An Notre-Dame geht nichts voran
Vor einem Jahr zerstörte ein Brand die Kathedrale in Paris – die Renovierung läuft sehr schleppend. Und nun lähmt auch Corona den Wiederaufbau.
PARIS Trotzig ragen die beiden Türme von Notre-Dame in den blauen Himmel über Paris. Ich lebe noch, scheint die Kathedrale der Welt signalisieren zu wollen. Seit mehr als 800 Jahren trotzt dieses Bauwerk auf der Île-de-la-Cité allen Widrigkeiten und ist auch deshalb zu einem Wahrzeichen Frankreichs geworden.
In der Nacht des 15. April 2019 scheint das Ende dieses einzigartigen Bauwerks gekommen. Ein kaum zu bändigender Feuersturm tobt im Dachstuhl, einer einzigartigen Konstruktion aus tausenden Eichenbalken aus dem 13. Jahrhundert. Hunderte Feuerwehrleute kämpfen über Stunden gegen das rasende Flammenmeer, bis schließlich der 96 Meter hohe hölzerne Vierungsturm aus dem 19. Jahrhundert in sich zusammensackt und große Teile der Gewölbekuppel
mit in die Tiefe reißt.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündet: Innerhalb von fünf Jahren wird Notre-Dame wieder aufgebaut! Es sind kühne Worte, eine geradezu verwegene Prognose, doch es ist der hoffnungsvolle Satz, den die Franzosen in diesen Stunden hören wollen. Doch die ersten Einschätzungen der Schäden sind mehr als niederschmetternd. Das Mauerwerk hat widerstanden, doch Temperaturen bis zu 1000 Grad, Rauch, aber auch Löschwasser haben den Steinen schwerste Schäden zugefügt. Erst später wird sich herausstellen, dass eine immense Bleikonzentration in und um die Kirche – Hinterlassenschaft der geschmolzenen Dächer – ein großes Gesundheitsrisiko für Anwohner und Arbeiter am Bau darstellen.
Schnell wird klar, dass das Versprechen Emmanuel Macrons Makulatur ist, und ein Architekturwettbewerb
um den Ausbau wird zur Farce. Künstler aus aller Welt präsentieren ihre Ideen, die der Kathedrale neues Leben einhauchen sollen. Schwimmbäder oder ganze Eichenwälder sollen in der Dachkonstruktion entstehen, riesige goldene Flammen aus Stahl in den Himmel steigen, der Star-Architekten Norman Foster entwirft ein gigantisches Glasdach. Begleitet werden
Flammen und Rauch steigen am 15. April 2019 auf. diese Fantastereien kurzzeitig von einem kindisch anmutenden Kompetenzgerangel der Verantwortlichen beim Aufbau der Kathedrale.
Von alledem ist heute keine Rede mehr. Nur eine Sorge gibt es nicht: Geld ist genug vorhanden. Innerhalb weniger Wochen kamen fast eine Milliarde Euro an Spenden für den Wiederaufbau zusammen.
Im Moment tut sich nichts auf der Baustelle.
Doch alles andere gestaltet sich mehr als schwierig. Der Beginn des Wiederaufbaus muss immer wieder nach hinten verlegt werden. Schlimmer noch: Längst sind nicht einmal alle Schäden aufgenommen, auch die Sicherungsarbeiten sind ein Jahr nach dem Brand noch immer nicht abgeschlossen. Riesige Kräne stehen an der Baustelle, das Dach ist mit einer weißen Plane abgedeckt, die Fenster sind mit Folien verhangen, die mächtigen Strebebögen werden notdürftig mit Holz gestützt.
Das Problem ist es immer noch, das Gerüst vom Dach herunterzubekommen. „Das abzubauen, ohne dass das Gewölbe einstürzt, ist immer noch das Schwierigste“, sagt die frühere Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie koordiniert die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau. Vor dem Brand war das Baugerüst für Renovierungsarbeiten auf dem Dach aufgebaut worden. Diese Arbeiten waren wohl auch der Auslöser für das Feuer. In der Brandnacht war die rund 300 Tonnen wiegende Konstruktion geschmolzen und lastet nun auf dem Gewölbe, das deswegen droht zusammenzubrechen.
Doch nun sind die Arbeiten zum Erliegen gekommen. Der Grund ist das Coronavirus. „Die Schutzmaßnahmen, die die Arbeiter wegen der herrschenden Bleibelastung einhalten müssen, sind schon sehr hoch“, erklärt Ariel Weil, Bürgermeister des 4. Arrondissement, und es könne nicht noch eine zusätzliche Sicherheitsstufe draufgesattelt werden. Also ruhen die Arbeiten. Dabei sollte nun das Metallgerüst auf dem Dach demontiert, das Dach abgedichtet und die Orgel auseinander gebaut werden.
Das alles muss nun warten, bis die Ausgangssperre, die für ganz Frankreich gilt, aufgehoben wird.