„Eine Notfallverfügung ist ratsam“
Der Palliativmediziner rät dazu, Patientenverfügungen für den Fall einer Covid-19-Erkrankung anzupassen.
DÜSSELDORF Matthias Thöns, 1967 in Witten geboren, ist Anästhesist und seit 1998 als niedergelassener Palliativmediziner tätig. Er ist stellvertretender Sprecher der Landesvertretung NRW der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und setzt sich unter anderem als Buchautor für das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende ein.
Herr Thöns, müssen Menschen, die in einer Patientenverfügung die Maximaltherapie mit Beatmungsgerät ausgeschlossen haben, wegen der Corona-Pandemie etwas ändern?
THÖNS Patientenverfügungen beziehen sich in der Regel nicht auf die akute Notfallversorgung, wie sie etwa nötig wird, wenn ein Mensch durch eine Covid-19-Erkrankung ein Lungenversagen erleidet. Es ist also ratsam, zusätzlich zur Patientenverfügung eine Notfallpatientenverfügung aufzusetzen, in der man genau festhält, was im Notfall gemacht werden soll und was eben nicht.
Welche Optionen gibt es für eine solche Notfall-Verfügung?
THÖNS Im Prinzip gibt es drei Optionen. Wenn man sagt, ich bin gesund, hänge am Leben und möchte, dass im Falle eines schweren Lungenversagens alles bei mir unternommen wird, um mich am Leben zu erhalten, dann sollte man das so festhalten. Eine aktuelle Studie aus China zeigt allerdings, dass 97 Prozent der Menschen, die wegen Covid-19 auf der Intensivstation an die Beatmungsmaschine mussten, diese leidvolle Behandlung nicht überlebt haben. Die meisten waren alt und hatten diverse Vorerkrankungen. Wenn man diese Tortur also nicht über sich ergehen lassen will, kann man festhalten, dass man im Notfall intensivmedizinisch bestmöglich versorgt wird, aber ohne Wiederbelebungsversuche und ohne Beatmung. Oder man beschließt, dass man gar nicht auf der Intensivstation behandelt werden möchte, sondern soweit es eben zu Hause möglich ist. Dann wird man daheim palliativmedizinisch versorgt, und wenn es ernst wird, würde man
friedlich einschlafen.
Viele Menschen fürchten nach den schrecklichen Berichten über die Leiden von Covid-19-Patienten in anderen Ländern, dass sie elend ersticken müssen, wenn sie nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Ist das eine falsche Angst?
THÖNS In all den Jahren, in denen ich als Palliativmediziner arbeite, habe ich noch nicht erlebt, dass ein Patient ersticken musste. Bis jetzt zeigen die ersten Studien über das Coronavirus, dass es vor allem bei alten Menschen mit Vorerkrankungen zu schweren Verläufen kommt. Im Prinzip sterben da also Menschen an ihrem Lebensende an einer Lungenentzündung. Und man könnte ihnen genau dieselbe Hilfe gewähren, wie man das schon vor Corona getan hätte.
Nämlich welche Hilfe?
THÖNS Man sollte sie daheim oder im Krankenhaus palliativmedizinisch begleiten, damit sie nicht leiden müssen.
Wie kann man das im Falle einer Covid-19-Erkrankung daheim sicherstellen?
THÖNS Atemnot lässt sich lindern, indem man dem Patienten über eine Atemmaske hochdosierten Sauerstoff zur Verfügung stellt, auch auf dem Bauch liegen ist bei Covid-19 hilfreich. Im letzten Stadium kann dann auch Morphium verhindern, dass Menschen Erstickungsgefühle bekommen.
Was Sie bisher ausgeführt haben, betrifft Menschen an ihrem Lebensende. Aber was raten Sie jungen Menschen, die keine Vorerkrankungen haben und für die das Thema Patientenverfügung weit weg scheint?
THÖNS Auch wer jung und gesund ist, sollte mit Blick auf Corona eine Notfallverfügung aufsetzen. Darin können junge Menschen dann intensivmedizinische Versorgung einfordern. Es gibt zum Coronavirus bisher leider nur wenige Studien und die beziehen sich auf geringe Fallzahlen und auf Patienten, die im Durchschnitt 78 Jahre alt waren, die meisten von ihnen vorerkrankt. Wir wissen also noch nicht viel darüber, wie junge Menschen schwere Verläufe der Erkrankung überstehen. Allerdings wissen wir von längerfristigen Beatmungen, dass Überlebende nur selten zurück zu alter Lebensqualität finden, älteren
Menschen droht zu 90 Prozent eine Schwerbehinderung. Befragt man Menschen in anderen Zusammenhängen, wollen sie diese Aussicht für sich meist ausschließen.
Im Moment ist viel von Beatmungsgeräten die Rede. Als seien diese Apparate ein sicheres Mittel gegen den Tod. Was sagt das über unser Verhältnis zum Tod?
THÖNS Es zeigt einmal mehr, wie schwer es Menschen fällt, mit ihren Angehörigen über den Tod und ihre Vorstellungen von einem würdevollen Sterben zu sprechen. Beatmungsgeräte können bei akutem Lungenversagen Leben retten, aber in den meisten Fällen schieben sie das Sterben nur auf. Nach 14 Tagen muss die Maschine dann doch abgeschaltet werden, und der Sterbende war getrennt von seiner Familie und musste eine leidvolle Behandlung über sich ergehen lassen. Wer jetzt nicht mit seinen Eltern darüber spricht, wie sie im Fall eines Covid-19-Atemversagen behandelt werden wollen, wird die Entscheidung möglicherweise mit einem Arzt am Telefon unter Zeitdruck treffen müssen. Und das kann Angehörige ein Leben lang belasten.
Matthias Thöns