„Was immer Mitte-Konsens war, wird heute gern als links bezeichnet“
BERLIN Es ist nur eine Kurzbotschaft auf Twitter von einem Mann, dem auf diesem Kanal nur gut 100 Menschen folgen. Aber Maja Göpel lässt das nicht an sich abtropfen. Wer sich mit der Professorin, Jahrgang 1976, anlegt, darf sich warm anziehen.
Der „Mystiker“und „Skeptiker“, wie sich der Absender bezeichnet, hat sich über die ZDF-Sendung „Aspekte“geärgert. Göpel war als Regierungsberaterin zu Gast und sprach über Lehren aus der Corona-Krise. Vor diesem Ausnahmezustand sei die Idee doch undenkbar gewesen: „Einfach mal ganz viel Geld drucken und die Menschen alimentieren damit ein Stück weit, ohne dass sie in dem Moment arbeiten gehen könnten“, sagt die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats „Globale Umweltveränderungen“der Bundesregierung, kurz WBGU. „Da haben wir jetzt gemerkt: Wow, es ist viel mehr möglich, als vorher immer erzählt wurde. Das ist doch der Spirit, den wir mitnehmen müssen, wenn wir die Gesellschaft verändern möchten.“Göpel will diesen „Spirit“jedenfalls für die Bewältigung der Klimakrise retten.
Der Skeptiker twittert: „Ihre Ideen sind linksradikal. Mit was für Personal umgibt sich Merkel?“
Die Follower-Zahl der Beraterin der Bundesregierung auf Twitter ist seit der Veröffentlichung ihres Buchs „Unsere Welt neu denken“im Frühjahr auf mehr als 20.000 gestiegen.
Beraterin der Bundesregierung
Göpel schreibt dem Mann zurück: „Was eigentlich immer Mitte-Konsens war, also soziale Marktwirtschaft und reale Wertschöpfung der Unternehmen vor der Wertschöpfung durch Finanziers, wird heute gern als links bezeichnet.“Die kleine Attacke auf Twitter hätte kaum jemand bemerkt, wäre die Polit-Ökonomin nicht selbst darauf eingegangen. Vielleicht macht sie das, weil sie das öfter hört mit dem Linksradikalismus, wenn sie sich dafür einsetzt, Deutschland möge sich vom „Höher-schneller-weiter-Kapitalismus“abkehren und auf nachhaltiges Wirtschaften umsteuern.
Mit ihrer Kapitalismuskritik trifft sie offensichtlich einen Nerv. Dabei erzählt sie davon schon lange. Göpel promovierte 2007 an den Unis Hamburg und Kassel in politischer Ökonomie, von 2013 bis 2017 war sie Leiterin des Berliner Büros des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie und fokussierte sich auf das Feld der Nachhaltigkeitstransformationen. 2017 wurde sie WBGU-Generalsekretärin. 2019 gründete sie mit anderen Wissenschaftlern zur Unterstützung der Schülerproteste „Fridays for Future“die „Scientists for Future“.
Zum Gespräch über ihre Arbeit, ihre Zweifel, ihre Forderungen, die Parallelität von Corona- und Klimakrise kommt sie in Jeans und Pulli. An der einen oder anderen Stelle wirkt sie etwas verkopft, was sie im nächsten Moment allerdings sehr eingängig wieder einfängt. Dabei sehr bedacht darauf, Männer und Frauen gleichermaßen – abwechselnd – zu erwähnen. Ob es Zufall ist, dass die Frau bei dem Beispiel ganz gut und der Mann etwas dämlich wegkommt, sei dahingestellt. Jedenfalls erklärt sie: „Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir auf Krisen reagieren können, wenn wir sie nur verstehen. Jede versteht, dass sie krank werden kann, wenn ein Infizierter sie anhustet. Aber nicht jeder versteht den Zusammenhang zwischen Zu-viel-Fliegen und dem drohenden Untergang der Malediven. Das ist dann nur blöd, wenn man als deutscher Tourist irgendwann nicht mehr hinkann.“
Göpel sagt, wir alle verstünden, dass die Kurve der Zahl der Coronavirus-Infizierten abflachen müsse, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. „Hoffentlich verstehen die Menschen nun, dass auch die Kurve des CO2 abflachen muss, um die Aufnahmekapazität der Atmosphäre nicht zu überfordern.“Das ist die Parallele zur nicht mehr beherrschbaren Pandemie. Nur:
„Die Folgen sind viel gravierender als Corona, ein Zurück zu dem, was wir jetzt Normalzustand nennen, gibt es dann auch nicht mehr.“
Göpel hat zwei Töchter. Ihrer Generation würde sie nur zu gern eine heile Welt hinterlassen. „Wir sehen jetzt, was wichtig ist: Gesundheit, Versorgungssicherheit mit Einkommen und Lebensmitteln, ein sicheres Dach über dem Kopf und gute soziale Beziehungen.“Für viele Menschen sei die durch Homeoffice gewonnene Zeit für Kinder, Spaziergänge und Radtouren ein Gewinn. „Warum wäre es so schrecklich, weniger zu arbeiten und mehr Zeit zum Leben zu haben?“, fragt Göpel.
In der Krise wäre eine Prämie für Beschäftigte der systemrelevanten Berufe mit niedrigen Einkommen und hoher Infektionsgefahr das Minimum an Solidarität, findet sie. „Die könnte durch eine Abgabe der höherverdienenden Menschen bezahlt werden, deren Jobs weiterlaufen.“In Deutschland drohe „der Selbstständigen Verschuldung und Arbeitslosigkeit, während der Lufthansa-Pilot seine 15.000 Euro im Monat in Kurzarbeit behält – da bin ich lieber für ein verlässliches Grundeinkommen für alle, deren Berufe stillgelegt sind“. Ein rotes Tuch für weite Teile der Union.
Göpel findet aber: „Wir müssen die Nachdenklichkeit und Aufbruchstimmung der Corona-Krise nutzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, um Neues auszuprobieren. Eine neue Gründerzeit.“
Maja Göpel