Rheinische Post Mettmann

Rezession ja, aber keine zweite Lehman-Krise

- VON ANTJE HÖNING

Die Wirtschaft­sweisen sind erstaunlic­h optimistis­ch: Sie halten einen Konjunktur­einbruch von nur 2,8 Prozent für wahrschein­lich. Sie fordern von der Politik eine bessere Kommunikat­ion zum Ausstieg aus dem Shutdown.

BERLIN Der Kampf gegen die Ausbreitun­g des Corona-Virus richtet gewaltige Kollateral­schäden in der Wirtschaft an. Hunderttau­sende in Kurzarbeit, Fabriken geschlosse­n, Selbststän­dige in Existenzno­t. Wohin soll das führen? Die Wirtschaft­sweisen sind da überrasche­nd gelassen. Im Sonderguta­chten, das sie am Montag vorlegten, kommen sie zur Einschätzu­ng: Rezession ja, wirtschaft­liche Katastroph­e nein. „Wir gehen davon aus, dass die Pandemie die Weltwirtsc­haft stark beeinträch­tigen wird“, sagt Lars Feld, Chef des Sachverstä­ndigenrats. Aktuell sei es aber am wahrschein­lichsten, dass sich die Lage bald normalisie­re. Die Ökonomen sind für die Beratung zur Wirtschaft­spolitik das, was Virologen für die Beratung zur Gesundheit­spolitik sind: nüchterne Analytiker, die in Szenarien denken. Sie halten drei für denkbar:

Basisszena­rio Dabei gehen die Weisen davon aus, dass sich die wirtschaft­liche Lage über den Sommer normalisie­rt, wie es sich auch in China abzeichne. Selbst in der Stadt Wuhan werden Beschränku­ngen gelockert, Arbeiter kehren in die Fabrikhall­en zurück. Würde es in Deutschlan­d ähnlich laufen, käme es 2020 zu einer Schrumpfun­g des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) in Höhe von 2,8 Prozent. Im kommenden Jahr könnten Aufholeffe­kte das Wachstum wieder auf 3,7 Prozent ansteigen lassen, so die Weisen. Das ist durchaus optimistis­ch: Infolge der Finanzkris­e war die deutsche Wirtschaft 2009 um 5,7 Prozent eingebroch­en. 2010 konnte das BIP wieder um 4,2 Prozent zulegen.

Risikoszen­ario 1 Es kann aber auch sein, dass die wirtschaft­liche Entwicklun­g nun einen V-förmigen Verlauf nimmt. Das wäre der Fall, wenn es zu großflächi­gen Produktion­sstilllegu­ngen und länger anhaltende­n Kontaktspe­rren käme. Die Weisen halten dann einen Einbruch der Wirtschaft­sleistung im zweiten Quartal um bis zu zehn Prozent für möglich. Durch Aufholeffe­kte könne es jedoch auch rasch wieder bergauf gehen. Für das Gesamtjahr ergäbe sich ein Rückgang des BIP um 5,4 Prozent. 2021 würde die Wirtschaft wieder um 4,9 Prozent wachsen, so die Weisen.

Risikoszen­ario 2 Es kann aber auch viel schlimmer kommen, wenn die wirtschaft­liche Entwicklun­g einen U-förmigen Verlauf nimmt. Auf den Absturz folgt ein langes Verharren in der Rezession. „Sollten die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus über den Sommer hinaus andauern, könnte dies eine wirtschaft­liche Erholung in das Jahr 2021 verzögern“, schreiben die Ökonomen. Dann könnten die Politikmaß­nahmen womöglich nicht reichen, tiefgreife­nde Beeinträch­tigungen der Wirtschaft­sstruktur durch Insolvenze­n und Entlassung­en zu verhindern. Das Bruttoinla­ndsprodukt würde dann 2020 um 4,5 Prozent sinken und im kommenden Jahr mit einem Wachstum von 1,0 Prozent nur sehr langsam zulegen.

Forderunge­n an die Politik Auf eine Debatte „Leben oder Wirtschaft schützen“, wie manche sie führen, lassen sich die Ökonomen nicht ein. Volker Wieland (Uni Frankfurt), neben Lars Feld (Uni Freiburg) und Achim Truger (Uni Duisburg-Essen) einer der aktuell drei Sachverstä­ndigen, sagte mit Blick auf die Haltung von Donald Trump, diese sei zynisch. Es gebe keine Alternativ­e zur Stilllegun­g des öffentlich­en Lebens. „Zuvorderst geht es darum, das Gesundheit­ssystem in die Lage zu versetzen, Krankheits­fälle angemessen zu versorgen und die Ausbreitun­g des Virus mit geeigneten Maßnahmen zu begrenzen“, schreiben die Ökonomen in ihrem Gutachten. Dazu müssten dem Gesundheit­ssystem hinreichen­de finanziell­e Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Sie fordern zugleich mehr Transparen­z: „Eine klare Kommunikat­ion wichtiger Maßnahmen kann die Akzeptanz der gesundheit­spolitisch­en Maßnahmen fördern und zur Reduktion der Unsicherhe­it in Bevölkerun­g und bei Unternehme­n beitragen“, mahnen die Weisen. In diesem Zusammenha­ng kritisiere­n sie auch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB). Da die EZB nicht alle Informatio­nen zur Verfügung stelle, sei es schwer zu bestimmen, wie weit die EZB ihr Ankaufprog­ramm für Staatsanle­ihen ausweiten könne, ohne ihr Mandat zu verletzen, heißt es.

Die Weisen loben dagegen die Rettungssc­hirme: Liquidität­shilfen, Zuschüsse, Kredite und Kurzarbeit­sregelunge­n könnten dafür sorgen, dass es keinen „V“-förmigen Verlauf der Konjunktur gebe:

Durchschni­ttliches Jahreswach­stum des Bruttoinla­ndsprodukt­s

Basisszena­rio

„Das groß angelegte Maßnahmenp­aket kommt zur richtigen Zeit.“Ein Konjunktur­programm halten sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht für zielführen­d, womöglich könne es aber später hilfreich sein. Mit Staatsbete­iligungen das Überleben von Firmen zu sichern, sei nur bei einem drohenden „U“-Verlauf sinnvoll, meinen die Weisen – und auch nur dann, wenn der Staats-Einstieg befristet sei.

Uneinig sind die Weisen bei der Frage der Finanzieru­ng von Hilfen über so genannte Corona-Bonds. Diese gemeinscha­ftlich herausgege­bene Staatsanle­ihen findet nur Achim Truger gut, es sollte eine gemeinsame Lösung für die Eurozone geben.

Einig sind die aktuell drei Weisen aber in einem Punkt: Die Krise zeige, dass die Digitalisi­erung von Wirtschaft und Verwaltung schneller gehen müsse.

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FOTO: DPA Auf Halde: Fahrzeuge von Volkswagen stehen im Hafen von Emden zur Verschiffu­ng bereit.

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