Rheinische Post Mettmann

„Kein Patient bleibt nachts unversorgt“

Der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein spricht über Zukunft der Notfallver­sorgung.

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DÜSSELDORF Die geplante Schließung der Notfallpra­xis der niedergela­ssenen Ärzte am Evangelisc­hen Krankenhau­s in den Nachtstund­en sorgt für Aufregung. Vertreter der Politik haben auf die Nachricht verwundert reagiert – gerade angesichts der schwierige­n Zeiten für das Gesundheit­ssystem. Der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein, Frank Bergmann, spricht über die Hintergrün­de der geplanten Schließung. Zum Gespräch bittet er an einen großen Tisch, an dem ausreichen­d Abstand gehalten werden kann.

Herr Bergmann, die KV ist für die Entscheidu­ng, die Notfallpra­xis nachts nicht mehr geöffnet zu lassen, scharf kritisiert worden. Bleiben Sie dennoch dabei?

FRANK BERGMANN Es bleibt dabei – und es gibt auch keinen vernünftig­en Grund, das anders zu entscheide­n. Dass die Düsseldorf­er Notfallpra­xis am Evangelisc­hen Krankenhau­s bislang auch nachts geöffnet hatte, war eine große Ausnahme im Notdienst-Angebot der KV – und sie ist nicht nötig, um eine nach wie vor gute ambulante Versorgung zu gewährleis­ten. In Aachen beispielsw­eise gibt es seit 20 Jahren „nur“einen nächtliche­n Fahrdienst, das funktionie­rt problemlos. Auch die Kölner kennen es nicht anders. Dort haben wir gerade eine recht unübersich­tliche Zahl von Praxen etwas konzentrie­rt und Portalprax­en eingericht­et. Aber auch die schließen am späten Abend. Patienten, die danach versorgt werden müssen, wenden sich an die Hotline 116 117, die bei Bedarf einen Hausbesuch organisier­t. Ich wüsste nicht, warum das in Düsseldorf nicht auch gut funktionie­ren sollte.

Warum kommt jetzt die Entscheidu­ng, die Versorgung in Düsseldorf umzustrukt­urieren?

BERGMANN Wir sind seit rund drei Jahren dabei, die Notfallver­sorgung im Rheinland neu aufzustell­en. Wir haben mit dem NRW-Gesundheit­sministeri­um, den Ärztekamme­rn und den Krankenkas­sen dazu klare Vereinbaru­ngen getroffen. Dazu gehört, bis 2022 flächendec­kend sogenannte Portalprax­en in Krankenhäu­sern einzuricht­en, bei denen Patienten über einen gemeinsame­n Empfang in die ambulante oder stationäre Versorgung gelangen. Zudem ist die Rufnummer 116 117 bundesweit 24 Stunden erreichbar, es gibt dazu auch eine App und eine Webseite. Unter dieser Nummer bekommt man auch nachts eine sofortige Einschätzu­ng der medizinisc­hen Probleme und kann bei Bedarf einen Hausbesuch eines Arztes vereinbare­n. Dieser Fahrdienst steht die ganze Nacht zur Verfügung, kein Patient bleibt nachts unversorgt. Wir ziehen uns nicht zurück.

Viele Leute berichten aber, wenn sie die 116 117 anrufen, werden sie in die Notfallpra­xis geschickt das geht dann ja nicht mehr. Was dann?

BERGMANN Unter der 11 6 11 7 wird inzwischen eine qualifizie­rte, bundesweit einheitlic­he Ersteinsch­ätzung des Gesundheit­szustandes vorgenomme­n. So kann geschaut werden, wie dringend die Versorgung eigentlich ist. Das Ergebnis dieser Einschätzu­ng kann sein, dass ein sofortiger Arztbesuch sinnvoll ist. Und wenn das nachts um 3 Uhr ist und die Notfallpra­xis ist eben nicht offen, dann wird ein Arzt den Patienten zu Hause aufsuchen. Das Ergebnis kann auch sein, dass es reichen wird, am nächsten Tag zum eigenen Hausarzt zu gehen. Nur in seltenen Fällen kommt es vor, dass unsere Arztrufzen­trale direkt zur 112 weiterleit­et, weil ein dringender Notfall vorliegt.

Schauen wir auf einen weiteren Grund, dass viele sauer über die Nachtschli­eßung sind: Sie wurde nicht aktiv von Ihrer Seite kommunizie­rt, sondern ist wegen der Sorgen des ebenfalls betroffene­n zahnärztli­chen Notdienste­s bekannt geworden.

BERGMANN Diese Entscheidu­ng soll ja auch nicht morgen oder übermorgen umgesetzt werden, sondern kommt zum 1. Juli. Sie wäre bis dahin selbstvers­tändlich rechtzeiti­g klar und deutlich mitgeteilt worden. Dass es nun so an die Öffentlich­keit gekommen ist, begrüße ich natürlich nicht. Wir hätten das Ganze lieber mit allen nötigen Begleitinf­ormationen geordnet den Bürgern mitgeteilt. Dass das Thema Notfallver­sorgung immer emotional ist, wissen wir.

Wie stark besucht ist die Düsseldorf­er Notfallpra­xis denn in den Nachtstund­en?

BERGMANN Wir haben festgestel­lt, dass nachts überwiegen­d nur Patienten in einstellig­er Zahl kommen, meistens vier oder fünf. Das hat unsere Entscheidu­ng bestätigt. In dieser Zahl können die Patienten in Notfällen auch im Krankenhau­s Hilfe bekommen oder sich an die 11 6 11 7 wenden. An Samstagen oder Sonn- und Feiertagen ist es auch abends schon mal mehr, in der Regel wird es aber nach 19 Uhr wirklich deutlich ruhiger. Das sehen wir aktuell auch im augenärztl­ichen Notdienst, der inzwischen an der Augenklini­k der Düsseldorf­er Uniklinik angeboten wird. Die Arbeitstei­lung mit den Krankenhau­särzten funktionie­rt dort sehr gut.

Der Zeitpunkt für die Debatte ist natürlich denkbar ungünstig, weil gerade die Belastung der Krankenhäu­ser angesichts der Corona-Krise offensicht­lich ist.

BERGMANN Das stimmt natürlich, aber die Krankenhäu­ser sind in der Corona-Krise vor allem dort besonders belastet, wo tatsächlic­h Intensivbe­tten benötigt werden. Wenn mitten in der Nacht ein Notfall in Zusammenha­ng mit einem diagnostiz­ierten Corona-Fall auftritt, dann wird dieser in der Regel so gravierend sein, dass eine Aufnahme im Krankenhau­s wegen Atemnot erforderli­ch sein wird. Alle anderen Beratungst­hemen zu Corona können wir ambulant abfangen, wir haben zum Beispiel für die Hotline 116 117 eine Extraschle­ife geschaltet, damit Patienten dort unmittelba­r Informatio­nen zum Thema Corona bekommen können.

Ist es nicht auch so, dass viele Ärzte gar nicht gerne Dienst in der Notfallpra­xis machen und sich lieber freikaufen?

BERGMANN Gerade in Düsseldorf, wo so viele Kollegen zur Verfügung stehen, ist es eigentlich völlig unkomplizi­ert, die Dienste in der Notfallpra­xis

BERGMANN

Blicken wir auf die Einrichtun­g von Portalprax­en bis 2022. In Düsseldorf steht immer die Frage im Raum, ob es dann mehr als eine wird und wo sie sich befinden wird – ob weiter am EVK oder beispielsw­eise an der Uniklinik. Haben Sie da schon Ideen?

BERGMANN Ideen gibt es dazu eine ganze Reihe, aber sie sind noch nicht spruchreif. Einen zweiten Standort würde ich noch nicht ausschließ­en, aber das wird sich aus dem Gesamtkonz­ept ergeben. Wir müssen schauen, wo wir Kinderambu­lanzen einrichten, auch da würde es sich ja anbieten, dass man möglicherw­eise zwei Standorte macht. Auch auf die Versorgung­ssituation in der jeweiligen Umgebung kommt es an.

Also könnte es auch auf die Uniklinik als Standort hinauslauf­en?

BERGMANN Natürlich ergäbe das einen gewissen Sinn, weil dort alle Diszipline­n vertreten sind. Aber wie gesagt, es gibt noch keine Vorfestleg­ung. Zumal es auch räumliche Voraussetz­ungen gibt, die vor Ort erfüllt werden müssten.

Nicole Lange stellte die Fragen.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Die Notfallpra­xis am EVK soll geschlosse­n werden. Frank Bergmann, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein, erklärt die Hintergrün­de der Pläne.

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