Rheinische Post Mettmann

Ein denkwürdig­er Weg zurück ins Leben

Sabine Lahme erlebte ein persönlich­es Wunder rund um Ostern. 32 Jahre ist es jetzt her, dass sie aus dem Koma erwachte.

- VON BRIGITTE PAVETIC

DÜSSELDORF Kein anderes Fest ist für Sabine Lahme so bedeutsam wie das Osterfest. Als erfahrene psychologi­sche Beraterin, Beziehungs-Coachin und Mediatorin aus Düsseltal tritt sie dieses Jahr in eine neue Dimension: Ostermonta­g wird sie 60, und Ostersonnt­ag feiert sie zum 32. Mal ihre persönlich­e „Wiedergebu­rt“, weil sie gewisserma­ßen schon so gut wie tot war.

Es war der Tag, der ihr ganzes Leben verändern sollte. Zwei Geschwüre hatten sich durch ihren Dünndarm gefressen. „Durch eine Verkettung unglücklic­her Umstände brach mein gesamtes Körpersyst­em zusammen, es war schrecklic­h, und es war leider lebensgefä­hrlich.“Denn durch eine Bauchspülu­ng riss die Bauchschla­gader – oft ist das ein Todesurtei­l. Erinnern kann sie sich noch daran, dass sie in Vorbereitu­ngen war für das Osterfest, es war noch etwas kalt draußen, sie freute sich auf ein paar freie Tage. Nach einer dramatisch­en Not-Operation wurde sie in ein künstliche­s Koma versetzt. Die Ärzte kämpften um ihr Leben und hatten sie fast schon aufgegeben. „Die Zeit vor dem Koma war geprägt von unfassbare­m Schmerz, es war ein Dasein in der Grauzone zwischen Himmel und Erde.“An die Zeit im Koma habe sie keine Erinnerung, erzählt Lahme. „Es war also ein friedliche­s Osterfest.“

Als die Ärzte sie nach und nach aus diesem Ausnahmezu­stand zurückholt­en, nahm sie die Sonnenstra­hlen wahr, „die auf meinem Arm für sanftes Kribbeln sorgten“. Auch roch sie den Duft blühender Hagebutten, der sich für alle Zeiten in ihr Gedächtnis brannte – „ein betörender Duft“. Der See war noch gefroren, die Enten tappten putzig auf ihm herum und quakten. „Meine spontane Frage ans Klinikteam war: Habt ihr die Ostereier schon gefärbt? Und die lustige Antwort lautete: Nicht nur gefärbt, auch schon gegessen und verstoffwe­chselt.“Ostern 1988 war da schon vorbei. Für die Klinik war sie ein wandelndes Wunder. „Du warst der schwerste Fall meines Lebens, ich hätte nicht gedacht, dass du es schaffst“, sagte ihr später ihr behandelnd­er Arzt. In ihrer Krankenakt­e findet sich der Vermerk „wider Erwarten zurück ins Leben“. Lahme: „Da hatte wohl nur Beten, Beten, Beten geholfen.“

Lahme hat große Sympathien für ein chinesisch­es Zeichen. „Für Krise und Chance gibt es ein gemeinsame­s.“Sie machte was aus ihrer Krise, der fünf Jahre später – 1993 – auch noch eine daraufgese­tzt wurde, weil sie nach einem Rückenmark­sinfarkt zunächst an den Rollstuhl gefesselt war, sich dann aber erneut ins Leben zurückkämp­fte. „In einem Artikel las ich von einer Therapie, die beschrieb, dass bei 30 Prozent aller

Querschnit­tsgelähmte­n die Chance auf Genesung besteht. Eine junge und engagierte Physiother­apeutin begleitete mich auf meinem Weg zurück ins Leben ohne Rollstuhl.“Was dann kam, war der Weg zu sich selbst. Die gelernte Krankensch­wester für die Gerontopsy­chiatrie krempelte ihr Leben total um und verwirklic­hte ihren Traum, sie studierte Angewandte Psychologi­e, hat eine Expertise im Systemisch­en Coaching und betreibt mit ihrem Mann und Kollegen Michael Lahme seit 15 Jahren das Institut Lebens-Linie in Düsseltal.

„Rasten kommt für mich nicht in Frage, ich bilde mich immer fort, dieses Jahr schloss ich eine Fortbildun­g zur Mentorin ab.“2017 startete Lahme eine wöchentlic­he Kolumne im sozialen Netzwerk Facebook. Die erste drehte sich um Demut und Dankbarkei­t – „meine Lebensthem­en“. Aktuell kommt eine wochentägl­iche Corona-Kolumne hinzu mit

Impulsen für den Tag, die sie auf der Fotoplattf­orm Instagram veröffentl­icht. Eine kostenfrei­e Lahme-App gibt es auch, in Produktion ist ein Podcast für Audible für die Reihe „Der Moment“. Ihre Beratungen und Coachings macht sie mit viel Abstand persönlich, aber auch gerne per Videotelef­onie. Beziehunge­n seien gerade in einer herausford­ernden Situation. „Das erzwungene Zusammense­in bringt auch einige unterschwe­llige Konflikte ans Tageslicht.“Es sei aber auch eine Chance, darüber nachzudenk­en, wie man künftig leben wolle.

„Auf eigenen Beinen zu stehen, ein selbstbest­immtes und erfülltes Leben zu führen, dafür musste ich vieles auf mich nehmen.“Sie führt ein bewusstes Leben, isst kein Fleisch und keine Schokolade und trinkt keinen Alkohol. Immer an ihrer Seite ist im Geiste ihr Großvater Emil. „Er lehrte mich: Mache nur das, was du machen willst.“Ebenfalls

prägend für ihren Willen zum Wandel war der Unternehme­rgeist ihres Vaters. Der Traditions-Küfer, der Behälter und Gefäße herstellte, machte ab 1949 beruflich mit einem Getränkeha­ndel weiter und belieferte seine Kunden mit einem motorisier­ten Dreirad. „Beide lehrten mich, mich einfach zu trauen“, sagt Lahme: „Das ist auch das Kostbarste, was ich meinen Klienten mitgeben kann: Mut.“

Dieses Osterfest will sie mit ihrem Mann und ihren beiden Labradoren Franzy und Shiva in völliger Ruhe verbringen. Nach einer kleinen Runde mit den „Hunde-Omis“machen sich die beiden auf zu größeren Strecken über die Felder, beide sind große Naturfreun­de. Und wenn Sabine Lahme nach Hause kommt, dann schaut sie auf ihre Pinnwand. Jedes Jahr hängt sie einen neuen Spruch dort auf. Der für 2020 lautet: Das Leben muss nicht perfekt sein, um wundervoll zu sein.

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FOTO: LAHME Sabine Lahme ist psychologi­sche Beraterin mit einer Praxis in Düsseltal. Sie ist überzeugt: „Das Leben muss nicht perfekt sein, um wundervoll zu sein.“
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