„Ein Abi zweiter Klasse will niemand“
Ob versäumter Stoff bis Mai nachgeholt wird, hängt von der digitalen Kompetenz einzelner Lehrer ab. Einige Schüler verunsichert das.
DÜSSELDORF Verschobenes Abitur, mittlere Schulabschlüsse womöglich ohne Abschlussklausuren, und neue digitale Lernmethoden, die noch eingeübt werden müssen: Die Corona-Krise fordert von Schülern, Eltern und Lehrern viel Geduld und Flexibilität. Was funktioniert? Wo hakt es? Was sorgt für Verunsicherung? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Wenn alles gut läuft, will Nathalie Zehetner vom Herbst an Biologie studieren. Ihre Vorbereitungen für die auf Mai verschobenen Klausuren laufen auf Hochtouren. Die Düsseldorferin geht auf das Luisen-Gymnasium, ihren Bio-Leistungskurs hat sie im Görres-Gymnasium belegt. Beide Schulen kooperieren in der Oberstufe. „Corona hat alles auf den Kopf gestellt und es gibt in unserem Fall einfach keine gute Lösung“, sagt sie. Reguläre Abiklausuren in der Schule abzuhalten, findet sie wegen des Ansteckungsrisikos „unverantwortlich“. Selbst dann, wenn man die Schüler während der Prüfung weit auseinandersetzen oder auf verschiedene Räume verteilen würde, bliebe das Risiko enorm. „Ich glaube einfach nicht, dass aufgeregte Abiturienten sich nicht doch vorher oder nachher in Gruppen zusammenfinden, um sich über all das zu unterhalten. Oder dass wirklich alle mit dem Rad statt mit Bus und Bahn zur Abi-Klausur kommen“, sagt die 17-Jährige. Also doch lieber ein Abi, bei dem auf Klausuren verzichtet und ein Schnitt aus den bereits erbrachten Leistungen ermittelt wird? „Das wollen auch die wenigsten“, sagt Nathalie.
Denn diese Alternative nehme nicht zuletzt jenen, die auf einen guten Numerus Clausus angewiesen seien, die Chance „für die Klausuren noch mal so richtig reinzuhauen und dadurch den Notenschnitt zu verbessern.“
Mit der Forderung einiger Schülervertretungen, eine Wahl zwischen einem Abi mit und ohne klassischer Abschlussprüfung zu ermöglichen, kann auch Marvin Bernei nicht viel anfangen. „Dieses so genannte Durchschnittsabitur halte ich nicht für sinnvoll“, sagt der 17-Jährige, der auf das Pempelforter Humboldt-Gymnasium geht. Wie viele seiner Mitschüler befürchtet er für diesen Fall eines „Zweite-Klasse-Abiturs Nachteile bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz“. Die Verschiebung auf Mitte Mai findet der Schüler, der sich für Leistungskurse in Mathe und Physik entschieden hat, in Ordnung.
Froh über die Ansage aus dem NRW-Schulministerium, die Prüfungen um drei Wochen zu verschieben, ist Lehrerin Tina Luyven, die am Görres-Gymnasium Biologie und Englisch unterrichtet. „Der Schwebezustand hat den Schülern einfach zu lange gedauert – mit entsprechenden Folgen für die Motivation. Vielen war nicht klar, ob es sich wirklich noch lohnt, intensiv zu lernen. Jetzt ist das geklärt.“
Mittlere Abschlüsse Möglicherweise will das Land an Haupt-, Realund Gesamtschulen auf besondere Abschlussklausuren am Ende der zehnten Jahrgangsstufe verzichten. Sebastian Delissen, der die Realschule Florastraße in Unterbilk leitet, fände eine solche Entscheidung in Ordnung. „In den Fächern
Deutsch, Mathe und Englisch verfügen wir über Vornoten. Wir können in jedem Fall das Leistungsvermögen der Schüler gut genug beurteilen, um eine gerechte Note für das Abgangszeugnis zu ermitteln.“
Die einfache Gleichung, der zuletzt ausgefallene Unterricht könnte ja ohne Probleme über digitale Lernplattformen – auch mit Blick auf die Abi-Klausuren – nachgeholt werden, greift nach Einschätzung von Nathalie Zehetner zu kurz. „Ob wir erfolgreich online lernen können, hängt weder vom Ministerium noch von der Schule, sondern vor allem vom Lehrer ab“, sagt die Gymnasiastin. Jüngere Pädagogen seien meist gut vertraut mit iPads oder gängigen Hilfsmitteln wie „Drop box“und „Google Classroom“. „Aber es gibt auch welche, die nicht mehr so weit von der Rente entfernt sind und Probeklausuren per Post versenden“, sagt die Schülerin. Große Unterschiede gibt es auch zwischen den verschiedenen Schulformen. „Fast die Hälfte unserer Schüler hat weder Laptop noch iPad noch Drucker, sondern nur ein Smartphone, das müssen wir beim Online-Lernen berücksichtigen“, sagt Michael Biallas, Vize-Schulleiter an der Dieter-Forte-Gesamtschule in Eller. Dass die Stadt eine neue digitale Lernplattform geschaffen und 15.000 iPads angekündigt hat, findet er grundsätzlich gut. „Zumindest für unsere rund 90 angehenden Abiturienten kommt das aber zu spät.“Der Umgang mit einer neuen Plattform müsse über mehrere Wochen eingeübt werden. „Deshalb werden unsere Lehrer hier die bereits eingeübten digitalen Methoden nutzen.“