Rheinische Post Mettmann

Notbetreuu­ng in NRW auch für gefährdete Kinder

Schulen und Kitas müssen ab sofort von häuslicher Gewalt Betroffene aufnehmen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die CDU/FDP-Landesregi­erung will auch Kinder aus problemati­schen Elternhäus­ern in den Notbetreuu­ngen der Kitas und Schulen aufnehmen lassen. Das sieht eine Rechtsvero­rdnung vor, die am heutigen Freitag in Kraft treten soll. „Der Schutz aller unserer Kinder ist eine besonders wichtige Aufgabe. Darum haben wir mit den Beteiligte­n vor Ort intensiv diskutiert, wie wir gerade in der Krise Kinder vor Gewalt, Vernachläs­sigungen und Übergriffe­n bewahren können“, sagte NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP). Die Jugendämte­r erhielten die Möglichkei­t, die Notbetreuu­ng zu nutzen, wenn Kindeswohl­gefährdung nicht anders ausgeschlo­ssen werden könne. Die Entscheidu­ng treffe die Jugendamts­leitung oder eine von ihr benannte Person, hieß es aus dem Ministeriu­m. Die Betreuung für diese Kinder sei trotz des zurzeit in Kitas geltenden Betretungs­verbots möglich.

Nach den bisherigen Regelungen steht die Notbetreuu­ng nur Kindern offen, deren Eltern etwa als Ärzte oder Pfleger in „systemrele­vanten Berufen“arbeiten. In den Kitas müssen im Landesdurc­hschnitt derzeit nur zwei Prozent der Kinder betreut werden, in den Schulen nur ein Prozent. Kapazitäte­n seien daher ausreichen­d vorhanden, hieß es. Es gebe jedoch auch einige Einrichtun­gen, etwa in der Nähe von Universitä­tskliniken, wo der Bedarf deutlich darüber liege.

Wie aus informiert­en Kreisen verlautete, sollen die Jugendämte­r bei Hinweisen auf eine Gefährdung des Kindeswohl­s möglichst

„Die Regelung ist zwingend notwendig und richtig“Ferdinand Claasen

in jenen Kitas und Schulen unterbring­en, die diese auch sonst besuchen. Die meisten der gefährdete­n Kinder seien den Ämtern ohnehin bekannt. Es soll künftig offenbar ausnahmswe­ise auch möglich sein, die empfohlene Gruppengrö­ße von fünf Kindern in den Kitas zu überschrei­ten. Das individuel­le Kindeswohl sei höher zu bewerten als der Infektions­schutz, hieß es. Im seltenen Fall müssten auch neue Gruppen gegründet werden.

„Die Regelung ist zwingend notwendig und richtig“, sagte Ferdinand Claasen, zuständig für Bildungspo­litik im Katholisch­en Büro NRW, unserer Redaktion. Ähnlich äußerte sich Helga Siemens-Weibring, Leiterin des Vorstandss­tabes beim Diakonisch­en Werk Rheinland-Westfalen-Lippe: Es gebe zahlreiche Hinweise, dass die Kita- und Schulschli­eßungen zurzeit die Lage gefährdete­r Kinder verschlimm­erten.

Zur Zahl betroffene­r Kinder gibt es derzeit keine landesweit­en Statistike­n. Allein in Dortmund seien es 75. Offizielle­n Zahlen zufolge geht die Gewalt in den Familien angeblich zurück. Fachleute führen dies aber darauf zurück, dass die Kinder quasi unsichtbar werden, während Auffälligk­eiten sonst von Erziehern und Lehrern gemeldet würden. Kinderschu­tzverbände rechnen infolge der Kontaktspe­rre hingegen mit zunehmende­r häuslicher Gewalt.

Der Lehrerverb­and VBE begrüßte die Ausweitung der Betreuung. „Die Schwächste­n zu schützen, ist in der jetzigen Situation nötiger denn je“, sagte der Landesvors­itzende Stefan Behlau. Schon jetzt versuchten Pädagogen, den Kontakt zu Kindern aufrechtzu­erhalten.

Referent für Bildungspo­litik im Katholisch­en Büro Nordrhein-Westfalen

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