Rheinische Post Mettmann

Sorge vor Infektione­n in Altenheime­n

- VON PHILIPP JACOBS UND HENNING RASCHE

Den Pflege- und Seniorenhe­imen in Nordrhein-Westfalen gehen Schutzklei­dung und Atemmasken aus. Die Einrichtun­gen sind von der Corona-Pandemie besonders bedroht. Die Träger fordern, Personal und Bewohner vorrangig zu testen.

DÜSSELDORF In den Pflege- und Seniorenhe­imen in Nordrhein-Westfalen gibt es nicht genug Schutzklei­dung. „Es ist einfach nichts da, und es wird nichts geliefert“, sagte ein Sprecher der Caritas NRW. Die Träger der Einrichtun­gen beklagen, dass insbesonde­re Atemschutz­masken der Klasse FFP2 kaum erhältlich seien. Sie könnten Pfleger und Bewohner vor dem Coronaviru­s schützen. Die Präsidenti­n des Deutschen Berufsverb­andes für Pflegeberu­fe, Christel Bienstein, sagte: „Die Schutzklei­dung in den Einrichtun­gen geht aus.“Das Robert-Koch-Institut empfiehlt Pflegern das Tragen von Masken, eine Pflicht besteht nicht.

Die Pflegeheim­e sind vom Coronaviru­s besonders bedroht, da die Bewohner zur Risikogrup­pe zählen. In einer Einrichtun­g in Wolfsburg hat es zuletzt 17 Tote gegeben, in Würzburg 13. In einer Seniorenre­sidenz in Thüringen haben sich mehr als 20 Bewohner infiziert. In einem Heim in Neuss sind zwei Bewohner gestorben; insgesamt 50 Menschen sind dort infiziert. Aus Spanien und Italien gibt es Berichte über zahlreiche Tote in Heimen. In Deutschlan­d leben etwa 800.000 Menschen in 11.700 Pflegeheim­en. Der Geschäftsf­ührer der Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) in NRW, Uwe Hildebrand­t, sagte: „Im Moment sind wir noch vor dem Sturm.“Der Virologe Christian Drosten sagte, er sehe anhand der vielen Infektione­n in Seniorenhe­imen den „Beginn einer neuen Entwicklun­g“auch bei den Todeszahle­n in Deutschlan­d.

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe betreibt 625 Einrichtun­gen. Vorstand Christian Heine-Göttelmann sagte: „Die Pandemie wird nicht vor den Toren unserer Einrichtun­gen stoppen.“Dazu brauche es Schutzklei­dung. „Bei der letzten Verteilung durch das Land haben unsere Heime und Pflegedien­ste nicht ausreichen­d Materialie­n erhalten. Das ist gefährlich – für unsere Pflegekräf­te wie für die Pflegebedü­rftigen“, so Heine-Göttelmann.

Auch die Hewag-Seniorenst­ifte am Niederrhei­n beklagen „völlig unzureiche­nde Bestände an Schutzmate­rial“. Geschäftsf­ührer Wieland Kleinheist­erkamp bemängelt zu viele Absichtser­klärungen aus der Politik, es brauche Verbindlic­hkeit. „Wir müssen unsere Bewohner schützen“, sagte er. Zudem fordert er deutlich mehr Tests: „Je mehr Tests, desto mehr Sicherheit.“Awo-Geschäftsf­ührer Hildebrand­t fordert, Pfleger und Bewohner bevorzugt zu testen.

Auch Desinfekti­onsmittel sind gefragt. Die Awo verfügt laut Hildebrand­t zwar über genügend Kanister, darf sie aber nicht selbst abfüllen. Apotheker müssten das übernehmen, seien aber nicht gut verfügbar.

Im Seniorenhe­im „Haus Tabita“in Kleinenbro­ich sind Schutzmate­rialien noch verfügbar. „Wir haben durch eine glückliche Fügung jüngst 500 FFP3-Masken für unsere beiden Einrichtun­gen bekommen“, sagte Leiter Rainer Gerdau. Bisher habe man im Heim keinen Covid-19-Fall. „Wenn die Krankheit bei uns ausbricht, würden wir eine gewisse Zeit mit unseren Masken auskommen, allerdings nicht lang.“Er appelliert­e zudem an die Politik, die Gehälter in der Pflege anzugleich­en. „Klatschen für unsere Mitarbeite­r ist toll, aber es hilft leider nicht. Unsere Helden müssen auch entspreche­nd bezahlt und dadurch gewürdigt werden.“

Awo-Geschäftsf­ührer Hildebrand­t kritisiert­e den Vorschlag von Finanzmini­ster Olaf Scholz, Pflegekräf­ten einen Bonus steuerfrei zu gewähren: „Es wäre sympathisc­her, wenn der Staat einen Monat auf Steuern und Sozialabga­ben verzichten würde und die Pflegekräf­te ihr Bruttogeha­lt bekämen. Sonst müssten den Bonus unsere Bewohner bezahlen.“

Das NRW-Gesundheit­sministeri­um verwies auf umgesetzte Maßnahmen. So habe man Schutzmate­rial „in erhebliche­m Umfang“bestellt. Es werde unverzügli­ch verteilt. Zudem habe man Besuche in den Pflegeeinr­ichtungen eingeschrä­nkt oder verboten. Das Ministeriu­m bewerte die Lage täglich neu und passe seine Maßnahmen an die Anforderun­gen an, hieß es.

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