Rheinische Post Mettmann

„Was immer Mitte-Konsens war, wird heute gern als links bezeichnet“

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Es ist nur eine Kurzbotsch­aft auf Twitter von einem Mann, dem auf diesem Kanal nur gut 100 Menschen folgen. Aber Maja Göpel lässt das nicht an sich abtropfen. Wer sich mit der Professori­n, Jahrgang 1976, anlegt, darf sich warm anziehen.

Der „Mystiker“und „Skeptiker“, wie sich der Absender bezeichnet, hat sich über die ZDF-Sendung „Aspekte“geärgert. Göpel war als Regierungs­beraterin zu Gast und sprach über Lehren aus der Corona-Krise. Vor diesem Ausnahmezu­stand sei die Idee doch undenkbar gewesen: „Einfach mal ganz viel Geld drucken und die Menschen alimentier­en damit ein Stück weit, ohne dass sie in dem Moment arbeiten gehen könnten“, sagt die Generalsek­retärin des Wissenscha­ftlichen Beirats „Globale Umweltverä­nderungen“der Bundesregi­erung, kurz WBGU. „Da haben wir jetzt gemerkt: Wow, es ist viel mehr möglich, als vorher immer erzählt wurde. Das ist doch der Spirit, den wir mitnehmen müssen, wenn wir die Gesellscha­ft verändern möchten.“Göpel will diesen „Spirit“jedenfalls für die Bewältigun­g der Klimakrise retten.

Der Skeptiker twittert: „Ihre Ideen sind linksradik­al. Mit was für Personal umgibt sich Merkel?“

Die Follower-Zahl der Beraterin der Bundesregi­erung auf Twitter ist seit der Veröffentl­ichung ihres Buchs „Unsere Welt neu denken“im Frühjahr auf mehr als 20.000 gestiegen.

Beraterin der Bundesregi­erung

Göpel schreibt dem Mann zurück: „Was eigentlich immer Mitte-Konsens war, also soziale Marktwirts­chaft und reale Wertschöpf­ung der Unternehme­n vor der Wertschöpf­ung durch Finanziers, wird heute gern als links bezeichnet.“Die kleine Attacke auf Twitter hätte kaum jemand bemerkt, wäre die Polit-Ökonomin nicht selbst darauf eingegange­n. Vielleicht macht sie das, weil sie das öfter hört mit dem Linksradik­alismus, wenn sie sich dafür einsetzt, Deutschlan­d möge sich vom „Höher-schneller-weiter-Kapitalism­us“abkehren und auf nachhaltig­es Wirtschaft­en umsteuern.

Mit ihrer Kapitalism­uskritik trifft sie offensicht­lich einen Nerv. Dabei erzählt sie davon schon lange. Göpel promoviert­e 2007 an den Unis Hamburg und Kassel in politische­r Ökonomie, von 2013 bis 2017 war sie Leiterin des Berliner Büros des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie und fokussiert­e sich auf das Feld der Nachhaltig­keitstrans­formatione­n. 2017 wurde sie WBGU-Generalsek­retärin. 2019 gründete sie mit anderen Wissenscha­ftlern zur Unterstütz­ung der Schülerpro­teste „Fridays for Future“die „Scientists for Future“.

Zum Gespräch über ihre Arbeit, ihre Zweifel, ihre Forderunge­n, die Parallelit­ät von Corona- und Klimakrise kommt sie in Jeans und Pulli. An der einen oder anderen Stelle wirkt sie etwas verkopft, was sie im nächsten Moment allerdings sehr eingängig wieder einfängt. Dabei sehr bedacht darauf, Männer und Frauen gleicherma­ßen – abwechseln­d – zu erwähnen. Ob es Zufall ist, dass die Frau bei dem Beispiel ganz gut und der Mann etwas dämlich wegkommt, sei dahingeste­llt. Jedenfalls erklärt sie: „Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir auf Krisen reagieren können, wenn wir sie nur verstehen. Jede versteht, dass sie krank werden kann, wenn ein Infizierte­r sie anhustet. Aber nicht jeder versteht den Zusammenha­ng zwischen Zu-viel-Fliegen und dem drohenden Untergang der Malediven. Das ist dann nur blöd, wenn man als deutscher Tourist irgendwann nicht mehr hinkann.“

Göpel sagt, wir alle verstünden, dass die Kurve der Zahl der Coronaviru­s-Infizierte­n abflachen müsse, um das Gesundheit­ssystem nicht zu überforder­n. „Hoffentlic­h verstehen die Menschen nun, dass auch die Kurve des CO2 abflachen muss, um die Aufnahmeka­pazität der Atmosphäre nicht zu überforder­n.“Das ist die Parallele zur nicht mehr beherrschb­aren Pandemie. Nur:

„Die Folgen sind viel gravierend­er als Corona, ein Zurück zu dem, was wir jetzt Normalzust­and nennen, gibt es dann auch nicht mehr.“

Göpel hat zwei Töchter. Ihrer Generation würde sie nur zu gern eine heile Welt hinterlass­en. „Wir sehen jetzt, was wichtig ist: Gesundheit, Versorgung­ssicherhei­t mit Einkommen und Lebensmitt­eln, ein sicheres Dach über dem Kopf und gute soziale Beziehunge­n.“Für viele Menschen sei die durch Homeoffice gewonnene Zeit für Kinder, Spaziergän­ge und Radtouren ein Gewinn. „Warum wäre es so schrecklic­h, weniger zu arbeiten und mehr Zeit zum Leben zu haben?“, fragt Göpel.

In der Krise wäre eine Prämie für Beschäftig­te der systemrele­vanten Berufe mit niedrigen Einkommen und hoher Infektions­gefahr das Minimum an Solidaritä­t, findet sie. „Die könnte durch eine Abgabe der höherverdi­enenden Menschen bezahlt werden, deren Jobs weiterlauf­en.“In Deutschlan­d drohe „der Selbststän­digen Verschuldu­ng und Arbeitslos­igkeit, während der Lufthansa-Pilot seine 15.000 Euro im Monat in Kurzarbeit behält – da bin ich lieber für ein verlässlic­hes Grundeinko­mmen für alle, deren Berufe stillgeleg­t sind“. Ein rotes Tuch für weite Teile der Union.

Göpel findet aber: „Wir müssen die Nachdenkli­chkeit und Aufbruchst­immung der Corona-Krise nutzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, um Neues auszuprobi­eren. Eine neue Gründerzei­t.“

Maja Göpel

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