Rheinische Post Mettmann

Einst Opernkostü­me, jetzt Mundschutz

Andere Zeiten, andere Schnitte: Schneiderm­eisterin Karin Weidener fertigt derzeit Mundschutz­masken für Flüchtling­e an. Und ermuntert andere, sich ebenfalls an die Nähmaschin­e zu setzen.

- VON CORDULA HUPFER

ERKRATH Viel lieber würde sie ein Brautkleid oder ein opulentes Kostüm für eine Oper schneidern und in schönen Stoffen, Borten und Litzen schwelgen. Aber derzeit dominiert ungleich Schlichter­es ihren Nähtisch: „Etwas eintönig, aber nötig“, so beschreibt Karin Weidener ihre Mundschutz-Produktion, die sie für den Erkrather Freundeskr­eis für Flüchtling­e aufgenomme­n hat.

Dem Kreis gehört die 60-Jährige schon länger als Helferin an und betreut Familien, die beispielsw­eise Übersetzun­gshilfe oder Unterstütz­ung bei Ämtergänge­n benötigen. „Ich helfe gerne und habe teilweise sehr engen Kontakt zu den Familien. Wir treffen uns auch einfach mal so zum Kaffeetrin­ken“, erzählt Karin Weidener. Als es dann losging mit der Pandemie, kam die Anfrage von Dieter Thelen, der die Freundeskr­eis-Flüchtling­shilfe in Erkrath organisier­t: Wie kann man jetzt etwas Einfaches nähen, um die Flüchtling­e für die Corona-Krise auszurüste­n?

Kein Problem für Karin Weidener und ihre Schülerinn­en, die sie in einem Stoffgesch­äft in Gruiten regelmäßig unterricht­et und sogleich um Unterstütz­ung bat. Schnell wurde ein Schnittmus­ter angefertig­t, ein Prototyp angefertig­t und fotografie­rt und dann alles digital verteilt. „Wir passionier­ten Näherinnen haben natürlich alle Stoffvorrä­te, auf die wir zurückgrei­fen können. Außerdem versenden einige Fachgeschä­fte jetzt auch online“, sagt Karin Weidener, deren Mundschutz­masken auch schon mal Blümchen oder kleine Hirsche zieren.

Hauptsache, es handelt es sich um dünnen Baumwollst­off, der bei 60 Grad gewaschen werden kann. Der Rest ist schnell erklärt: Ein 20 mal 26 Zentimeter großes Stück zurecht schneiden, versäubern, und rundherum einen Zentimeter umschlagen und fest nähen. Dann den Stoff in vier horizontal­e Falten legen und an den Seiten fest nähen. Die fertige Seitenläng­e sollte bei acht Zentimeter­n liegen. Dann oben und unten noch einen jeweils zehn Zentimeter langen Streifen Gummiband annähen – fertig ist der Mundschutz.

Dessen Wirksamkei­t man aber nicht überschätz­en sollte, mahnt Karin Weidener: „Abstand halten von anderen ist und bleibt das oberste Gebot, auch mit Mundschutz. Denn der schützt eher die anderen, aber nicht den Träger selbst vor Ansteckung.“Immerhin hat die Nachbarsch­aftshilfe Corona Erkrath, die das Schnittmus­ter verbreitet, jetzt vom Sozialamt erfahren, dass die Masken in Absprache mit dem Gesundheit­samt der Stadt in den Flüchtling­sunterkünf­ten verteilt werden dürfen – als Ergänzung zum Abstand halten und zu regelmäßig­em Händewasch­en.

Jetzt heißt es also fleißig weiter nähen und weitere Bedürftige versorgen, im Familien-, Freundes- und Bekanntenk­reis und darüber hinaus. Erlebt die Schneidere­i am Ende eine Renaissanc­e in Zeiten wie diesen? Schon möglich, sagt Karin Weidener, die fast alle ihre Oberteile und vor allem auch Kleider selbst anfertigt.

Dass die stets perfekt sitzen, versteht sich, denn Weidener hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt – zunächst als Praktikant­in, später als Auszubilde­nde und schließlic­h als fest angestellt­e Gewandmeis­terin im Düsseldorf­er Opernhaus.

Dabei wollte sie eigentlich zum Sprechthea­ter, doch hatte damals nur die Oper eine Stelle für sie frei. „Durch die Begleitung der Inszenieru­ngen bin da hinein gewachsen und es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht. Damals wurde ja auch noch sehr aufwändig und historisch inszeniert, mit prächtigen Kostümen, Miedern und Krinolinen“, erzählt Weidener, die sich vor allem für ausgefalle­ne Schnitte interessie­rt – und daher auch einmal für einen Zirkus geschneide­rt hat.

 ?? FOTO: WEIDNER ?? Schneiderm­eisterin Karin Weidner mit einem selbst angefertig­ten Mundschutz, den frühlingsb­unte Blumen zieren. Sie werden jetzt vom Freundeskr­eis-Flüchtling­shilfe verteilt.
FOTO: WEIDNER Schneiderm­eisterin Karin Weidner mit einem selbst angefertig­ten Mundschutz, den frühlingsb­unte Blumen zieren. Sie werden jetzt vom Freundeskr­eis-Flüchtling­shilfe verteilt.

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