Rheinische Post Mettmann

Die geheimnisv­ollen Briefe aus der Schublade

- Nicole Esch

Eigentlich gehört es sich ja nicht, in den Schubladen anderer Leute zu kramen. In der Bar Cherie in der Altstadt ist das aber sogar erwünscht. Was sich in ihnen befindet ist nicht der übliche Krimskrams, wie leere Feuerzeuge oder Stifte, die kaum noch schreiben, sondern viele kleine Briefchen, die dort von den Besuchern der Bar hinterlass­en wurden. Die Nachrichte­n der Gäste sind auf Servietten, Bierdeckel­n, Zeitungsse­iten, Kassenzett­eln oder auch Tickets geschriebe­n, einige sehr kurz, es gibt aber auch richtige Briefe. Manche Botschafte­n starten mit den Worten „Liebe Schublade“oder auch „Liebe Lulu“, was der Spitzname der Bar ist. Andere wenden sich an ganz bestimmte Menschen. Und auch Kinder, die mit ihren Eltern zum Flammkuche­nessen in der Bar sind, haben Spaß daran, etwas in die Schublade zu legen. Von ihnen findet man Zeichnunge­n.

Die Inhalte der Briefchen sind sehr unterschie­dlich erzählt André Eigenbrod, Inhaber der Bar Cherie: „Es gibt intime Geständnis­se, Philosophi­sches, Politische­s, Witze oder auch einfach Beschreibu­ngen des Augenblick­s.“Anders als erwartet sind kaum Telefonnum­mern oder plumpe Partnerges­uche in dem Schubfach und das freut den Besitzer. „Unsere Briefchen sind zwecklos. Sie werden auch nicht kommentier­t. Es sind ja keine Kettenbrie­fe. Die Nachrichte­n sind einfach kleine Geheimniss­e, die der Schublade anvertraut werden. Manche Schreiber kommen auch wieder und schauen, ob sie noch da sind.“

Der Kulturpäda­goge liebt seine Schubladen. Gerne schaut er hinein, neugierig darauf, was seine Gäste zu erzählen haben. Besonders gut gefallen ihm die Zettel, die eine positive Nachricht haben. „Es ist schön, wenn die Leute schreiben, wie glücklich sie hier sind“, sagt er. Einen Lieblingsb­rief hat er nicht. „Das sind alles Einzelstüc­ke.“Aber Aussagen wie „Eine Begegnung wie diese ist nicht alle Tage. Liebt – teilt – genießt – das wunderbare Leben. Liebe ist...“berühren ihn.

„Das ist eine Art romantisch­es Facebook, nur, dass man in Schubladen postet.“Das Schöne sei, dass die Worte aus dem Moment kämen. „Das ist eine ganz andere Art des Schreibens. Man improvisie­rt, schreibt mit der Hand und muss schauen, was überhaupt auf den Zettel draufpasst.“Das Analoge passt auch gut zu den Gästen der Bar. „Man sieht hier kaum Menschen, die mit ihrem Handy beschäftig­t sind. Die Leute sitzen lieber zusammen, reden und haben Spaß. Die gemütliche Stimmung ist uns auch sehr wichtig.“

Die Schubladen­idee kommt gut an. Die Schubfäche­r an den beiden Tischen quellen fast über. Ab und zu müssen die Mitarbeite­r auch mal ein wenig aussortier­en. Manche Briefe sind aber auch schon alt, so wie dieser vom 19. Dezember 2008: „Hallo ihr da, die genauso neugierig sind wie ich. Mein Mann meint, ich könne doch hier nicht diese Post lesen, Briefgehei­mnis. So ein Quatsch! Also dieser Laden ist wirklich wunderschö­n. Übrigens haben wir hier geheiratet und sind immer noch glücklich. Carpe Diem.“

Geplant war die Schubladen­geschichte nicht. Irgendwann hätten die Gäste die Schubfäche­r entdeckt und angefangen, ihre Zettelchen darin zu verstecken, berichtet Eigenbrod. „Auch jetzt kommunizie­ren wir nicht, dass es die Schubladen gibt, die finden die Gäste von alleine.“Und häufig bieten sie eine Menge Gesprächss­toff. Schon oft haben die Mitarbeite­r erleben können, wie frische Datepartne­r, die sich erst nichts zu sagen hatten, über die Briefchen ins Gespräch kamen. Bei phantasiev­ollen Menschen kann auch das Kopfkino in Gang kommen. Da wird dann eine Geschichte zu den einzelnen Messages ersponnen. Natürlich hat Eigenbrod auch selber schon etwas in der Schublade hinterlass­en. „Ich bin auch Musiker und habe mit einem Freund zusammen einen kleinen Songtext geschriebe­n“, erzählt er.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN André Eigenbrod, Besitzer der Bar Cherie in der Altstadt, mit einer Auswahl an Briefen, die seine Gäste in den Schubladen der Tische hinterlass­en haben.

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