Firmen werden Lieferketten überdenken
Der Abteilungsleiter International der Industrie- und Handelskammer spricht über die Krisenfolgen für verschiedene Firmen.
Sie sind seit etwa einem halben Jahr im Amt und erleben eine Krise ungeahnten Ausmaßes. Sind Sie froh, dass Sie ein bisschen Vorlauf hatten?
FELIX NEUGART Wenn das kurz nach meinem Start hier in Düsseldorf gewesen wäre, wäre das in der Tat noch herausfordernder gewesen. Es hilft schon, wenn man ein paar Leute hier schon kennt, seine Netzwerke hat und weiß, wie das Haus funktioniert. Ich habe natürlich auch viel über die Stadt gelernt und bin hier richtig angekommen. Wie international die Stadt ist, wusste ich im professionellen Sinne auch schon vorher – aber wenn man hier lebt, nimmt man es noch einmal ganz anders wahr, beispielsweise die Verankerung der chinesischen und der japanischen Gemeinde. Es ist kein Wunder, dass das Engagement internationaler Unternehmen hier so groß ist – hier finden sie eine internationale Basis und die Arbeitskräfte, die sie benötigen.
Die Düsseldorfer Wirtschaft ist recht international ausgerichtet. Ist es im Moment vergleichsweise hart, hier bei der IHK zu arbeiten?
NEUGART Ich glaube, das ist eine große Herausforderung für uns alle, und wir sind mit vielen Mitarbeitern Tag und Nacht für die Unternehmen im Einsatz. Wir haben eine Hotline für betroffene Firmen eingerichtet, die sehr gefragt sind, das Angebot wird daher noch einmal ausgebaut. Zumal jetzt die Soforthilfen für die Unternehmen angelaufen sind, da beraten die IHKs beim Ausfüllen der Formulare. Zusätzlich bieten wir zahlreiche Webinare mit Informationen an. Es macht aber übrigens auch Spaß, weil wir den Unternehmen oftmals helfen können. Ich würde sagen, ich bin hier gut aufgehoben.
Was sind denn die Hauptsorgen der Unternehmen?
NEUGART Im internationalen Bereich gibt es natürlich die Probleme,
die alle Unternehmen gerade haben. Sie müssen die Arbeit intern neu organisieren, weil sie viele Mitarbeiter ins Homeoffice schicken, sie müssen gleichzeitig ihre Produktion aufrechterhalten – oftmals in zwei Schichten, die nacheinander arbeiten und sich möglichst nicht begegnen sollen. Dazwischen wird dann alles hygienisch gereinigt, um die Ansteckungsgefahr zun minimieren. Dazu kommt natürlich, dass Aufträge verschoben oder storniert werden, dass Zahlungen ausbleiben und die Liquidität leidet. Einige Unternehmen sind auch schon
in Kurzarbeit gegangen.
Gibt es auch Probleme, die speziell die international agierenden Firmen betreffen?
NEUGART Die haben häufig das Problem, dass sie ihre internationalen Vertriebsbüros schließen mussten und daher gar nicht mehr wirklich an ihre Kunden im Ausland herankommen, sie schwer erreichen können. Die Lieferketten funktionieren auch nicht mehr wie gewohnt, so dass es einerseits schwerer wird, an die Rohstoffe und Vorprodukte zu kommen – und andererseits auch, die fertigen Produkte dann an die eigenen Kunden zu verschicken. Dazu kommt, dass man Mitarbeiter kaum noch entsenden kann, weil es Einreiseverbote und strikte Quarantäne-Bestimmungen gibt. Es ist aber wichtig zu sagen: es wird trotz aller widrigen Bedingungen nach wie vor produziert. Ich habe mit keinem Unternehmen gesprochen, das seine Produktion komplett eingestellt hätte. Und es wird noch exportiert.
Kann man das beziffern?
NEUGART Ich würde im Moment schätzen, das wir bei 75 Prozent des normalen Exportvolumens sind. Wir sind bei der IHK für die Ausstellung so genannter Ursprungszeugnisse zuständig, die für Exporte in viele Länder gebraucht werden – die sind für uns ein recht guter Indikator.
Und die Exporte kommen auch problemlos an?
NEUGART Der Warenverkehr ist grundsätzlich weiterhin frei, Lieferungen sind möglich. An den Grenzen gibt es durch die besonderen Umstände natürlich Verzögerungen, so dass Lieferungen per Lkw dauern können. Wir sehen gerade einen großen Boom bei der Luftfracht – auch weil es in China mehrere Wochen lang einen Produktionsstopp gab. Nun wird auf schnellere Wege gesetzt, um die Lieferketten für wichtige Teile und Produkte aufrechtzuerhalten.
Das klingt insgesamt positiver, als man denken könnte.
NEUGART Es wäre auf jeden Fall falsch anzunehmen, dass alles lahmgelegt ist. Die Auftragsbücher vieler Firmen sind zumindest im Moment auch noch gut gefüllt, auch wenn derzeit beispielsweise bei Investitionsgütern kaum noch neue Aufträge nachkommen. Dazu kommt, dass es einen Trend gibt, jetzt noch die Lager aufzufüllen, damit der erwartete Nachfrageschub bedient werden kann, wenn die aktuelle Phase vorbei ist.
Welche Unterschiede macht es, in welchen Ländern ein Unternehmen engagiert ist?
NEUGART Wegen der komplexen Lieferbeziehungen sind letztlich sehr viele Unternehmen betroffen. Klar ist, dass es in Italien und Spanien zur Zeit besonders schwierig ist, und viele blicken gerade mit wachsender Sorge auf die USA. Von Vorteil ist es aktuell definitiv für eine Firma, gut ausdifferenziert zu sein, also sowohl ein Netz verschiedener Lieferanten zu haben als auch unterschiedliche Kunden.
Das ist also eine Lehre aus der aktuellen Krise. Gibt es weitere?
NEUGART Viele Unternehmen haben sozusagen in Lichtgeschwindigkeit am Thema Digitalisierung gearbeitet, wenn sie sich damit bisher noch nicht umfassend genug befasst hatten. Es werden Videokonferenzen gemacht, man schaltet sich zusammen und merkt, dass es bei allen anfänglichen Schwierigkeiten eigentlich gut funktioniert. Ich kann mir gut vorstellen, dass mancher Unternehmer auch künftig hinterfragen wird, ob er wirklich jeden Monat in einen Flieger steigt, um eine Niederlassung im Ausland zu besuchen. Ganz wird der persönliche Kontakt dadurch aber meiner Meinung nach nicht ersetzt werden. Besonders schwierig wird es, wenn eine Dienstleistung erbracht werden muss – das geht einfach nicht immer aus der Distanz.
Die Erkenntnisse der Krise werden also nachwirken?
NEUGART Natürlich ist es zu früh, um das alles im Detail zu beurteilen, aber das Thema wird sicher präsent bleiben. Ebenso wie die Lieferketten: Viele Firmen haben nun deutlich vor Augen geführt bekommen, wie abhängig wir zumindest in Teilbereichen von Zulieferungen aus China sind. Einige werden versuchen, ihre Lieferketten zu differenzieren oder die Frage aufwerfen, welche Dinge wir künftig ganz oder teilweise wieder in Deutschland machen können. Auch das Thema 3D-Druck wird an Schwung gewinnen, weil es dabei helfen kann, bestimmte Dinge vor Ort zu fertigen.
Der Brexit war lange ein zentrales Thema für Düsseldorfer Firmen. Ist das nun komplett in den Hintergrund gerückt?
NEUGART Es ist richtig, dass man darüber gefühlt gerade viel weniger spricht, aber das Thema ist natürlich noch da. Die Briten haben sich bei der Frist für die Verhandlung eines neuen Freihandelsabkommens ja sehr deutlich festgelegt, und das war schon vor der Corona-Krise ambitioniert. Unter den gegenwärtigen Umständen fällt es mir schwer zu glauben, dass das tatsächlich bis zum Ende des Jahres unter Dach und Fach ist.
Wie sehr schadet die aktuelle Situation der Düsseldorfer Wirtschaft?
NEUGART Das ist im einzelnen wirklich noch nicht zu sagen, Wichtig ist vor allem, die Frage, wie lange die aktuelle Situation anhalten wird. Eine Perspektive zur Wiederbelebung der Wirtschaft ist wichtig – aber das ist Teil einer schwierigen Debatte, die in der Politik gerade geführt wird.