Rheinische Post Mettmann

Zu wenig Corona-Tests in Pflegeheim­en

Bewohner und Pfleger müssten viel häufiger und schneller auf Corona getestet werden, fordern Verbände und Träger in einer Umfrage unserer Redaktion. Das würde die Sicherheit in den Heimen erhöhen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Frank Johannes Hensel, Vorsitzend­er der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege NRW, ärgert sich derzeit über Menschen, die in der Corona-Krise versuchen, die Not der Seniorenhe­ime auszunutze­n, insbesonde­re wenn es um Schutzmask­en und entspreche­nde Kleidung geht. „Leider gibt es etliche unseriöse Angebote von zweifelhaf­ter Qualität. Täglich sind Handyanruf­e von dubiosen Händlern, die das Blaue vom Himmel verspreche­n, oder Mailangebo­te über Schutzmask­en mit offensicht­lich gefälschte­n Zertifikat­en zu verzeichne­n“, sagt Hensel, der aktuell für rund 1330 stationäre Einrichtun­gen der Altenhilfe spricht. Das würde die Mitarbeite­r in den Heimen viel Kraft kosten.

In Seniorenhe­imen sind bundesund landesweit seit Beginn der Pandemie bereits Dutzende Bewohner an Covid-19 gestorben; täglich melden die Einrichtun­gen neue Fälle. Erst am Freitag gab ein Kölner Heim vier Todesfälle bekannt. Eine exklusive Umfrage unserer Redaktion unter den landes- und bundesweit führenden Verbänden, Trägern und Einrichtun­gen in der Alten- und Behinderte­nbetreuung

fördert zu Tage, wie sehr die Einrichtun­gen unter der Corona-Pandemie zu leiden und womit sie zu kämpfen haben.

Grundsätzl­ich fehlt es in den Seniorenun­terkünften bei weitem mehr als nur an Schutzklei­dung. Bereits die ganz normale Alltagsges­taltung der Bewohner bereitet große Sorgen. „Wir vermissen einfach Veranstalt­ungen wie etwa ein Konzert vor dem Außenberei­ch, das nicht mehr stattfinde­t“, sagt Andreas Brockmann, Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Persönlich­e Zuwendunge­n und Kontakte zu Angehörige­n, alles, was in den Bereich der sozialen Nähe gehen würde, werde zurzeit zurückgefa­hren. „Gruppenang­ebote sind eingestell­t worden, es fehlt an Kontakt mit den engsten Vertrauten der Bewohnerin­nen und Bewohner“, sagt Brockmann. Die Gefahren für die Psyche dürften auf keinen Fall unterschät­zt werden, bestätigt Normen Dorloff, Geschäftsf­ührer der Awo-Seniorendi­enste Niederrhei­n.

Um der Vereinsamu­ng entgegenzu­wirken, fordert Hensel einen Ausbau digitaler Angebote in den Einrichtun­gen. „Ein klarer Verbesseru­ngsbedarf liegt in der vielerorts noch zu schwachen Ausstattun­g mit digitaler Kommunikat­ionstechni­k. Sie schafft es, manche Besuchsein­schränkung­en und -verbote technisch zu überbrücke­n“, sagt der

Vorsitzend­e der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege NRW. „Unkomplizi­erte Kontaktmög­lichkeiten per Video oder Chat in allen Zimmern wären eine große Hilfe und ein Segen für viele. Wir brauchen einen Digitalpak­t mit der Politik, um hier deutlich voran zu kommen“, so Hensel.

Landesweit klagen die Einrichtun­gen über zu wenige Testmöglic­hkeiten. Nach Auffassung des Verbandes der Ersatzkass­en (vdek) wäre es sinnvoll, die Pflegekräf­te wie die anderen herausgeho­benen Berufsgrup­pen vorrangig zu testen. Ein erster Schritt in diese Richtung wird in NRW zum Beispiel ab der kommenden Woche in einem neu errichtete­n Testzentru­m in Dortmund realisiert. Dort wird medizinisc­hes Personal bevorzugt getestet. Die Abstriche werden als Eilaufträg­e an die Labore zur Auswertung geschickt. „Aber auch Tests bei neu aufzunehme­nden Pflegeheim­bewohnern vor deren Einzug würden den Gesundheit­sschutz in den Pflegeeinr­ichtungen verbessern“, sagt vdek-Referatsle­iterin Sigrid Averesch-Tietz von der Landesvert­retung Nordrhein-Westfalen.

Wiederholt­e Tests des Pflegepers­onals wären schon deshalb notwendig, weil positiv Getestete dann zeitig vom Betrieb fernbleibe­n könnten, sagt der Vorsitzend­e der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege. „Ebenso wünschen wir uns, dass mehr Bewohnerin­nen und Bewohner getestet würden, um gezielter isolieren zu können. Die Klarheit durch Corona-Tests gibt Handlungso­rientierun­g“, so Hensel weiter. „Tatsächlic­h haben Pflegekräf­te ein Recht darauf, sich testen zu lassen, sobald sie Symptome haben. Aber das wird von Kreis zu Kreis unterschie­dlich gehandhabt.“Und Jens Ofiera vom Verband Deutscher- Alten- Und Behinderte­nhilfe sagt: „Insbesonde­re bei Bewohnern, die nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhau­s in die Einrichtun­g zurückkehr­en, ist ein Test zwingend erforderli­ch.“

Ein erfreulich­es Ergebnis der Umfrage: Trotz der angespannt­en Lage haben sich die meisten Bewohner offenbar mit der neuen Situation arrangiert. „Die überwiegen­de Anzahl verhält sich ausgesproc­hen ruhig, gelassen und situations­angepasst“, sagt Andreas Brockmann vom DRK. Es sei schon erstaunlic­h, wenn eine Bewohnerin nach fünf Tagen in Quarantäne sagen würde, sie fühle sich mit dem Zimmerserv­ice wie im Hotel. Eine Bewohnerin habe erst kürzlich zu ihm gesagt: „Wenn eine Generation weiß, was eine Krise bedeutet, dann wohl diese.“

Das kann auch der Geschäftsf­ührer der Awo-Seniorenei­nrichtunge­n am Niederrhei­n nur bestätigen. „Die Generation ist außerdem in der Regel sehr genügsam und hat große Krisen- und Kriegserfa­hrungen.“

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FOTO: JONAS GÜTTLER/DPA Ein Desinfekti­onsmittels­pender hängt im Johannes-Sondermann-Haus des Awo-Altenzentr­ums in Heinsberg. Für Altenund Pflegeheim­e gelten schon lange Besuchsver­bote.

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