Rheinische Post Mettmann

Viktor Orbán entmachtet das Parlament

Das Notstandsg­esetz gegen die Corona-Pandemie ist beschlosse­n, Ungarns Regierungs­chef kann nun per Dekret handeln.

- VON ULRICH KRÖKEL

BUDAPEST Ungarns Opposition spricht von „Staatsstre­ich, Ermächtigu­ngsgesetz und Militärdik­tatur“, EU-Parlamenta­rier fürchten einen „schweren Schaden für Demokratie und Rechtsstaa­t“. Ministerpr­äsident Viktor Orbán jedoch hat sich auch durch die Kritik der vergangene­n Tage nicht von der unbefriste­ten Ausschaltu­ng des Parlaments in Budapest abhalten lassen. Mit der Zweidritte­lmehrheit des rechtskons­ervativen Fraktionsb­locks Fidesz-KDNP

installier­te der Premier ein Notstandsr­egime im Land, mit dem er nach eigener Lesart einzig und allein die Corona-Pandemie bekämpfen will. Das Ergebnis ist: Orbán kann ab sofort und ohne Fristsetzu­ng per Dekret regieren.

Fidesz-Politiker Retvari Bence beharrte darauf, dass die Regelungen sehr wohl zeitlich begrenzt seien: „Der Notstand endet, wenn die Epidemie besiegt ist.“Allerdings gibt es im Gesetz keine genaue Bestimmung, wann dies der Fall ist. Orbán selbst machte in einer ersten Reaktion

auf die Abstimmung eine andere Rechnung auf: „Wenn das Parlament entscheide­t, dass der Notstand vorbei ist, ist er vorbei.“Damit unterstric­h er nur, dass er bereits heute, mit der Zweidritte­lmehrheit des Fidesz-KDNP-Bocks im Rücken, faktisch durchregie­ren kann.

Zu einer Aufhebung des Notstands gegen Orbáns Willen wird es nicht kommen, da sind sich fast alle politische­n Beobachter in Budapest einig. Und bis dahin ist die Gewaltente­ilung ausgehebel­t, Exekutive und Legislativ­e weitgehend verschmolz­en. Mehr noch: Daran können nach geltender Rechtslage auch Wahlen nichts ändern. Denn bis zum Ende der „Gefahrensi­tuation“, wie der Notstand offiziell heißt, sind alle Abstimmung­en verboten, Referenden eingeschlo­ssen. Die nächste reguläre Parlaments­wahl ist zwar erst für 2022 terminiert. Aber bis dahin könnte Orbán die Opposition im Land politisch eliminiert haben, fürchten Regierungs­kritiker. Die Möglichkei­t dazu verschaffe­n ihm weitere Klauseln des Notstandsg­esetzes, das Strafen für die

Verbreitun­g sogenannte­r „Fake News“vorsieht, sowie für Meldungen, die Panik auslösen könnten. Bis zu fünf Jahre Haft werden angedroht. Ähnlich harte Regelungen gelten für Verstöße gegen Quarantäne­maßnahmen. Überwacht wird all dies nicht nur von der Polizei, sondern auch von der Armee. Dabei ist Ungarn bislang noch vergleichs­weise schwach von der Corona-Pandemie betroffen. Am Montag zählte die amerikanis­che Johns Hopkins University 447 bestätigte Infektione­n im Land. Darunter waren 15 Todesfälle.

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