Warnung vor Folgen der Krise
Kontaktverbote könnten zu psychischen Krankheiten und Suiziden führen.
BERLIN Kontaktverbot, Quarantäne, Homeoffice auf engem Raum mit der Familie: Die psychische Gesundheit von Bürgern sei in der Corona-Krise gefährdet, warnt Iris Hauth, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. „Andauernde Gefühle von Unsicherheit, Angst und Isolation erzeugen Stress und sind ein Risikofaktor für Gesunde,“sagt die ärztliche Direktorin der Alexianer St. Joseph Klinik in Berlin. Mögliche Folgen: Schlafstörungen, Angststörungen, depressive Gefühle. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie erwartet, dass ehemalige schwer betroffene Corona-Patienten, Ärzte und Pflegekräfte in und nach der Krise möglicherweise traumatisiert seien.
Verschlechtern könnte sich Hauth zufolge auch der Zustand von Menschen, die bereits psychisch erkrankt sind. Studien zufolge leiden zehn Millionen Menschen in Deutschland im Verlauf eines Jahres unter einer Angststörung. Mehr als fünf Millionen sind an einer Depression erkrankt. Etwa eine Million hat einmal im Leben eine Psychose. „In den Therapien arbeiten wir daran, dass Patienten aktiv ihre Tagesstruktur gestalten und unter Menschen gehen“, sagt Hauth. Nun seien viele Patienten isoliert und fühlten sich einsam. Versorgungsangebote entfielen. Psychiatrische Kliniken verschieben Behandlungen, um eine Versorgung von Menschen mit akuter Krise sicherstellen zu können. Wer seit Längerem einen Klinikaufenthalt geplant hat, muss also unter Umständen warten. Auch Tageskliniken reduzieren ihr Angebot.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe befürchtet einen Anstieg von Suiziden, wenn Depressive nicht ausreichend betreut werden. „Die Versorgungsqualität geht gerade in den Keller“, sagt der Vorsitzende Ulrich Hegerl. „Das könnte Leben kosten, die Zahl der Suizide steigen.“Depressionen seien jährlich die Ursache für die meisten Suizide. „Durch die krankheitsbedingte Interesse- und Antriebslosigkeit fällt es sehr schwer, den Tag zu strukturieren, mit der möglichen Folge, dass die Betroffenen auch tagsüber grübelnd im Bett liegen“, sagt Hegerl. Dass die Krise bei Gesunden eine Depression hervorruft, glaubt er im Gegensatz zu Hauth nicht. „Eine Depression ist eine eigenständige, oft lebensbedrohliche Krankheit, die weniger Folge schwieriger Lebensumstände ist, als viele glauben.“Hegerl empfiehlt Betroffenen, in der Quarantäne aktiv zu bleiben und einen Tagesrhythmus zu pflegen. Schlafzeiten sollten zum Beispiel nicht verlängert werden.
Besuche beim Psychotherapeuten sind weiter erlaubt, Therapien laufen aber auch per Videosprechstunde. Außerdem gibt es digitale Angebote wie fachlich moderierte Online-Foren. Die Depressionshilfe hat für Menschen mit leichten Depressionsformen für sechs Wochen den Zugang zum kostenfreien Selbstmanagementprogramm „iFightdepression“freigeschaltet. Anmeldung unter ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de.
Menschen in einer akuten seelischen Krise erhalten Hilfe rund um die Uhr unter 0800 1110111 oder 0800 1110222.