Dr. Ghouzis Nummer gegen Corona-Kummer
Mehr als 160 Düsseldorfer haben bereits die Hotline des ärztlichen Leiters der Notaufnahme an der Schön-Klinik angerufen. Und das aus sehr unterschiedlichen Gründen.
DÜSSELDORF Ammar Ghouzi atmet schwer und auch etwas laut, als er an sein klingelndes Handy geht. „Oh, ich störe wohl bei etwas privatem“, sagt der Mann überrascht am anderen Ende der Leitung. Ghouzi lacht laut – und versichert, dass er gerade nicht so privat beschäftigt ist. „Ich jogge schon seit einer Weile und dachte, dass ich den Anruf trotzdem annehmen kann.“Dann lachen beide Männer. Ghouzi kann dem jungen Auszubildenden allerdings nicht das sagen, was dieser eigentlich hören will: „Er war positiv auf das Coronavirus getestet worden und wollte, dass ich ihm sage, dass es okay ist, trotzdem spazieren zu gehen.“
Vor drei Wochen hat der ärztliche Leiter der Notaufnahme an der Schön-Klinik eine Hotline für Fragen zum Coronavirus gegründet. Immer wieder waren bereits zuvor Anrufer bei ihm in der Notaufnahme gelandet, weil sie jemanden suchten, um über die aktuelle Lage, über Sorgen und Ängste zu sprechen. „Und jeder weiß ja, dass eine Notaufnahme 24 Stunden täglich besetzt ist“, sagt Ghouzi und lächelt. So kam der 42-Jährige, der an der Heerdter Klinik schon acht Corona-Patienten behandelt hat, auf die Idee, eine Corona-Hotline zu starten: Er rief einen Techniker des Hauses an und sagte, dass er eine Telefonnummer brauche, die leicht zu merken ist. Er bekam die 0211 56711111.
Die Hotline ist ein Ein-Mann-Betrieb: Ghouzi beantwortet 24 Stunden
am Tag, sieben Tage die Woche die Anrufe. Und so passiert es eben nicht selten, dass man den Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie sowie Notfall- und Intensivmedizin außerhalb seines Dienstes am Heerdter Krankenhaus erreicht (er hat eine Rufumleitung auf sein privates Handy). Mehr als 160 Menschen haben bislang die Nummer angerufen, 70 Prozent sind Männer.
Unter den ersten Anrufern war eine Frau, die seinen Rat dazu einholte, ob sie noch chinesisch essen gehen könne. Inzwischen geht es meist um andere Themen: „Ein Großteil der Anrufer möchte sich über die aktuelle Situation um die Grippewelle informieren. Viele haben selber Symptome und wissen nicht, was zu tun ist. Hausärzte und das Gesundheitsamt sind nur schwer zu erreichen.“Immer häufiger geht es auch darum, dass man mit der verordneten sozialen Distanz nicht zurecht kommt, sich einsam fühlt oder eine regelrechte Todesangst verspürt, das eigene Heim zu verlassen.
Gerade Singles und Senioren tut es tut, mit jemandem darüber zu sprechen. „Oftmals ist das Telefon die einzige Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen“, sagt Ghouzi. Viele würden sich „ihren Kummer von der Seele sprechen wollen“. Einige Anrufer haben inzwischen aber auch existenzielle Ängste, sorgen sich, ihren Job zu verlieren. Manchmal rufen wiederum Ärzte die Hotline ein, um eine zweite Meinung zu einem Patienten einzuholen.
Der älteste Anrufer war 94 Jahre alt. „Er wohnt in der Nähe der Klinik und weinte am Telefon. Er fühlte sich zwar gesund, hatte aber Angst, dass er sich anstecken, dass er zu den gehören könnte, die als Erstes sterben“, sagt Ammar Ghouzi. Er versucht dann, Beistand zu leisten, Trost zu spenden und etwa darüber aufzuklären, dass ein Test nicht die Antwort auf alle Fragen sein kann. Die Corona-Krise sei für jeden ein „psychologischer Stresstest“. Eins sagt Ghouzi seinen Anrufern daher oft: „Wir hatten zwar nicht viel Zeit, uns auf diese Situation vorzubereiten, wir tun aber alles Menschenmögliche, um diese Krise zu überstehen. Alle wichtigen Ressourcen arbeiten seit Wochen mit Hochdruck daran, der Pandemie entgegen zu stehen.“Das zu hören, tue vielen Menschen gut.
Nicht immer reicht allerdings das Gespräch. Dann macht der Notaufnahme-Leiter, der einst als Kleinkind von Aleppo nach Deutschland, wo sein Vater seine Facharztausbildung absolvierte, auf Hilfsangebote aufmerksam. Er empfiehlt etwa den sozial-psychiatrischen Dienst der Stadt oder Familie, Freunde, Bekannte oder Nachbarn um Einkäufe oder Erledigungen zu bitten.
Die vielen Gespräche tun auch Ghouzi gut. Er hat schon vor dem allgemeinen Kontaktverbot gespürt, dass Menschen aus Angst vor einer Ansteckung lieber auf Distanz zu ihm oder generell zu medizinischem Personal gehen. Seine Gespräche empfindet er daher immer als intensiv, ob sie zwei Minuten dauern oder länger. „Ich habe das Gefühl, dass ich dann bei den Menschen im Wohnzimmer sitze und ihnen in die Augen schaue. Und ich erkenne dabei immer mehr, welchen Stellenwert ein Gespräch haben kann.“Bei der Arbeit in der Notaufnahme sei er es gewohnt, kurz und prägnant zu sprechen.
Dass er immer Bereitschaft hat, macht ihm nichts aus. „Es ist schön zu sehen, dass ich den Menschen etwas geben kann, sie emotional abholen kann.“Dass macht er nicht nur, wenn man ihn anruft: Manch einen Anrufer ruft er von sich aus nach einigen Tagen zurück, um sicherzugehen, dass es ihm gut geht und um zu zeigen, dass jemand sich um ihn sorgt. Und auch damit kann er dann jemanden am anderen Ende der Leitung überraschen.