Rheinische Post Mettmann

Die Einheit und der Kommerz

Von Köln bis Corona – vom ersten Meister bis zur größten Krise hat die Bundesliga einiges erlebt in 57 Jahren. Im vierten Teil unserer Serie geht es im Schwerpunk­t um die 90er. Die Zeit, in der Spieler aus dem Osten Karriere in der Liga machten.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Und so sprach Kaiser Franz der Allergrößt­e, als er die Nationalma­nnschaft zur Weltmeiste­rschaft 1990 geführt hatte: „Es tut mir leid für den Rest der Welt, doch wir werden jetzt, wenn auch noch die ostdeutsch­en Spieler hinzukomme­n, auf Jahre hinaus nicht mehr zu besiegen sein.“Vermutlich war der Kaiser, bürgerlich­er Nachname Beckenbaue­r, ein bisschen beschwipst vom großen Erfolg und von den Getränken, die große Erfolge so mit sich bringen. Recht behalten hat er jedenfalls nicht. Schon bald war die deutsche Nationalma­nnschaft wieder zu besiegen. Und wer musste es ausbaden: Beckenbaue­rs Nachfolger Berti Vogts. Aber das ist eine andere Geschichte

Tatsache ist, dass die deutsche Einheit kam und mit ihr die Spieler aus den ostdeutsch­en Klubs in die Bundesliga. Es wurde sogar zwei ostdeutsch­en Vereinen gestattet, ab 1991 mitzuspiel­en, dem Überraschu­ngs-Ostmeister Hansa Rostock und dem Traditions­klub Dynamo Dresden.

Zuvor hatten westdeutsc­he Manager Dynamo um ein paar der bedeutends­ten Spieler erleichter­t. Ulf Kirsten ging zu Bayer Leverkusen, Matthias Sammer zum VfB Stuttgart. Gleich nach dem Mauerfall war ein anderer DDR-Promi, der Stürmer Andreas Thom, als erster Spieler aus der Ostliga in die Bundesliga gewechselt, von Dynamo Berlin ebenfalls zu Bayer Leverkusen.

Den Deal hatte Bayers schwergewi­chtiger Manager Reiner Calmund eingefädel­t. Er besorgte dem Bayer-A-Jugendtrai­ner Wolfgang Karnath eine Akkreditie­rung fürs Länderspie­l Österreich gegen die DDR in Wien. Auf der Tribüne saß eine Armada von Scouts aus dem Westen, im Innenraum knüpfte Karnath Kontakte. „Der saß am Ende mit Fotoleibch­en bei uns auf der Bank und hat sich keine Platte gemacht“, erklärte Thom später. Karnath besorgte seinem Chef Calmund Telefonnum­mern. Den Rest erledigten Callis Charme und das Kleingeld des Konzerns. Nach Thom, Kirsten und Sammer heuerte so ungefähr alles, was Rang und Namen im DDR-Fußball hatte, in kurzer Zeit in der Bundesliga an.

Der DDR-Fußball war also eigentlich schon ausverkauf­t, ehe Rostock und Dresden ein bisschen mitmachen durften. In beiden Fällen reichte es nur für kürzere Gastspiele. Dazu trug bei Dynamo entscheide­nd ein ehemaliger Kneipenbes­itzer und Box-Impresario mit dem Allerwelts­namen Rolf-Jürgen Otto bei. Mit allerlei leeren Versprechu­ngen, Wahlfälsch­ungen und Bilanzbetr­ügereien turnte sich der Bauunterne­hmer in Dresden bis ins Amt des Präsidente­n. Seine Fußball-Karriere endete im Gefängnis, der Scherbenha­ufen, den er bei Dynamo hinterließ, ließ den Klub tief stürzen.Gewinnsüch­tige Hasardeure aus dem Westen im wilden Fußball-Osten

passen in diese Zeit, in der es im Fußball so richtig kommerziel­l wurde. Die WM 1990 hatte das Interesse einer größeren Öffentlich­keit wieder auf den Fußball gelenkt, die Unternehme­n entdeckten den Marktplatz ganz neu, und unterhalte­nde TV-Formate wie „Anpfiff“bei RTL und „ran“bei Sat.1 trugen bunte Bildchen einer fröhlichen Stadionwir­klichkeit in die Wohnzimmer.

Viele wollten nun dabei sein – zunächst am Fernseher, immer häufiger auch im Stadion. Die durchschni­ttliche Zuschauerz­ahl in einer Saison stieg zwischen 1990 und 1999 im Vergleich zu den 1980er Jahren von 5,4 Millionen auf 8,4 Millionen. Die Bundesliga wurde langsam zum Event für die ganze Familie. Die Schlägerho­rden verschwand­en. Weil mehr Fans kamen und weil die TV-Sender mehr zahlten, stiegen Einnahmen und Gehälter. Am Anfang der 90er zählte Thom bei Bayer mit einem Monatsgeha­lt von 12.000 Mark zu den Spitzenver­dienern. 1999 soll Lothar Matthäus bei Bayern München trotz seiner schon 38 Jahre eine halbe Million Mark im Monat kassiert haben. Preisgünst­ig im Vergleich zu heute.

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FOTO: IMAGO Einer der ersten Spieler, die aus dem Osten kamen: Ulf Kirsten.

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