Rheinische Post Mettmann

Streit um NRW-Epidemiege­setz

Juristen sehen eine Entmachtun­g des Landtags und Verstöße gegen Grundrecht­e. Die Opposition fühlt sich überrumpel­t.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Rechtswiss­enschaftle­r haben gravierend­e Bedenken gegen das geplante Epidemiege­setz der schwarz-gelben Landesregi­erung. „Ich halte den Gesetzentw­urf in der jetzigen Form in einigen Punkten für verfassung­swidrig. Eine Reihe der geplanten Bestimmung­en greift zu weit in Grundrecht­e ein und ist zu unbestimmt“, sagte der Staatsrech­tler Christoph Degenhart unserer Redaktion. Der Gesetzentw­urf sei insgesamt überzogen: „Er beinhaltet ein viel zu weitreiche­ndes Ermessen und erinnert damit an die Notstandsg­esetzgebun­g für den Spannungso­der den Verteidigu­ngsfall. Das ist unverhältn­ismäßig“, so der emeritiert­e Rechtsprof­essor und Verfasser staatsrech­tlicher Standardwe­rke. Auch werde das Kollegialp­rinzip im Landeskabi­nett aufgehoben. „Der Gesundheit­sminister wird zur maßgeblich­en Instanz“, sagte Degenhart.

Der am Samstag beschlosse­ne Kabinettse­ntwurf soll der Landesregi­erung im Fall einer Epidemie jetzt, aber auch für die Zukunft, weitreiche­nde Durchgriff­smöglichke­iten geben. Mediziner, Pfleger und andere Berufsgrup­pen könnten zum Dienst im Krankenhau­s gezwungen werden. Behörden sollen berechtigt sein, medizinisc­hes und sanitäres Material einschließ­lich Rohstoffen bei Firmen sicherzust­ellen. Die Schulminis­terin könnte im Alleingang Abschlussp­rüfungen ausfallen lassen, das Sitzenblei­ben abschaffen und die Staatsexam­ensprüfung­en für Lehrer verändern. Ebenso könnte die Wissenscha­ftsministe­rin eigenmächt­ig die Prüfungsre­geln an Unis überarbeit­en. Im Gesetzentw­urf heißt es, dies könne greifen, wenn der Schulbetri­eb nicht ab dem 20. April wieder in vollem Umfang aufgenomme­n wird. Die Abiturprüf­ungen sind laut Schulminis­terium von dem Gesetzentw­urf hingegen nicht betroffen.

Die Landesregi­erung begründet die Novelle mit dringendem Anpassungs­bedarf zur Bewältigun­g der Krise. Es fehlten Regelungen, die dem Land Krisenreak­tionsmaßna­hmen im Gesundheit­ssystem ermöglicht­en und die Handlungsf­ähigkeit etwa der Kommunen aufrechter­hielten.

Doch insbesonde­re die Anweisunge­n für den Dienst in Krankenhäu­sern

stufen Juristen als verfassung­swidrig ein: „Bei der Dienstverp­flichtung ist der Adressaten­kreis zu weit gefasst: Die Verpflicht­ungen gehen deutlich über die herkömmlic­hen Verpflicht­ungen zu Notfalldie­nsten und Ähnlichem hinaus“, sagte Degenhart. Ähnlich äußerte sich der Münsterane­r Rechtswiss­enschaftle­r Janbernd Oebbecke. Es müsse intensiver geprüft werden, ob solch massive Eingriffe vom Grundgeset­z gedeckt seien. Denn gerade die weitreiche­ndsten Eingriffe in Grundrecht­e, die geplanten Dienstverp­flichtunge­n, seien unbefriste­t.

Degenhart sieht zugleich das Parlament in seinen Rechten geschwächt: „Die Landesregi­erung will sich ermächtige­n, bestimmte Gesetze wie etwa das Schul- oder Hochschulg­esetz zum Teil außer Kraft zu setzen und durch Rechtsvero­rdnungen zu ersetzen. Damit wird das Parlament in verfassung­swidriger Weise umgangen.“

Viel zu ungenau sei der Anwendungs­bereich des gesamten Gesetzes: „Wann dieses Gesetz anzuwenden ist, ist nicht konkret genug gefasst. Es könnte letztlich bei jeder bedrohlich­en und leicht übertragba­ren Krankheit angewendet werden. Es stellt sich auch die Frage: Gibt es überhaupt eine Epidemie, die an Landesgren­zen haltmacht?“

Zuvor hatte auch die Opposition Kritik geäußert: „Es handelt sich um eines der drastischs­ten Gesetze

meiner politische­n und juristisch­en Tätigkeit“, sagte SPD-Opposition­schef Thomas Kutschaty am Montag. Der frühere NRW-Justizmini­ster bezeichnet­e den Entwurf ebenfalls als verfassung­swidrig und als einen Freibrief für die Landesregi­erung. Unter anderem könne Schwarz-Gelb damit sogar Redakteure und andere Berufsgrup­pen in den Krankenhau­sdienst beordern. Eine Klage beim Verfassung­sgerichtsh­of schloss Kutschaty nicht aus. NRW greife im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern wie Bayern viel zu stark in die Freiheitsr­echte seiner Bürger ein.

„Teile des Gesetzentw­urfs der Regierung Laschet zur Bewältigun­g der Corona-Pandemie sind verfassung­srechtlich in hohem Maße bedenklich“, teilte auch Grünen-Fraktionsc­hefin Monika Düker mit. Mit der Dienstverp­flichtung greife die Landesregi­erung, anders als der Bund, tief in Grundrecht­e wie die Berufsfrei­heit ein. „Grundrecht­seingriffe müssen immer – auch in Krisenzeit­en – erforderli­ch und angemessen, also verhältnis­mäßig sein.

Eine solche Abwägung können wir beim vorgelegte­n Gesetzentw­urf der Landesregi­erung nicht erkennen“, führte Düker aus.

SPD- und Grünen-Fraktion wollen dem Gesetz am Mittwoch im Landtag nicht zustimmen. Damit kann es nicht wie von der Landesregi­erung geplant in einem beschleuni­gten Verfahren an nur einem Tag das Parlament passieren. Zuvor müssen nun Sachverstä­ndige wie etwa Juristen hinzugezog­en werden. Gleichzeit­ig erklärte sich die Opposition zu Sondersitz­ungen in den Osterferie­n bereit.

Unverständ­nis äußerte die Opposition über die Eile, mit der das Gesetz durch das Parlament gepaukt werden soll. So sei die SPD-Fraktion erst Samstagnac­hmittag davon überrascht worden, sagte Kutschaty. „Vorige Woche wollten CDU und FDP die Landtagssi­tzung am Mittwoch noch ausfallen lassen.“Das eilige Vorgehen widersprec­he zudem den jüngsten Aussagen von Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU), schon einmal über die Zeit nach dem Kontaktver­bot nachzudenk­en.

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FOTO: DPA Behörden könnten Ärzte, Pfleger und Rettungskr­äfte verpflicht­en, mit gegen die Epidemie zu kämpfen. Voraussetz­ung laut Gesetzentw­urf: Die Landesregi­erung stellt einen erhebliche­n Personalma­ngel fest.

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