ängstlicher Unruhe mischt. Das ausgelassene Finale wurde dann wieder sonnig und ließ an Frühlingsblüten denken.
Das Orchester begleitete derweil vorbildlich und trug die Solistin
wie auf Händen. Nach der Pause gab es für die Römer den Hauptauftritt mit Robert Schumanns Ersten, der „Frühlingssymphonie“. Die Italiener legten sich ins Zeug, vor allem die Streicher brillierten und tirilierten mit großer Wonne. Allerdings schien dieser Frühling nicht gerade an den Schumann-Ortschaften Zwickau oder Düsseldorf Einzug zu halten, sondern eher im sonnenverwöhnten Golf von Neapel – gewissermaßen Schumann in Shorts.