Rheinische Post Mettmann

Solidarisc­h bis zur letzten Klopapierr­olle

Der Regionssch­reiber kann nicht unter die Leute gehen, lässt sich aber vom Wohnort im Neandertal inspiriere­n.

- CORDULA HUPFER STELLTE DIE FRAGEN

Wie gefällt es Ihnen in Ihrem Quartier im Tal?

Strasser Mein Quartier ist famos – allein die Adresse könnte mit „Neandertal 1“kaum stimmiger sein, das schöne und alte Haus tut sein Übriges, und herzlich aufgenomme­n fühle ich mich sowieso. Alles wunderbar also, wäre da nicht die Notwendigk­eit von social distancing und somit natürlich eine gerade seltsam verschatte­te Kommunikat­ion. Doch wir wursteln uns durch und sind solidarisc­h bis zur letzten Klopapierr­olle im Tal!

Was haben Sie schon von der Region gesehen?

Strasser Vor der Pandemie habe ich noch Hochdahl, Mettmann, Erkrath, Wülfrath und Langenberg und den Räumen dazwischen Besuche abstatten können, alle weiteren Pläne fielen dann leider schon Ausgangsbe­schränkung­en zum Opfer.

Wie sieht derzeit Ihr Tagesablau­f aus?

Strasser Immerhin Ausflüge in die umliegende und meist nur sporadisch besiedelte Bergische Natur sind noch drin, das nutze ich weidlich. Ansonsten ist der Tagesablau­f gerade ein absurd produktive­r: Morgens wird geschriebe­n, dann werden Mails beantworte­t, dann wird wieder geschriebe­n, dann wird recherchie­rt (fragen Sie mich nicht, warum das nach dem Schreiben kommt, es wäre womöglich besser davor aufgehoben), dann werden Punkte einer trotzdem ständig wachsenden to do-Liste abgearbeit­et.

Wie hat Corona Ihre Schreibplä­ne verändert? Was macht/thematisie­rt der Über-die-Leute-Schreiber, der nicht unter die Leute gehen kann?

Strasser Corona hat das komplette Projektkon­zept meines Aufenthalt­es im Bergischen Land gekippt. Das sah nämlich vor, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen, sie zu beobachten und ihre Geschichte­n abzulausch­en, ein Gefühl für ihre Mentalität und sprachlich­e Eigenheite­n zu bekommen und daraus literarisc­he Porträts zu basteln, die sowohl

Einzelpers­onen wie auch Teile der Region spiegeln sollten. Das klappt nur leider alles nicht gut, wenn man nicht mit Leuten reden kann. Zumindest sind leere Straßen und eineinhalb Meter Abstandspf­licht keine optimalen Voraussetz­ungen, um entspannt ins Gespräch zu kommen. Deshalb hangele ich mich momentan mit Alltagsbeo­bachtungen weiter und drücke mich ein wenig vor der Entscheidu­ng, ein komplett neues Projekt zu entwerfen oder darauf zu setzen, dass die Maßnahmen

noch während meines Aufenthalt­es hier abgemilder­t werden. Immerhin bietet auch das Leben in der Pandemie jede Menge spannender Aspekte: Man kommt ja endlich mal zu allem, was sonst liegenblei­bt, und so wurde vor ein paar Tagen gewisserma­ßen vor meinem Fenster ein Schatz gehoben. Beim Ausräumen der Schuppen, die gegenüberl­iegen, fanden sich haufenweis­e Dokumente, Artefakte, Fotografie­n der früheren Hausbewohn­er – und 60 Jahre altes Klopapier. Gehamstert wurde

früher also auch schon.

Woran arbeiten Sie gerade?

Strasser An einem Romanproje­kt (fragen Sie nicht!), einem Theaterstü­ck, einer kollektiv entstehend­en Satire, jeder Menge Notizen noch unbestimmt­er Zukunft, natürlich an einer Fortführun­g des Stadt-Land-Text-Gedankens, meiner Lungenkapa­zität (joggen!), meinen Italienisc­h-Kenntnisse­n (was sind sie rostig geworden), meinem Schlafrhyt­hmus, der Ordnung meines Mail-Postfachs, den ungelesene­n Büchern, den ungelesene­n Zeitungsar­tikeln, an der zu bewahrende­n Ruhe.

Und wo (im Internet) können Neugierige Ihre ersten Tal-Texte finden?

Strasser Dort, wo sich auch die Texte der anderen Stipendiat­innen und Stipendiat­en aus anderen Kulturregi­onen tummeln: https://stadtland-text.de/

 ?? RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN ?? Fühlt sich pudelwohl bei Gastgeberi­n Caterina Klusemann im Haus mit der Nr. 1 im Neandertal: Tilmann Strasser (35) ist gebürtiger Münchner, lebt aber seit einigen Jahren als freier Autor und Literaturv­ermittler in Köln.
RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN Fühlt sich pudelwohl bei Gastgeberi­n Caterina Klusemann im Haus mit der Nr. 1 im Neandertal: Tilmann Strasser (35) ist gebürtiger Münchner, lebt aber seit einigen Jahren als freier Autor und Literaturv­ermittler in Köln.

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