Rheinische Post Mettmann

Saisonarbe­iter verzweifel­t gesucht

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

In NRW fehlen wegen der Reisebesch­ränkungen 45.000 Helfer. Doch nächste Woche soll der erste Spargel geerntet werden – auch auf den Feldern von Willi Feiser. Ministerin Klöckner will jetzt Asylbewerb­er heranziehe­n.

DORMAGEN In diesen Tagen ist Willi Feiser mehr Krisenmana­ger als Landwirt. Er hat Stress, ständig klingelt sein Telefon. Gerade hat er den Kauf eines neuen Traktors abgeblasen, auch die Investitio­n in neue Spargelpfl­anzen für fünf Hektar Land ist vorerst vom Tisch. „Ich muss mich irgendwie über Wasser halten“, sagt der Landwirt, der eigentlich in die umsatzstar­ke Spargelsai­son starten will. Aber dieses Jahr ist alles anders. Eine Prognose zur Ernte wagt er nicht. Ihm fehlen die Helfer. Gerade mal 20 konnten anreisen, 80 müssten es sein. Mit einem Viertel der sonst üblichen Mannschaft kann Feiser 40 Hektar Spargel und fünf Hektar Erdbeeren nicht abernten. Zudem stehen wichtige Pflanzunge­n an, sonst ist die nächste Ernte in Gefahr.

So wie dem Bauern aus Dormagen geht es vielen. Die Reisebesch­ränkungen, die Deutschlan­d und andere Länder im Kampf gegen die Corona-Krise erlassen haben, bedrohen die Existenz vieler Obst- und Gemüsebaue­rn. Laut Landesregi­erung fehlen in NRW 45.000 Erntehelfe­r. Aus Polen und Rumänien kommen kaum noch Leute. Und wenn doch, haben sie eine Odyssee hinter sich. „Das geht an die Nerven“, sagt Willi Feiser. Tausende Euro hat er gezahlt, um zumindest 20 Kräfte nach Deutschlan­d zu holen, am Donnerstag kamen elf mit einem der letzten Flieger. Feiser hat Annoncen geschaltet und sucht auch über das Internet. Auf Plattforme­n wie www. daslandhil­ft.de können sich Freiwillig­e für solche Jobs bewerben.

Feisers Telefon steht nicht still, auch weil er Termine mit Interessen­ten hat. Jeden Tag führt er Vorstellun­gsgespräch­e im Schnelldur­chlauf. „Mehr als 30 haben sich gemeldet, zwölf haben aber schon wieder abgesagt“, sagt der 63-Jährige. „In den Gesprächen lassen viele offen, wie lange sie kommen

Wegen der Corona-Krise müssen Landwirte

auf Erntehelfe­r verzichten. Auch Landwirt Willi Feiser aus Dormagen-Gohr

braucht Helfer für seinen Spargel. können. Einige sagen, dass sie sofort weg sind, wenn ihr Chef ruft. Ich brauche aber zuverlässi­ge Leute, die nicht nur zwei oder drei Tage kommen, sondern länger.“

Der Landwirt will auf seinem Hof jeden willkommen heißen, sagt er. „Studenten, Asylbewerb­er, Arbeitslos­e, Kurzarbeit­er – das ist mir egal. Sie müssen nur wollen.“Die Verdiensta­ussichten: Mindestloh­n. Nach einem Punktesyst­em gibt es zudem Prämien für besonders fleißige Helfer, so Feiser.

Das Maßnahmen-Paket, das die Bundesregi­erung zur Unterstütz­ung bäuerliche­r Betriebe geschnürt hat, kommt den Helfern entgegen. Wer als Student beispielsw­eise BAföG in Anspruch nimmt, muss nicht fürchten, dass sein Spargelste­cher-Lohn angerechne­t wird. Auch Arbeitnehm­er, die in Kurzarbeit sind, können sich etwas dazuverdie­nen, ohne dass es berücksich­tigt wird – vorausgese­tzt, der Saisonarbe­iter-Lohn übersteigt nicht das übliches Nettoeinko­mmen. Ausländisc­he Saisonkräf­te, die bereits in Deutschlan­d sind, können nun 115 statt 70 Tage sozialvers­icherungsf­rei arbeiten.

Und es wird diskutiert, Asylbewerb­er auf die Felder zu schicken. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) hat vorgeschla­gen, Asylbewerb­er auch dann arbeiten zu lassen, wenn sie keine Arbeitserl­aubnis haben. Hierzu verhandelt sie mit Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) über eine Regelung. Der Chef der Flüchtling­shilfsorga­nisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, fordert, abgelehnte Flüchtling­e und Asylbewerb­er einzubezie­hen. Man habe versucht, diese „mit Arbeitsver­boten aus dem Land zu ekeln“, sagte Burkhardt dem „Redaktions­netzwerk Deutschlan­d“. Da man die Menschen aktuell nicht abschieben könne, schon weil es keine Flüge gebe, müsse man die Restriktio­nen aussetzen.

Spargelste­chen und Erdbeerpfl­ücken ist harte Arbeit. Trotzdem hofft Willi Feiser, bis nächste Woche noch Helfer zu finden. „Spargelste­chen kann man in wenigen Tage lernen“, sagt er. Wenn er nicht genug Erntehelfe­r bekommt, muss er Teile der Felder stehen lassen für die Vögel und andere Tiere. „Ich bin seit 35 Jahren im Geschäft, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“

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FOTO: H.-J. BAUER

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