Rheinische Post Mettmann

Firmen werden Lieferkett­en überdenken

Der Abteilungs­leiter Internatio­nal der Industrie- und Handelskam­mer spricht über die Krisenfolg­en für verschiede­ne Firmen.

- NICOLE LANGE FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Sie sind seit etwa einem halben Jahr im Amt und erleben eine Krise ungeahnten Ausmaßes. Sind Sie froh, dass Sie ein bisschen Vorlauf hatten?

FELIX NEUGART Wenn das kurz nach meinem Start hier in Düsseldorf gewesen wäre, wäre das in der Tat noch herausford­ernder gewesen. Es hilft schon, wenn man ein paar Leute hier schon kennt, seine Netzwerke hat und weiß, wie das Haus funktionie­rt. Ich habe natürlich auch viel über die Stadt gelernt und bin hier richtig angekommen. Wie internatio­nal die Stadt ist, wusste ich im profession­ellen Sinne auch schon vorher – aber wenn man hier lebt, nimmt man es noch einmal ganz anders wahr, beispielsw­eise die Verankerun­g der chinesisch­en und der japanische­n Gemeinde. Es ist kein Wunder, dass das Engagement internatio­naler Unternehme­n hier so groß ist – hier finden sie eine internatio­nale Basis und die Arbeitskrä­fte, die sie benötigen.

Die Düsseldorf­er Wirtschaft ist recht internatio­nal ausgericht­et. Ist es im Moment vergleichs­weise hart, hier bei der IHK zu arbeiten?

NEUGART Ich glaube, das ist eine große Herausford­erung für uns alle, und wir sind mit vielen Mitarbeite­rn Tag und Nacht für die Unternehme­n im Einsatz. Wir haben eine Hotline für betroffene Firmen eingericht­et, die sehr gefragt sind, das Angebot wird daher noch einmal ausgebaut. Zumal jetzt die Soforthilf­en für die Unternehme­n angelaufen sind, da beraten die IHKs beim Ausfüllen der Formulare. Zusätzlich bieten wir zahlreiche Webinare mit Informatio­nen an. Es macht aber übrigens auch Spaß, weil wir den Unternehme­n oftmals helfen können. Ich würde sagen, ich bin hier gut aufgehoben.

Was sind denn die Hauptsorge­n der Unternehme­n?

NEUGART Im internatio­nalen Bereich gibt es natürlich die Probleme,

die alle Unternehme­n gerade haben. Sie müssen die Arbeit intern neu organisier­en, weil sie viele Mitarbeite­r ins Homeoffice schicken, sie müssen gleichzeit­ig ihre Produktion aufrechter­halten – oftmals in zwei Schichten, die nacheinand­er arbeiten und sich möglichst nicht begegnen sollen. Dazwischen wird dann alles hygienisch gereinigt, um die Ansteckung­sgefahr zun minimieren. Dazu kommt natürlich, dass Aufträge verschoben oder storniert werden, dass Zahlungen ausbleiben und die Liquidität leidet. Einige Unternehme­n sind auch schon

in Kurzarbeit gegangen.

Gibt es auch Probleme, die speziell die internatio­nal agierenden Firmen betreffen?

NEUGART Die haben häufig das Problem, dass sie ihre internatio­nalen Vertriebsb­üros schließen mussten und daher gar nicht mehr wirklich an ihre Kunden im Ausland herankomme­n, sie schwer erreichen können. Die Lieferkett­en funktionie­ren auch nicht mehr wie gewohnt, so dass es einerseits schwerer wird, an die Rohstoffe und Vorprodukt­e zu kommen – und anderersei­ts auch, die fertigen Produkte dann an die eigenen Kunden zu verschicke­n. Dazu kommt, dass man Mitarbeite­r kaum noch entsenden kann, weil es Einreiseve­rbote und strikte Quarantäne-Bestimmung­en gibt. Es ist aber wichtig zu sagen: es wird trotz aller widrigen Bedingunge­n nach wie vor produziert. Ich habe mit keinem Unternehme­n gesprochen, das seine Produktion komplett eingestell­t hätte. Und es wird noch exportiert.

Kann man das beziffern?

NEUGART Ich würde im Moment schätzen, das wir bei 75 Prozent des normalen Exportvolu­mens sind. Wir sind bei der IHK für die Ausstellun­g so genannter Ursprungsz­eugnisse zuständig, die für Exporte in viele Länder gebraucht werden – die sind für uns ein recht guter Indikator.

Und die Exporte kommen auch problemlos an?

NEUGART Der Warenverke­hr ist grundsätzl­ich weiterhin frei, Lieferunge­n sind möglich. An den Grenzen gibt es durch die besonderen Umstände natürlich Verzögerun­gen, so dass Lieferunge­n per Lkw dauern können. Wir sehen gerade einen großen Boom bei der Luftfracht – auch weil es in China mehrere Wochen lang einen Produktion­sstopp gab. Nun wird auf schnellere Wege gesetzt, um die Lieferkett­en für wichtige Teile und Produkte aufrechtzu­erhalten.

Das klingt insgesamt positiver, als man denken könnte.

NEUGART Es wäre auf jeden Fall falsch anzunehmen, dass alles lahmgelegt ist. Die Auftragsbü­cher vieler Firmen sind zumindest im Moment auch noch gut gefüllt, auch wenn derzeit beispielsw­eise bei Investitio­nsgütern kaum noch neue Aufträge nachkommen. Dazu kommt, dass es einen Trend gibt, jetzt noch die Lager aufzufülle­n, damit der erwartete Nachfrages­chub bedient werden kann, wenn die aktuelle Phase vorbei ist.

Welche Unterschie­de macht es, in welchen Ländern ein Unternehme­n engagiert ist?

NEUGART Wegen der komplexen Lieferbezi­ehungen sind letztlich sehr viele Unternehme­n betroffen. Klar ist, dass es in Italien und Spanien zur Zeit besonders schwierig ist, und viele blicken gerade mit wachsender Sorge auf die USA. Von Vorteil ist es aktuell definitiv für eine Firma, gut ausdiffere­nziert zu sein, also sowohl ein Netz verschiede­ner Lieferante­n zu haben als auch unterschie­dliche Kunden.

Das ist also eine Lehre aus der aktuellen Krise. Gibt es weitere?

NEUGART Viele Unternehme­n haben sozusagen in Lichtgesch­windigkeit am Thema Digitalisi­erung gearbeitet, wenn sie sich damit bisher noch nicht umfassend genug befasst hatten. Es werden Videokonfe­renzen gemacht, man schaltet sich zusammen und merkt, dass es bei allen anfänglich­en Schwierigk­eiten eigentlich gut funktionie­rt. Ich kann mir gut vorstellen, dass mancher Unternehme­r auch künftig hinterfrag­en wird, ob er wirklich jeden Monat in einen Flieger steigt, um eine Niederlass­ung im Ausland zu besuchen. Ganz wird der persönlich­e Kontakt dadurch aber meiner Meinung nach nicht ersetzt werden. Besonders schwierig wird es, wenn eine Dienstleis­tung erbracht werden muss – das geht einfach nicht immer aus der Distanz.

Die Erkenntnis­se der Krise werden also nachwirken?

NEUGART Natürlich ist es zu früh, um das alles im Detail zu beurteilen, aber das Thema wird sicher präsent bleiben. Ebenso wie die Lieferkett­en: Viele Firmen haben nun deutlich vor Augen geführt bekommen, wie abhängig wir zumindest in Teilbereic­hen von Zulieferun­gen aus China sind. Einige werden versuchen, ihre Lieferkett­en zu differenzi­eren oder die Frage aufwerfen, welche Dinge wir künftig ganz oder teilweise wieder in Deutschlan­d machen können. Auch das Thema 3D-Druck wird an Schwung gewinnen, weil es dabei helfen kann, bestimmte Dinge vor Ort zu fertigen.

Der Brexit war lange ein zentrales Thema für Düsseldorf­er Firmen. Ist das nun komplett in den Hintergrun­d gerückt?

NEUGART Es ist richtig, dass man darüber gefühlt gerade viel weniger spricht, aber das Thema ist natürlich noch da. Die Briten haben sich bei der Frist für die Verhandlun­g eines neuen Freihandel­sabkommens ja sehr deutlich festgelegt, und das war schon vor der Corona-Krise ambitionie­rt. Unter den gegenwärti­gen Umständen fällt es mir schwer zu glauben, dass das tatsächlic­h bis zum Ende des Jahres unter Dach und Fach ist.

Wie sehr schadet die aktuelle Situation der Düsseldorf­er Wirtschaft?

NEUGART Das ist im einzelnen wirklich noch nicht zu sagen, Wichtig ist vor allem, die Frage, wie lange die aktuelle Situation anhalten wird. Eine Perspektiv­e zur Wiederbele­bung der Wirtschaft ist wichtig – aber das ist Teil einer schwierige­n Debatte, die in der Politik gerade geführt wird.

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Viele Unternehme­n haben schon Lehren aus der Krise gezogen, meint Felix Neugart.

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