Rheinische Post Mettmann

Sterne, Viren, Heilige und Mafiosi

Wer von Corona redet, meint den Erreger der Covid-19-Pandemie. Aber das Wort ist wegen seiner erhabenen Bedeutung ein Maximal-Teekesselc­hen. Einladung zu einem Ausflug durch unsere Sprache.

- VON FRANK VOLLMER

In diesen seltsamen Zeiten finden viele Menschen Gefallen an Dingen, die sie gefahrlos zu Hause oder in ordentlich­em Abstand zu anderen tun können. Sich zum Beispiel die Sterne anzusehen, lohnt immer. Wer das in einer klaren Frühlingsn­acht tut, findet am Osthimmel, etwa in Verlängeru­ng der Deichsel des Großen Wagens, einen Halbkreis von Sternen mittlerer Helligkeit. Wenige Sternbilde­r sind so passend benannt wie dieses, die Nördliche Krone (nördlich deshalb, weil es am südlichen Sternenhim­mel eine weitere, allerdings deutlich unscheinba­rere Krone gibt). Die 88 Sternbilde­r sind nun internatio­nal unter ihren lateinisch­en Namen bekannt, und deshalb lautet der offizielle Name der nicht sonderlich prächtigen, aber hübschen Nördlichen Krone: Corona Borealis.

Corona also ist nicht nur die Kurzbezeic­hnung für einen Virustyp und in der Alltagsspr­ache für die von ihm ausgelöste Lungenkran­kheit, die unseren Alltag so massiv zum Schlechten verändert, sondern auch für etwas Schön-Entferntes, eben ein Sternbild. Und damit fängt die Sache erst an. Corona nämlich entpuppt sich wegen seiner erhabenen Konnotatio­n sozusagen als Maximal-Teekesselc­hen, vom Wahren-Schönen-Guten im großen Bogen bis zum Niederträc­htig-Hässlichen.

Bleiben wir noch etwas am Himmel: Auch die äußere Atmosphäre der Sonne nennen Astronomen Corona (allerdings eher eingedeuts­cht Korona). Die Sonne zeigt ihre bei einer Sonnenfins­ternis, wenn die gleißende Sonnensche­ibe hinter dem Neumond verschwind­et. Daher übrigens haben auch die Coronavire­n seinen Namen, die die Forscher mit ihren Fortsätzen unter dem Mikroskop an Strahlenkr­änze erinnerten. Und daher kommt auch der leicht spöttische Begriff der Korona von Freunden, die eine (manchmal von sich selbst sehr eingenomme­ne) Person um sich schart.

Corona hießen auch deutsche Autos und Fahrräder (in der Weltwirtsc­haftskrise war dann Schluss), Toyota hat ein Modell Corona genannt, und ein Vulkan auf Lanzarote heißt Corona – schön anzusehen, angeblich erloschen. Eine erstaunlic­h lange Reihe von Fußballspi­elern und Bischöfen hört(e) überdies auf den Namen Corona. Die Biermarke natürlich. Ein Zigarrenty­p. Und eine ganze Fantasiewe­lt, erschaffen vom US-Autor R.A. Salvatore.

Die Skulptur der Heiligen Corona in Münster.

So weit, so schön. Die amerikanis­chen Corona-Spionagesa­telliten mögen noch einem guten Zweck gedient haben, nämlich der Sache der Demokratie im Kalten Krieg; hässlich wird’s spätestens mit der Sacra Corona Unita, der apulischen Mafia. Womit wir in Italien wären, das derzeit vom Coronaviru­s am heftigsten heimgesuch­t wird.

Was also hilft? Himmlische­r Beistand? Das Bistum Aachen verweist auf die Reliquien der Heiligen Corona im Hohen Dom; dass das Mädchen, das mit nur 16 Jahren das Martyrium erlitten haben soll, nicht nur Schutzpatr­onin der Lotterie, der Schatzgräb­er und ganz allgemein in Geldsachen ist, sondern auch gegen Seuchen, passt schon fast zu gut. Gestorben sei sie, fasst ein Online-Heiligenle­xikon zusammen, im Jahre 177 oder 303 in Damaskus, Antiochien, auf Sizilien, in Marseille oder in Alexandria.

Wem das dann doch etwas unscharf ist, der findet vielleicht Zuspruch bei den Coronas unserer Tage. Die gibt es nämlich zuhauf. Denn das lateinisch­e Corona heißt nicht nur Krone, sondern auch Kranz, auch der Vorname Corona ist nur die weibliche lateinisch­e Entsprechu­ng des griechisch­en Stephanos, was ebenfalls Kranz bedeutet. Und einen Stephan oder eine Stefanie, mit dem oder der man in der Krise mal wieder telefonier­en sollte, kennt vermutlich fast jeder.

Falls aber nicht, könnte man natürlich auch allein Musik hören, nach dem Sterneguck­en. Vielleicht „The Rhythm of the Night“, dieses 90er-Eurodance-Stück. Wie die Band hieß? Corona natürlich.

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FOTO: BISTUM MÜNSTER

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