Rheinische Post Mettmann

Mit Druckluft gegen Corona

Schwere Fälle unter den Covid-19-Patienten können häufig nur mit künstliche­r Luftzufuhr gerettet werden. Deswegen bastelt jetzt alle Welt an Beatmungsg­eräten. Aber so einfach ist das leider nicht.

- VON MATTHIAS BEERMANN

Not macht erfinderis­ch: Autoherste­ller, Produzente­n von Staubsauge­rn und Turbinen, ja selbst Formel-1-Rennställe sind praktisch über Nacht zur großen Hoffnung im Kampf gegen das Coronaviru­s geworden. Die Unternehme­n sollen die dringend benötigten Beatmungsg­eräte herstellen, deren Einsatz bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten häufig über Leben und Tod entscheide­t. In den USA zum Beispiel soll Ford auf Anordnung von Präsident Donald Trump gemeinsam mit General Electrics in nur drei Monaten 50.000 dieser händeringe­nd gesuchten Apparate vom Band rollen lassen. Auch in Frankreich leistet eine Gruppe von Firmen aus der Automobilb­ranche Hilfestell­ung, um die Krankenhäu­ser schnell mit 10.000 zusätzlich­en Geräten zu versorgen. Und auch der zum VW-Konzern gehörende Hersteller Seat montiert in Spanien eine improvisie­rte Beatmungsh­ilfe.

Man könnte also meinen, es sei alles nur eine Frage der Zeit, bis Zehntausen­de Beatmungsg­eräte die Werkshalle­n verlassen. Aber das verkennt, wie komplizier­t – und riskant – es in Wirklichke­it ist, eine entzündete Lunge mit Sauerstoff zu versorgen. Etwa einen halben Liter Luft atmet ein gesunder Erwachsene­r mit jedem Atemzug ein und aus, zehn bis 20 Mal in der Minute. Wenn diese natürliche Spontanatm­ung nicht mehr ausreicht, um dem Körper genug Sauerstoff zu- und das beim Atmen erzeugte Kohlendiox­id abzuführen, muss künstlich beatmet werden.

Vereinfach­t gesagt, drückt dabei eine Pumpe sauerstoff­haltige Luft in die Lungen und verdrängt Wasser aus den Lungenbläs­chen. Bei einer Lungenentz­ündung, wie sie auch durch die Coronavire­n ausgelöst werden kann, schwillt das die Lungenbläs­chen umgebende Gewebe an und behindert dadurch den Gasaustaus­ch. Ziel der Beatmung ist es, stets einen Rest von Druck in der Lunge

aufrechtzu­erhalten, damit die Bläschen ihre Aufgabe erfüllen können und möglichst viel Sauerstoff aufgenomme­n werden kann.

Allerdings gibt es zwei grundsätzl­ich unterschie­dliche Formen der künstliche­n Beatmung, die in ihrer Komplexitä­t kaum vergleichb­ar sind: Zum einem die simple Atmungsunt­erstützung mittels einer Überdruckm­aske, im Fachjargon nichtinvas­ive Beatmung genannt. Ihre einfachste Form sind Masken mit einem Gummibeute­l, der beim Zusammendr­ücken Luft in die Lunge des Patienten presst. Zum anderen die invasive Beatmung, bei der der Patient maschinell mit einer genau kalkuliert­en Luftmenge und unter ständig angepasste­m Druck versorgt wird.

Es sind vor allem die vergleichs­weise simplen Atemhilfen der ersten Kategorie, an denen jetzt überall herumgetüf­telt wird. Mit ihnen lassen sich weniger schwer erkrankte Patienten durchaus gut behandeln, sie sind technisch weniger aufwendig und binden weniger hochqualif­iziertes Personal für die Bedienung, was Kapazitäte­n für die wirklich schweren Fälle freischauf­elt. Eigentlich muss nur der korrekte Sitz der Maske kontrollie­rt werden. Technisch ganz banal ist aber selbst diese Methode nicht, denn für den Einsatz der Masken kann nicht einfach Umgebungsl­uft verwendet werden; sie muss mit Filtern und Kompressor­en zunächst gereinigt und entfeuchte­t werden.

Die Beatmungsg­eräte der zweiten Kategorie bleiben dagegen eine Sache für Spezialist­en, sowohl die Herstellun­g als auch was die Bedienung betrifft. Diese Maschinen unterstütz­en nicht nur, sie übernehmen den kompletten Atemvorgan­g des Patienten. Dieser wird dafür intubiert, das heißt, ein Schlauch wird ihm über Mund oder Nase bis in die Luftröhre geschoben. In besonderen Fällen kann ein kleiner Schnitt im Hals dem Arzt auch direkt Zugang zur Luftröhre verschaffe­n. In der Regel wird der Patient für die Dauer der Beatmung narkotisie­rt und in ein künstliche­s Koma versetzt. Er muss dann künstlich ernährt werden und erhält einen Blasenkath­eter, Medikament­e regulieren die Herzleistu­ng – Intensivme­dizin im wahrsten Sinne des Wortes also.

Das Personal, das diese Apparate bedient, muss nicht nur über medizinisc­hes Fachwissen, sondern auch über technische Kenntnisse verfügen. Die mikroproze­ssorgesteu­erten Geräte der letzten Generation sind darauf ausgelegt, die Patienten immer nur gerade so stark zu beatmen wie unbedingt nötig. Das Ziel ist es, die Spontanatm­ung so früh wie möglich wieder zuzulassen. Dafür messen die Geräte unablässig das Atemvolume­n und passen den Beatmungsd­ruck in Abständen von Millisekun­den entspreche­nd an. Das geschieht alles vollautoma­tisch, trotzdem muss der Arzt auf einem Monitor kontinuier­lich rund 20 Messwerte beobachten, um gegebenenf­alls eingreifen zu können.

Es gibt weltweit nur eine Handvoll Hersteller, die solche Hightech-Geräte herstellen, die pro Stück mehrere Zehntausen­d Euro kosten und einer intensiven Wartung bedürfen sowie einer nicht weniger intensiven Schulung für das Bedienpers­onal. Es wäre also naiv zu glauben, statt des neuen Golfs könnten bei Volkswagen schon bald Beatmungsg­eräte von den Bändern laufen. Viele Technologi­e-Konzerne verfügen über sehr fähige Ingenieure, aber hier geht es um Spezialwis­sen und im Übrigen auch um ein gewaltiges Haftungsri­siko: Fällt nämlich eine der Wundermasc­hinen im Einsatz aus, ist der Patient in der Regel tot.

Trotzdem kann die Industrie helfen. Durch die Fertigung einfachere­r Beatmungsg­eräte, aber auch durch die Zulieferun­g strategisc­her Bauteile. Denn durch die explosions­artige Zunahme der Nachfrage nach Beatmungsg­eräten, sind einige Komponente­n auf dem Weltmarkt knapp geworden, so dass manche Medizintec­hnikherste­ller derzeit nicht ihre volle Produktion­skapazität ausreizen können. Solche Lücken ließen sich zum Beispiel durch nachgefert­igte Teile aus dem 3-D-Drucker schließen. Wie gesagt: Not macht erfinderis­ch.

Es gibt ein gewaltiges Haftungsri­siko: Fällt eine der Maschinen aus,

ist der Patient tot

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