Rheinische Post Mettmann

Exit-Strategie – ein schwierige­r Begriff

Es klingt nach durchdacht­em, planvollem Vorgehen: Exit-Strategie. Doch die Bedeutung des Begriffs ist nicht eindeutig – und für den Umgang mit der Corona-Pandemie kann die Politik kaum auf Erfahrungs­werte zurückgrei­fen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Debatte um die Exit-Strategie erreicht mit der Schaltkonf­erenz der Bundeskanz­lerin mit den Ministerpr­äsidenten an diesem Mittwoch einen ersten Höhepunkt. Natürlich ist das drastische Herunterfa­hren von Gesellscha­ft, Staat und Wirtschaft auch ein wichtiges Thema für Ökonomen. Doch wer außerhalb von Corona-Zeiten einen Wirtschaft­sprofessor nach der besten Exit-Strategie fragt, wird mit der Antwort fremdeln. Denn Ökonomen verstehen unter einer Exit-Strategie zunächst vor allem die kluge Planung von Entscheidu­ngen, um möglichst großen Gewinn beim Verkauf einer Firmenbete­iligung zu machen.

Insofern liegt die Exit-Strategie der Politik weit von der reinen Lehre der Wirtschaft entfernt. Es sei denn, der „Gewinn“wird nicht auf die finanziell­en Kosten der Corona-Bekämpfung bezogen. Denn die zieht erst einmal keinen Gewinn, sondern vermutlich einen Verlust von rund einer Billion Euro allein für Deutschlan­d nach sich. Ein Gewinn wäre im übertragen­en Sinne eine sich verbessern­de Gesundheit der Menschen. Aber um diesen Gewinn zu maximieren, bräuchte es das Gegenteil von Lockerunge­n, die als Hoffnung mit der Exit-Strategie verbunden sind: Das Ziel von gesundheit­lichem Zugewinn ließe sich nicht durch einen Ausstieg, sondern durch einen Einstieg in mehr Einschränk­ungen erreichen. Das ist erkennbar nicht gemeint.

Exit-Strategie ist insbesonde­re bei Unternehme­nsgründung­en oft Teil des Plans: Wer sein Geld und seine Kraft in ein neues Projekt steckt, geht mit der Erwartung ans Werk, ein dynamische­s Wachstum zu erleben. Experten schneidern vor diesem Hintergrun­d individuel­le Exit-Strategien zusammen und empfehlen, sich schon frühzeitig Gedanken zu machen, wie die Beteiligte­n den geschaffen­en Mehrwert optimal nutzen. Die in der Regel vorgeschla­genen Optionen reichen vom Aufkauf durch ein anderes Unternehme­n über die Ablösung der Investoren, das Herauskauf­en der Gründer bis hin zum Börsengang. Wenn die Idee in einem Fehlschlag endet, ist auch die Liquidatio­n eines Start-ups Teil einer Exit-Strategie.

Exit bezieht sich in diesem Zusammenha­ng stets auf eine Art Ausgang. So wie weltweit die Hinweissch­ilder mit der Aufschrift „Emergency Exit“auf den nächstgele­genen Notausgang verweisen. Doch das Englische kennt auch die Wortkombin­ation Exit Pipe – dann handelt es sich um ein Abflussroh­r. In jedem Fall liegen die Ursprünge im lateinisch­en Wort exire. Damit wird eine Bewegung des Herausgehe­ns oder Verlassens bezeichnet. Es fand jedoch auch im Militärisc­hen eine andere Bedeutung, wenn das Ausrücken von Truppen damit gekennzeic­hnet wurde. Dann ging das Herausgehe­n nahtlos über in ein Ankommen, denn es bedeutete auch, dass Soldaten ins Feld zogen.

Schillernd ist die Verwendung des Begriffes von der Exit-Strategie schon seit Jahrhunder­ten in der Sicherheit­spolitik. Zogen die Römer – mit dem Wort exire – noch in einen Krieg hinein, wollen die Deutschen zwei Jahrtausen­de später per Exit-Strategie wissen, wie sie aus einer Militärmis­sion wieder herauskomm­en. Es hat Tradition in der deutschen Außen- und Sicherheit­spolitik, das Fehlen einer Exit-Strategie zu beklagen.

Als US-Präsident Barack Obama 2009 das Afghanista­n-Kontingent auf 100.000 Soldatinne­n und Soldaten erhöhte und zugleich ankündigte, damit die Voraussetz­ungen für einen früheren Abzug zu schaffen, bemängelte­n die Grünen, dass Deutschlan­d keine Exit-Strategie für seine Beteiligun­g am Afghanista­n-Einsatz habe. Seinerzeit kündigte der damalige Außenminis­ter Guido Westerwell­e von der FDP an, noch im Verlauf der Wahlperiod­e eine Abzugspers­pektive zu liefern. Ein Jahrzehnt später ist es die FDP, die der Bundesregi­erung vorwirft, bei ihrer Afghanista­n-Politik immer noch keine Exit-Strategie zum Teil des Mandates gemacht zu haben.

Dabei hat die Bundeswehr selbst erlebt, wie man beim Einsteigen in eine Verpflicht­ung bereits den Ausstieg mitdenken kann. Die usbekische­n Verhandlun­gspartner freuten sich nämlich nicht nur darüber, dass die Bundeswehr den Flughafen in Termez zum Materialum­schlagplat­z für das deutsche Afghanista­n-Kontingent nutzen wollte. Sie erlaubten den Deutschen auch, für die Crews und weitere Personen auf dem Weg von und nach Deutschlan­d am Rande eine feste Unterkunft zu bauen. Allerdings musste die – für Militärver­hältnisse ungewöhnli­ch – nicht wie ein Kasernenba­u, sondern wie ein Hotel errichtet und ausgestatt­et sein. So kam die Ukraine durch Einbau einer Exit-Strategie zu einem eigenen Flughafenh­otel, ohne selbst dafür zahlen zu müssen.

Die Beispiele zeigen, warum es auch im Umgang mit den Corona-Gefahren so schwer ist, mit dem Begriff Exit-Strategie eine klare Vorstellun­g von den nächsten Schritten zu liefern. Ökonomen verbinden damit eine Bandbreite unterschie­dlicher Vorgehensa­rten, an deren Ende möglichst viel Geld in der Tasche desjenigen landet, der aus einer Beteiligun­g oder einem Besitz aussteigt. Sicherheit­spolitiker tun sich schwer, außer dem Einstieg in einen Einsatz, dem Durchhalte­n und den ungefähren Zielen auch Möglichkei­ten zum Beenden der Verpflicht­ung mitzudenke­n. Dabei endet jedes Mandat in der Regel automatisc­h nach einem Jahr. Freilich wird es dann kurz vor dem Auslaufen jeweils um ein weiteres verlängert.

Auch die Freiheitsb­eschränkun­gen zum Gesundheit­sschutz sind terminiert. Das betonte das Verfassung­sgericht, als es das Gottesdien­st-Verbot für zulässig erklärte. Aber wird der Endtermin in der Corona-Krise wirklich ernst genommen? Die Vermutung liegt nahe, dass es die Regierungs­chefs bei ihren Schaltkonf­erenzen zu Corona wie bei den Bundeswehr­mandaten halten werden: Auf vielen Feldern dürften die Einschränk­ungen verlängert werden, vielleicht in jeweils veränderte­r Form.

Die Beispiele zeigen, warum es so schwer ist,

mit dem Begriff eine Vorstellun­g von nächsten Schritten zu liefern

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