Weniger Notrufe bei Rettungsdiensten
Trotz Schmerzen rufen viele Menschen in NRW nicht den Notarzt – laut Medizinern ein Risiko.
ESSEN Die Notaufnahmen der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen sind trotz der Corona-Pandemie leerer als sonst. „Wir verzeichnen einen deutlichen Rückgang beim allgemeinen Patientenaufkommen“, sagt Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen. Normalerweise würden dort monatlich rund 100 Patienten mit einem Schlaganfall eingeliefert. Im März seien es nur noch 60 gewesen. Einen Rückgang um etwa 50 Prozent habe es bei Herzinfarkt-Patienten gegeben.
„Offensichtlich rufen viele Menschen trotz Symptomen nicht den Rettungsdienst.“Da sonst viele Menschen aus NRW zu Ostern im Urlaub seien, müsse es aktuell eigentlich eher mehr Notfälle geben, sagt Kleinschnitz. Viele Menschen hätten Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus im Krankenhaus. Leichte oder vorübergehende Symptome
eines Schlaganfalls oder eines Herzinfarkts würden deshalb oft nicht ernst genommen.
„Ein Notfall bleibt ein Notfall“, stellt Kleinschnitz klar. „Beide Erkrankungen können in der Frühphase hervorragend behandelt werden. Wartet man zu lange, verliert man viele Behandlungsoptionen.“Auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie appelliert, bei Herzinfarkt-Symptomen sofort den Notruf zu wählen. „Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute“, sagte die Präsidentin der Gesellschaft, Barbara Casadei. Die Anweisung, zu Hause zu bleiben und nicht ins Krankenhaus zu kommen, gelte nicht für solche Patienten. Demnach gibt es einen europaweiten Rückgang bei Herzinfarkt-Einweisungen in Kliniken. Dafür kämen vermehrt Patienten, bei denen die Beschwerden bereits weiter fortgeschritten seien.
„Die Angst Herzkranker, sich in der Klinik mit dem Coronavirus zu infizieren, ist nicht berechtigt“, sagt
Nikolaus Marx, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin an der Uniklinik der RWTH Aachen. „Das Risiko, dass etwas passiert, wenn die Patienten bei diesen Symptomen nicht zu uns kommen, ist viel höher, als hier im Krankenhaus eine Coronavirus-Infektion zu erleiden.“Corona-Patienten würden isoliert und räumlich entfernt behandelt.
Christoph Kleinschnitz vom Uniklinikum Essen rät vor allem Angehörigen von Älteren und Alleinstehenden, die Warnzeichen ernst zu nehmen. Die soziale Kontrolle von Senioren beim Einkaufen, auf der Straße oder im Restaurant sei durch die Kontaktbeschränkungen weggefallen. „Ein Alarmsignal ist immer, wenn Symptome von der einen auf die andere Sekunde auftreten“, warnt er. „Plötzliche Schmerzen sollten hellhörig machen und ein Warnschuss sein.“
Bei Schlaganfällen treten unter anderem Seh- und Sprachstörungen,
Halbseitenlähmungen, Taubheitsgefühl in Armen und Beinen sowie Schwindel auf. Vor einem Herzinfarkt habe man oft Schmerzen in der Brust sowie ein Enge- oder Angstgefühl. Der Schmerz könne aber auch in den Magen oder Kiefer ausstrahlen.
Die Corona-Krise könne Herzinfarkte und Schlaganfälle sogar begünstigen, befürchtet Kleinschnitz. „Viele Menschen bewegen sich derzeit weniger und ernähren sich ungesünder. Außerdem kann eine hohe Personendichte zu Hause zu sozialem Stress führen.“Dieser erhöhe wiederum das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte.
Sorgen davor, wegen der Corona-Pandemie nicht bestmöglich behandelt werden zu können, seien unbegründet. Es gebe ausreichend Intensivbetten in den Krankenhäusern im Land. „Es ist absolut genug Platz für Notfallpatienten“, stellt Kleinschnitz klar. „Wir können jeden behandeln.“