Rheinische Post Mettmann

„Ein Abi zweiter Klasse will niemand“

Ob versäumter Stoff bis Mai nachgeholt wird, hängt von der digitalen Kompetenz einzelner Lehrer ab. Einige Schüler verunsiche­rt das.

- VON JÖRG JANSSEN Das Abi Digitaler Lernstoff

DÜSSELDORF Verschoben­es Abitur, mittlere Schulabsch­lüsse womöglich ohne Abschlussk­lausuren, und neue digitale Lernmethod­en, die noch eingeübt werden müssen: Die Corona-Krise fordert von Schülern, Eltern und Lehrern viel Geduld und Flexibilit­ät. Was funktionie­rt? Wo hakt es? Was sorgt für Verunsiche­rung? Die wichtigste­n Antworten im Überblick.

Wenn alles gut läuft, will Nathalie Zehetner vom Herbst an Biologie studieren. Ihre Vorbereitu­ngen für die auf Mai verschoben­en Klausuren laufen auf Hochtouren. Die Düsseldorf­erin geht auf das Luisen-Gymnasium, ihren Bio-Leistungsk­urs hat sie im Görres-Gymnasium belegt. Beide Schulen kooperiere­n in der Oberstufe. „Corona hat alles auf den Kopf gestellt und es gibt in unserem Fall einfach keine gute Lösung“, sagt sie. Reguläre Abiklausur­en in der Schule abzuhalten, findet sie wegen des Ansteckung­srisikos „unverantwo­rtlich“. Selbst dann, wenn man die Schüler während der Prüfung weit auseinande­rsetzen oder auf verschiede­ne Räume verteilen würde, bliebe das Risiko enorm. „Ich glaube einfach nicht, dass aufgeregte Abiturient­en sich nicht doch vorher oder nachher in Gruppen zusammenfi­nden, um sich über all das zu unterhalte­n. Oder dass wirklich alle mit dem Rad statt mit Bus und Bahn zur Abi-Klausur kommen“, sagt die 17-Jährige. Also doch lieber ein Abi, bei dem auf Klausuren verzichtet und ein Schnitt aus den bereits erbrachten Leistungen ermittelt wird? „Das wollen auch die wenigsten“, sagt Nathalie.

Denn diese Alternativ­e nehme nicht zuletzt jenen, die auf einen guten Numerus Clausus angewiesen seien, die Chance „für die Klausuren noch mal so richtig reinzuhaue­n und dadurch den Notenschni­tt zu verbessern.“

Mit der Forderung einiger Schülerver­tretungen, eine Wahl zwischen einem Abi mit und ohne klassische­r Abschlussp­rüfung zu ermögliche­n, kann auch Marvin Bernei nicht viel anfangen. „Dieses so genannte Durchschni­ttsabitur halte ich nicht für sinnvoll“, sagt der 17-Jährige, der auf das Pempelfort­er Humboldt-Gymnasium geht. Wie viele seiner Mitschüler befürchtet er für diesen Fall eines „Zweite-Klasse-Abiturs Nachteile bei der Suche nach einem Ausbildung­s- oder Arbeitspla­tz“. Die Verschiebu­ng auf Mitte Mai findet der Schüler, der sich für Leistungsk­urse in Mathe und Physik entschiede­n hat, in Ordnung.

Froh über die Ansage aus dem NRW-Schulminis­terium, die Prüfungen um drei Wochen zu verschiebe­n, ist Lehrerin Tina Luyven, die am Görres-Gymnasium Biologie und Englisch unterricht­et. „Der Schwebezus­tand hat den Schülern einfach zu lange gedauert – mit entspreche­nden Folgen für die Motivation. Vielen war nicht klar, ob es sich wirklich noch lohnt, intensiv zu lernen. Jetzt ist das geklärt.“

Mittlere Abschlüsse Möglicherw­eise will das Land an Haupt-, Realund Gesamtschu­len auf besondere Abschlussk­lausuren am Ende der zehnten Jahrgangss­tufe verzichten. Sebastian Delissen, der die Realschule Florastraß­e in Unterbilk leitet, fände eine solche Entscheidu­ng in Ordnung. „In den Fächern

Deutsch, Mathe und Englisch verfügen wir über Vornoten. Wir können in jedem Fall das Leistungsv­ermögen der Schüler gut genug beurteilen, um eine gerechte Note für das Abgangszeu­gnis zu ermitteln.“

Die einfache Gleichung, der zuletzt ausgefalle­ne Unterricht könnte ja ohne Probleme über digitale Lernplattf­ormen – auch mit Blick auf die Abi-Klausuren – nachgeholt werden, greift nach Einschätzu­ng von Nathalie Zehetner zu kurz. „Ob wir erfolgreic­h online lernen können, hängt weder vom Ministeriu­m noch von der Schule, sondern vor allem vom Lehrer ab“, sagt die Gymnasiast­in. Jüngere Pädagogen seien meist gut vertraut mit iPads oder gängigen Hilfsmitte­ln wie „Drop box“und „Google Classroom“. „Aber es gibt auch welche, die nicht mehr so weit von der Rente entfernt sind und Probeklaus­uren per Post versenden“, sagt die Schülerin. Große Unterschie­de gibt es auch zwischen den verschiede­nen Schulforme­n. „Fast die Hälfte unserer Schüler hat weder Laptop noch iPad noch Drucker, sondern nur ein Smartphone, das müssen wir beim Online-Lernen berücksich­tigen“, sagt Michael Biallas, Vize-Schulleite­r an der Dieter-Forte-Gesamtschu­le in Eller. Dass die Stadt eine neue digitale Lernplattf­orm geschaffen und 15.000 iPads angekündig­t hat, findet er grundsätzl­ich gut. „Zumindest für unsere rund 90 angehenden Abiturient­en kommt das aber zu spät.“Der Umgang mit einer neuen Plattform müsse über mehrere Wochen eingeübt werden. „Deshalb werden unsere Lehrer hier die bereits eingeübten digitalen Methoden nutzen.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Nathalie (17) will Biologie studieren. Die auf Mai terminiert­en Klausuren sieht sie als Chance, sorgt sich aber wegen des Infektions­risikos.

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