Die Einheit und der Kommerz
Von Köln bis Corona – vom ersten Meister bis zur größten Krise hat die Bundesliga einiges erlebt in 57 Jahren. Im vierten Teil unserer Serie geht es im Schwerpunkt um die 90er. Die Zeit, in der Spieler aus dem Osten Karriere in der Liga machten.
DÜSSELDORF Und so sprach Kaiser Franz der Allergrößte, als er die Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 1990 geführt hatte: „Es tut mir leid für den Rest der Welt, doch wir werden jetzt, wenn auch noch die ostdeutschen Spieler hinzukommen, auf Jahre hinaus nicht mehr zu besiegen sein.“Vermutlich war der Kaiser, bürgerlicher Nachname Beckenbauer, ein bisschen beschwipst vom großen Erfolg und von den Getränken, die große Erfolge so mit sich bringen. Recht behalten hat er jedenfalls nicht. Schon bald war die deutsche Nationalmannschaft wieder zu besiegen. Und wer musste es ausbaden: Beckenbauers Nachfolger Berti Vogts. Aber das ist eine andere Geschichte
Tatsache ist, dass die deutsche Einheit kam und mit ihr die Spieler aus den ostdeutschen Klubs in die Bundesliga. Es wurde sogar zwei ostdeutschen Vereinen gestattet, ab 1991 mitzuspielen, dem Überraschungs-Ostmeister Hansa Rostock und dem Traditionsklub Dynamo Dresden.
Zuvor hatten westdeutsche Manager Dynamo um ein paar der bedeutendsten Spieler erleichtert. Ulf Kirsten ging zu Bayer Leverkusen, Matthias Sammer zum VfB Stuttgart. Gleich nach dem Mauerfall war ein anderer DDR-Promi, der Stürmer Andreas Thom, als erster Spieler aus der Ostliga in die Bundesliga gewechselt, von Dynamo Berlin ebenfalls zu Bayer Leverkusen.
Den Deal hatte Bayers schwergewichtiger Manager Reiner Calmund eingefädelt. Er besorgte dem Bayer-A-Jugendtrainer Wolfgang Karnath eine Akkreditierung fürs Länderspiel Österreich gegen die DDR in Wien. Auf der Tribüne saß eine Armada von Scouts aus dem Westen, im Innenraum knüpfte Karnath Kontakte. „Der saß am Ende mit Fotoleibchen bei uns auf der Bank und hat sich keine Platte gemacht“, erklärte Thom später. Karnath besorgte seinem Chef Calmund Telefonnummern. Den Rest erledigten Callis Charme und das Kleingeld des Konzerns. Nach Thom, Kirsten und Sammer heuerte so ungefähr alles, was Rang und Namen im DDR-Fußball hatte, in kurzer Zeit in der Bundesliga an.
Der DDR-Fußball war also eigentlich schon ausverkauft, ehe Rostock und Dresden ein bisschen mitmachen durften. In beiden Fällen reichte es nur für kürzere Gastspiele. Dazu trug bei Dynamo entscheidend ein ehemaliger Kneipenbesitzer und Box-Impresario mit dem Allerweltsnamen Rolf-Jürgen Otto bei. Mit allerlei leeren Versprechungen, Wahlfälschungen und Bilanzbetrügereien turnte sich der Bauunternehmer in Dresden bis ins Amt des Präsidenten. Seine Fußball-Karriere endete im Gefängnis, der Scherbenhaufen, den er bei Dynamo hinterließ, ließ den Klub tief stürzen.Gewinnsüchtige Hasardeure aus dem Westen im wilden Fußball-Osten
passen in diese Zeit, in der es im Fußball so richtig kommerziell wurde. Die WM 1990 hatte das Interesse einer größeren Öffentlichkeit wieder auf den Fußball gelenkt, die Unternehmen entdeckten den Marktplatz ganz neu, und unterhaltende TV-Formate wie „Anpfiff“bei RTL und „ran“bei Sat.1 trugen bunte Bildchen einer fröhlichen Stadionwirklichkeit in die Wohnzimmer.
Viele wollten nun dabei sein – zunächst am Fernseher, immer häufiger auch im Stadion. Die durchschnittliche Zuschauerzahl in einer Saison stieg zwischen 1990 und 1999 im Vergleich zu den 1980er Jahren von 5,4 Millionen auf 8,4 Millionen. Die Bundesliga wurde langsam zum Event für die ganze Familie. Die Schlägerhorden verschwanden. Weil mehr Fans kamen und weil die TV-Sender mehr zahlten, stiegen Einnahmen und Gehälter. Am Anfang der 90er zählte Thom bei Bayer mit einem Monatsgehalt von 12.000 Mark zu den Spitzenverdienern. 1999 soll Lothar Matthäus bei Bayern München trotz seiner schon 38 Jahre eine halbe Million Mark im Monat kassiert haben. Preisgünstig im Vergleich zu heute.