Corona erreicht Flüchtlingslager
Vor drei Tagen wurde das Virus bei einer Frau aus einem griechischen Camp nachgewiesen. 20 Kontaktpersonen sind auch infiziert.
ATHEN/BERLIN Jetzt ist eingetreten, wovor Experten seit Wochen gewarnt haben: In einem griechischen Flüchtlingslager breitet sich das Coronavirus aus. Rund 20 Infektionsfälle wurden bisher festgestellt. Aber das ist wohl nur die Spitze eines Eisbergs, meinen Fachleute.
Seit Donnerstagmorgen ist das Migrantenlager von Ritsona abgeriegelt. Keiner darf hinein, keiner hinaus. Streifenwagen der Polizei blockieren die Zufahrtsstraßen zu dem Camp, das etwa 75 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt liegt. Nur das Personal und Bedienstete
MSF-Geschäftsführer
der staatlichen Gesundheitsbehörde Eody dürfen ins Lager. In Schutzanzügen gehen sie unter den fast 3000 Bewohnern auf die Suche nach dem Coronavirus.
Vor drei Tagen wurde der Erreger bei einer 19-jährigen Lagerbewohnerin nachgewiesen, als diese zur Entbindung in eine örtliche Klinik kam. Daraufhin testeten die Mitarbeiter des Gesundheitsamts 68 unmittelbare Kontaktpersonen der Frau. 20 von ihnen waren ebenfalls infiziert. Während das Camp nun unter strikter Quarantäne steht, gehen die Tests weiter.
Griechenland meldet bisher 52 Tote durch Covid-19 und 1415 nachgewiesene Corona-Infektionen, so der Stand vom Donnerstagmittag. Die Dunkelziffer der bisher nicht entdeckten Fälle könnte aber nach Expertenschätzungen zehnmal so hoch sein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Virus auch die Migrantenlager erreicht. Dort leben Zehntausende Menschen auf engstem Raum. Abstand halten, wie es jetzt empfohlen wird, ist dort nicht möglich. Die sanitären Bedingungen sind katastrophal, die ärztliche Versorgung völlig unzureichend – ideale Bedingungen für die Ausbreitung des Virus.
In Griechenland gibt es insgesamt 33 staatliche betriebene Migrantenlager,
davon 28 auf dem Festland und fünf auf den Inseln der östlichen Ägäis. Vor allem in diesen fünf sogenannten Hotspots, wo die aus der Türkei gekommenen Migranten registriert werden und Asylanträge stellen können, herrschen schlimme Zustände. Die Camps sind für gut 6000 Bewohner konzipiert, tatsächlich hausen dort aber mehr als 40.000 Menschen.
Griechische und internationale Hilfsorganisationen fordern seit
Wochen, die überfüllten Insellager zu evakuieren oder zumindest besonders gefährdete Bewohner, wie Alte und Kranke, anderweitig unterzubringen. Aber die griechische Regierung hat ein Problem: Sie weiß nicht, wohin mit den Menschen. Die Lager auf dem Festland sind ebenfalls voll belegt, der Bau neuer Camps verzögert sich, weil an den geplanten Standorten die örtliche Bevölkerung protestiert. Auch die von Athen immer wieder geforderte
Verteilung der Migranten auf andere EU-Staaten kommt nicht voran.
Am Donnerstag machte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) erneut auf die katastrophale Situation in den griechischen Inselcamps aufmerksam. Florian Westphal, Geschäftsführer von MSF in Deutschland: „Seit Wochen sehen wir eine Katastrophe auf die Lager zukommen und verzweifeln langsam, weil niemand sich verantwortlich zu fühlen scheint.“
Situation Griechenland hat aufgrund zahlreicher Inseln mit über 15.000 Kilometern nach Norwegen die zweitlängste Küstenlinie Europas und die elftlängste Küste der Welt. Das macht das Land zu einem Einfallstor für illegale Migration nach Europa.
Zahl Allein auf den Inseln in der Ostägäis leben in teils wild angelegten Flüchtlingslagern derzeit rund 40.000 Menschen. Die offizielle Kapazität liegt allerdings bei nur 6200 Plätzen.
„Seit Wochen sehen wir eine Katastrophe auf die Lager zukommen“
Florian Westphal
Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, die deutsche Zusage zur Aufnahme mehrerer Hundert Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern umgehend einzulösen. „Das Warten muss ein Ende haben. Wir müssen den Kindern jetzt endlich helfen“, sagte die CDU-Politikerin. Die EU solle die Flüchtlingskinder zügig zumindest an die Staaten verteilen, die die Aufnahme in einer „Koalition der Willigen“beschlossen haben und sich dazu trotz der Corona-Pandemie aktuell in der Lage sehen. Deutschland gehöre dazu. „Und Bundesinnenminister Seehofer muss jetzt zu seinem Wort stehen. Wir tragen dafür Sorge, dass die Kinder in Sicherheit kommen, bevor noch Schlimmeres passiert.“Die Kinder würden nach ihrer Ankunft in Deutschland auf das Coronavirus getestet und kämen zur Sicherheit in Quarantäne. Deutschland will vor allem kranke Kinder und ihre Familien sowie Mädchen aufnehmen.