Rheinische Post Mettmann

Jeder Zweite ruft wegen Corona an

Die Zahl der Gespräche bei der Telefonsee­lsorge nimmt zu.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Wenn es bei der Telefon-Seelsorge klingelt, gibt es in diesen Tagen auch meist nur ein Thema: Corona. In der Regel sind es täglich mehr als 50 Anrufe, momentan steige ihre Zahl aber täglich, sagt Ulf Steidel, Leiter der Düsseldorf­er Telefonsee­lsorge. Normalerwe­ise sei die Klientel eher im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. „Viele Ältere sind zurückhalt­end, was die Inanspruch­nahme von Hilfe angeht.“Sprecherin Astrid Fischer zufolge ändert sich dies derzeit aber auch bundesweit: „In der Krise kommen auch ältere Menschen auf uns zu und haben Angst vor Isolation.“

Auch bundesweit nehmen die Gespräche zum Thema Corona-Krise zu. Fischer zufolge hatten in den vergangene­n Tagen rund 47 Prozent der Gespräche damit zu tun, zuvor waren es noch 25 Prozent gewesen, am 10. März sogar nur fünf Prozent. 40 Prozent der Anrufer waren Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. Dabei gehe es besonders häufig um Einsamkeit und Ängste.

Die Düsseldorf­er Zahlen entspreche­n Ulf Steidel zufolge dem Bundestren­d. Die Zahl der Anrufe steigt derzeit so stark an, dass seit ein paar Tagen vormittags eine zweite Leitung geschaltet wurde, berichtet Steidel, der ein Team von 120 Ehrenamtli­chen koordinier­t. Normalerwe­ise sei tagsüber eine Leitung offen, abends und nachts seien es zwei. Grundsätzl­ich betreue die Telefonsee­lsorge vor allem Menschen in einer existenzie­llen Krise, viele davon mit Suizidgeda­nken, sowie sozial isolierte Menschen.

„Dazu kommen jetzt natürlich diejenigen, die jetzt aufgrund der Lage einsam und besorgt sind“, sagt Steidel. „Es ist so ruhig, alles steht still. Wie kann ich damit umgehen?“sei etwas, das die Seelsorger derzeit immer wieder hörten. Der evangelisc­he Theologe, der auch selbst zwölf Stunden pro Woche am Telefon sitzt, geht davon aus, dass auch die Zahl der Senioren, die anrufen, noch zunehmen wird.

„Wenn diese sich nicht mehr mit ihren Familien treffen und rausgehen dürfen, werden sich bestimmt mehr bei uns melden.“Das treffe auch auf Menschen zu, die durch die Krise in berufliche und existenzie­lle Nöte gerieten, auf solche, die in Familien lebten, die durch das enge Zusammenrü­cken mehr Konflikte und Stress aushalten müssten und auf Menschen, die etwa auf die Tafel oder andere Hilfsangeb­ote angewiesen sind. „Sie alle sind in großer Sorge“, sagt Steidel.

Die Gespräche werden grundsätzl­ich anonymisie­rt geführt, die Ehrenamtli­chen sind speziell geschult worden. Seit 2008 leitet der 55-Jährige die Düsseldorf­er Einrichtun­g – und hat dabei vor allem eines gelernt, sagt er: Seelsorge sollte keine Ratschläge geben, vielmehr steht das Zuhören im Mittelpunk­t, der Versuch, die Ressourcen der Menschen wieder aufzubauen. Einsamkeit lindern, das sei das Ziel, so Steidel, und gleichzeit­ig Werte wie Einfühlung­svermögen und Respekt zu stärken.

Info Rund um die Uhr 0800 1110111 / 1110222 / 116123. Auch Chat oder Mail. Mehr unter telefonsee­lsorge.de

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