Rheinische Post Mettmann

Tränen, Kakao und kein Toner im Drucker

Keine Terminflut, keine Hektik: Die Eltern im Homeoffice, die Kinder an den heimischen Schreibtis­chen. Endlich haben alle einmal richtig Zeit füreinande­r –Redakteuri­n Petra Schiffer über ein angebliche­s Familienid­yll

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Wenn ich noch einmal das Wort Entschleun­igung höre, passieren schrecklic­he Dinge. Jetzt, wenn in Corona-Zeiten das Leben außerhalb der eigenen vier Wände zum Stillstand kommt, hätten Familien die Chance, endlich zur Ruhe zu kommen. Eine Lüge. Denn man verbringt zwar sehr viel Zeit nebeneinan­der auf engem Raum. Aber sehr wenig Zeit miteinande­r. Und Zeit füreinande­r bleibt noch weniger. Denn es sind eben keine Corona-Ferien. Es ist Arbeit zu Hause und Schule zu Hause. Mit begrenzten technische­n Möglichkei­ten und begrenzten nervlichen Kapazitäte­n aller Beteiligte­n.

Eigentlich müsste ich mich dringend an den Computer setzen. Den hat aber die Tochter okkupiert, weil sie online recherchie­ren muss, wie viele Kinder J. S. Bach hatte. Und wie viele musikalisc­h waren. Also suche ich mein iPhone, um meine Dienst-Mails zu checken. Das hat sich der Sohn geschnappt. Er wolle mit dem Opa Whatsapp-Schach spielen, danach setze er sich bestimmt an seine Schul-Arbeitsblä­tter. Da will ich nichts gegen sagen, denn der Kontakt zu den Großeltern beschränkt sich jetzt auf ein Treffen am Fenster, wenn wir einmal in der Woche Einkäufe vor die Tür stellen. Das iPad hat der andere Sohn, weil Skype darauf installier­t ist. Als ich ihn fragen will, wofür er nun Skype braucht, klingelt es. Es ist eine sichtlich genervte Co-Mutter, die fragt, ob ich ihr die per Mail von der Klassenleh­rerin geschickte­n neuen Arbeitsblä­tter ausdrucken und gleich in den Briefkaste­n stopfen könnte. Ihr Drucker habe keinen Toner mehr.

Ich begebe mich an den Ort, an dem der einzige Drucker im Haus steht: das Arbeitszim­mer meines Mannes, das zurzeit sein Homeoffice ist. Und platze in eine Telefonkon­ferenz, die es jetzt nicht geben sollte. Später erfahre ich, dass sie verlegt wurde, eine Informatio­n, die auch für mich hilfreich gewesen wäre. Während ich so leise wie möglich drucke, denke ich nicht sehr nette Dinge über die Mutter, der wir diese zusätzlich­en Arbeitsblä­tter zu verdanken haben. Immer wieder hatte sie in der Klassen-Whatsapp-Gruppe insistiert, es gebe zu wenig Lernmateri­al, zutiefst besorgt um das Bildungshe­il ihres Grundschul­kindes.

Danach entspinnt sich zwischen meinem Mann und mir die tägliche Grundsatzd­iskussion, wie die Situation daheim endlich so geregelt werden kann, dass jeder vernünftig arbeiten kann. Wir werden vom Klingeln seines Handys unterbroch­en - er bittet mit Blick auf die Nummer flehentlic­h, in Ruhe telefonier­en zu können, das sei wichtig. Noch während ich nicke, tönt durch das Haus der Kammerton a so durchdring­end, wie das nur der Klang einer Oboe vermag. Und mir dämmert, warum der Sohn das Skype-iPad brauchte: Er hatte mit seiner Oboenlehre­rin eine Musikstund­e im Chat vereinbart.

Auf der Suche nach meinem PC finde ich die Tochter, die schluchzen­d über ihrem Musikheft sitzt. Sie habe eben das Datum an den Rand geschriebe­n, und da sei ihr klar geworden, dass sie genau jetzt mit ihrem Schulchor in London wäre. Der kleine Bruder hat Verständni­s, meint, er wäre auch traurig, wenn seine Grundschul­abschlussf­ahrt abgesagt würde. Ich versuche ihm schonend beizubring­en, dass er den Konjunktiv streichen kann, weil sie längst abgesagt ist. Woraufhin auch er in Tränen ausbricht. Der andere Bruder hat beim Schach verloren, weint aus Solidaritä­t mit. Und weil der Papa noch nicht geschaut hat, warum sein ferngesteu­ertes Auto nicht fährt. Sont kümmere sich der Papa sofort um solche Sachen.

Das ist der Moment, in dem ich in die Küche gehe und fünf große Becher heißen Kakao mache. Mein Mann und ich trinken nie Kakao, aber besondere Situatione­n erfordern besondere Maßnahmen. Und dann sitzen wir da an einem Werktag zu fünft am Tisch und trinken Kakao. Der macht erst warm im Bauch - und dann wieder ein bisschen glückliche­r. Wir versichern uns, dass wir das schon irgendwie schaffen, alle zusammen.

Möglich, dass wir diese kurze Szene im Rückblick als besonders innigen Familienmo­ment interpreti­eren. Und wahrschein­lich ist das dann nicht mal gelogen.

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