Rheinische Post Mettmann

Hirsch in Hünxe wohl von Wölfen gejagt

- VON JÖRG ISRINGHAUS, HEINZ SCHILD UND MARTINA STÖCKER

Anwohner filmten die Szene, die sich nahe ihres Hauses abspielte. Experten sind sich ziemlich sicher, dass im Wolfsgebie­t Schermbeck nun zwei Raubtiere unterwegs sind. Schäfer und Nutztierha­lter zeigen sich beunruhigt.

HÜNXE Bei den Tieren, die am Wochenende auf einer waldnahen Wiese in Hünxe einen Hirsch hetzten, handelt es sich mit hoher Wahrschein­lichkeit um zwei Wölfe. Das erklärte Revierförs­ter Michael Herbrecht. Anwohner hatten die Szene gefilmt und ins Internet gestellt. Sie hatten die beiden Räuber auch vertrieben. „Wir hatten seit einiger Zeit Hinweise, dass es hier einen zweiten Wolf gibt“, sagte Herbrecht. Wie lange das Tier schon in der Gegend sei, wisse man nicht. Der Förster geht davon aus, dass die beiden Wölfe den Hirsch über mehrere Kilometer gescheucht haben, um ihn von seinem Rudel abzusonder­n.

„Ich hatte gehofft, dass

es noch ein wenig dauert, bis sich hier ein Rudel niederläss­t“

Kurt Opriel

Schäfer

Das Landesumwe­ltamt prüft die Aufnahmen derzeit. „Bisher können keine belastbare­n Aussagen zu dem Sachverhal­t getroffen werden, zum Beispiel zur Verifizier­ung des Standortes, um welche Tiere es sich konkret handelt oder ob sie sich natürlich verhalten“, so ein Ministeriu­mssprecher. Unabhängig davon gelte aber in allen Wolfsgebie­ten Nordrhein-Westfalens der Hinweis, dass Nutztierbe­stände geschützt werden sollten. Schermbeck ist seit Oktober 2018 als Wolfsgebie­t ausgewiese­n, weil sich dort die Wölfin „Gloria“angesiedel­t hat.

Neben Förster Herbrecht ist auch Jos de Bruin, der am Niederrhei­n Wölfe in einer Auffangsta­tion betreut, anhand der Video-Aufnahmen überzeugt davon, dass es sich um zwei Wölfe handelt. Die Nähe der Tiere zu einer Wohnsiedlu­ng sieht er nicht problemati­sch. „Wölfe meiden Menschen, nicht Gebäude.“Jos de Bruin hat Wölfin „Gloria“auf den Aufnahmen nicht erkannt, es können also auch zwei neue Wölfe sein. Im Alter von anderthalb Jahren lösen sich Jungwölfe vom Rudel und gehen auf Streifzüge, etwa 200 Wanderwölf­e gibt es deutschlan­dweit. „Wenn es aber Gloria ist, dann muss der Wolf an ihrer Seite ein Rüde sein, eine Fähe würde sie nicht akzeptiere­n.“

Heißt: Es könnte Welpen geben.

Wenn diese drei, vier Monate alt seien, müssten die Elterntier­e viel Futter ranschaffe­n. „Bis dahin muss man etwas unternomme­n haben.“Der Niederländ­er, der in Sonsbeck lebt, will die Schäfer in der Region beim Schutz vor den Wölfen unterstütz­en. „Da wird noch zu wenig gemacht – auch vom Land“, meint er. So ist zum Beispiel Wölfin „Gloria“geübt darin, Schutzzäun­e zu überwinden. „Deshalb muss ein neuer Zaun einen Überhang und richtig Strom drauf haben. Dann ist er nicht zu überwinden.“

Für den Hünxer Schäfer Kurt Opriel ist das alles „sehr beunruhige­nd“. Etliche seiner Tiere sind in den vergangene­n Monaten von „Gloria“gerissen worden, dazu verzeichne­t er bei seinen Schafen auffallend viele Fehlgeburt­en, etwa 20 bis 30 Tiere habe er so verloren. Das seien sozusagen die Spätfolgen der Wolfsansie­dlung. Einige seiner Kollegen in der Region hätten die Schafhaltu­ng schon aufgegeben.

„Wenn sich hier ein Rudel breit macht, ist das nicht nur für mich, sondern auch für das Land eine Herausford­erung“, sagt er. Denn möglicherw­eise würde das bedeuten, dass auch Großtiere bedroht seien, etwa

Kälber und Fohlen. Damit müssten auch andere Nutztierha­lter für entspreche­nde Schutzvork­ehrungen sorgen. „Das ist eine schwierige Situation“, sagt Opriel. Denn selbst Herdenschu­tzhunde würden gegen ein Rudel, das gemeinsam agiert, nur bedingt helfen. Deshalb hat er bislang darauf verzichtet, die teuren Hunde anzuschaff­en. Höhere Zäune hat Opriel schon, sie helfen aber nicht unbedingt. „Das kommt auf die Geschickli­chkeit der Wölfe an“, sagt er. Insofern schaut er besorgt in die Zukunft. „Ich hatte gehofft, dass es noch ein wenig dauert, bis sich hier ein Rudel niederläss­t.“

Laut Förster Herbrecht stammt der Hirsch wahrschein­lich aus einem 70 Tiere umfassende­n Rotwild-Rudel. Dazu gehöre auch ein Hirsch, der lahmt. „Wölfe sehen genau in der Bewegung eines Lebewesens, ob es alt, verletzt oder in schlechter Verfassung ist. Dann sehen sie ihre Chance“, sagt Experte Jos de Bruin. Herbrecht geht davon aus, dass der Hirsch durch Bisse verletzt worden ist. Allerdings soll es sich nach Einschätzu­ng des Försters nur um Fleischwun­den und nicht um große Verletzung­en handeln. Der Hirsch hat sich, wie auf dem Video zu sehen ist, mit seinen Vorderläuf­en gegen die Angreifer zur Wehr gesetzt, die ihn schließlic­h ziehen ließen – auch weil Anwohner sie vertrieben. Herbrecht machte sich später mit einem Hund auf, um den Hirsch zu suchen, doch konnte er ihn nicht finden.

Peter Malzbender, Vorsitzend­er der Kreisgrupp­e Wesel des Naturschut­zbundes (Nabu), kritisiert, dass das Video ins Netz gestellt wurde. Das sei Ausdruck der „Sensations­lust des Menschen“. Er hat auch kein Verständni­s dafür, dass versucht wurde, die Wölfe vom Hirsch zu vertreiben. Dies entspreche dem Bambi-Schema: der arme Hirsch und der böse Wolf. Aus seiner Sicht fördere dies die „Hatz gegen den Wolf“.

Die Tiere sind nach den Worten von Malzbender wegen des Futters hier, „weil wir so viel Wild in der Region haben“. Der Wolf trage dazu bei, den Wildbestan­d zu regulieren. Malzbender ist davon überzeugt, dass der Wolf in der Region bleiben und sich über kurz oder lang ein Rudel von fünf bis acht Tieren bilden wird. Malzbender: „Wölfe gehören in unsere Landschaft. Wir können dankbar sein.“

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SCREENSHOT­S: AUSSCHNITT VIDEO Anwohner in Hünxe filmten, wie zwei Wölfe einen Hirsch in die Enge trieben. Das Tier wehrte sich und konnte entkommen.

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