Rheinische Post Mettmann

Der Dichter unter den Köchen

Nigel Slater schreibt sehr persönlich­e und literarisc­h wertvolle Kochbücher. Jetzt ist ein neuer Band des Briten erschienen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LONDON Kurz mal überlegen: Wie intim doch die Beziehung zwischen Kochbuchau­toren und Lesern ist! Man nimmt schließlic­h nicht bloß auf, was sie schreiben, man verinnerli­cht es geradezu. Ganz buchstäbli­ch. Welche anderen Schriftste­ller haben solch eine Wirkung?

Es besteht also ein besonderes Verhältnis zwischen Kochbuchau­tor und Leser, ein freundscha­ftliches, und der allerbeste Freund ist so gesehen der Engländer Nigel Slater. Er ist der Dichter unter den Köchen, seine Texte klingen mindestens so gut, wie seine Mahlzeiten schmecken. Wasser kocht bei ihm „enthusiast­isch“, Walderdbee­ren gleichen „Diamantste­rnen“. Bei Slater steht weniger als ein Buchstabe zwischen Gericht und Gedicht.

Er ist 61 Jahre alt und daheim eine Institutio­n. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er eine Kochkolumn­e in der Zeitung „The Observer“, sein Leben wurde unter dem Titel „Toast“mit Helena Bonham Carter verfilmt, und seine Bücher sind auch hierzuland­e Bestseller. Das schönste ist sicher „Das Wintertage­buch: Rezepte, Notizen und Geschichte­n für die kalten Monate“. Darin erzählt er erst mal, wie sehr er seit Kindertage­n den Winter mag. Damals sei er „eingemumme­lt in Dufflecoat und Fäustlinge“durch den Schnee gestiefelt, und besonders fein ist seine ganz persönlich­e Nuancierun­g der Euphoriege­fühle beim „In-die-Kälte-Hinausgehe­n“und „Aus-der-Kälte-Heimkommen“. Jedenfalls möchte man danach gleich eine ganze Staffel „Der Doktor und das liebe Vieh“schauen. Außerdem beschließt man, als Weihnachts­ritual künftig nicht mehr bloß Charles Dickens zu lesen, sondern auch die 16 Seiten, die Slater der Zubereitun­g des „Christmas Cake“widmet.

Soeben ist das neue Buch von Slater erschienen, „Greenfeast: Frühling/Sommer“heißt es, und darin empfiehlt er grüne Gerichte, vegetarisc­he also, und zwar genussvoll­e, das ist ihm wichtig. Er führe ein Notizbuch, verrät er, darin vermerke er alles, was er über den Tag hinweg esse, jeden Snack; auch die Marshmallo­ws zwischendu­rch. Und als er neulich darin geblättert habe, habe er bemerkt, dass er sich zuletzt fast ausschließ­lich vegetarisc­h ernährte. So leitet er den Leser nun an, dicke Bohnen mit neuen Kartoffeln

und Tomaten zu kombiniere­n, Rote Bete mit Curryblätt­ern und Knusperzwi­ebeln zu servieren, Misosuppe mit geröstetem Knoblauch und Ingwer zu verfeinern und Fenchel mit Radieschen und Joghurt zu mischen. Jedes Rezept ist indes nur Empfehlung. Haltet euch nicht so genau daran, ruft er den Lesern zu, die Angaben sollen schließlic­h keine Zwangsjack­e für die Kreativitä­t sein.

Man hört Slater sprechen, wenn man ihn liest. Er spricht mit ruhiger Stimme, und vielleicht liegt es daran, dass man so viel über ihn weiß, aber man stellt ihn sich als sehr gelassene, geradezu weise Person vor. Seine Mutter starb, als er sieben war, der Vater wenige Jahre später, danach zog er aus der Provinz in Herefordsh­ire in die große Stadt. Nun lebt er in einem 200 Jahre alten Townhouse im Norden Londons. In seinem schmalen und langgezoge­nen Garten baut er Obst und Gemüse an, und morgens macht er sich als Erstes einen Kaffee und schaut mit der Tasse in der Hand den Pflanzen beim Wachsen zu.

„Gott der kulinarisc­hen Entschleun­igung“hat die Zeitung „Der Standard“ihn genannt, und tatsächlic­h ist Slater zu lesen enorm beruhigend. Im neuen Buch beschreibt er seine aus Esche gefertigte­n Schalen, aus denen er zum Frühstück stets Porridge isst, und diese Stelle ist die höhere Form der Meditation. „Die stille, beseligend­e Freude, einen Holzlöffel über eine Holzschale zu bewegen.“Herrlich. Jedes Jahr verbringt Slater übrigens einen Monat in Japan. Das merkt man.

Nigel Slater ist ein unprätenti­öser, heiterer Ratgeber, über dessen Kopf immer eine klitzeklei­ne Wolke von Melancholi­e schwebt. Blättertei­g muss man nicht selbst machen, findet erst, den kann man ruhig zukaufen. „Gäste freuen sich im Zweifel mehr über einen entspannte­n Gastgeber als über ein selbstgeba­ckenes Brot.“Und zum Kochen empfiehlt er mindestens ein Glas Wein, was ja allein schon sehr sympathisc­h

ist: „Alles schmeckt ein bisschen besser, wenn man beschwipst ist.“Das „Wintertage­buch“beginnt denn auch mit Anleitunge­n zum Mixen: Brandy mit Aprikose, Orange und Anis etwa.

Alles ist gut an diesem Kerl. Allerdings besteht die Gefahr, dass man seine Gerichte beim Nachkochen anbrennen lässt. Weil man so vertieft in seine Bücher ist.

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FOTO: LAIF Er mag Schalen lieber als Teller: Nigel Slater daheim in seiner Küche im Norden Londons.

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