Gefördert mit EU-Geldern
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán kann zwar wie ein Diktator regieren, bekommt aber Milliarden aus dem Corona-Topf der EU.
BUDAPEST Seit Ende März regiert der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Kampf gegen das Coronavirus per Dekret. So hat es das Parlament in Budapest mit der Zweidrittelmehrheit von Orbáns rechtsnationaler Fidesz-Partei beschlossen, ohne eine Frist zu setzen. Doch der erste Aufschrei über die „diktatorische Ermächtigung“, von der die Opposition sprach und damit europaweit Gehör fand, ist längst verklungen. Noch Anfang April hatte sich der für Rechtsstaatlichkeit zuständige EU-Kommissar Didier Reynders „tief besorgt“über die Entwicklung gezeigt. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte damals finanzielle Konsequenzen wegen der „inakzeptablen“Einschränkung von Grundrechten. Drei Wochen später ist davon keine Rede mehr.
Im Gegenteil: Bei der Verteilung der ersten Corona-Hilfsgelder aus EU-Töpfen könnte sogar besonders viel Geld nach Budapest fließen. Das zumindest fürchten Abgeordnete des Europaparlaments. Demnach hat die Kommission bei der Umwidmung von 37 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt den Länderschlüssel für die Strukturhilfen zugrunde gelegt, von denen die jungen Mitgliedstaaten im Osten Europas am stärksten profitieren. So könne sich Orbán auf 5,6 Milliarden Euro aus dem Corona-Topf freuen, rechnete der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen vor. Italien dagegen müsse sich mit 2,3 Milliarden begnügen.
Andresens Fraktionskollege Daniel Freund sagt: „Wenn EU-Hilfen Autokraten stützen, wäre das ein Treppenwitz der Geschichte.“Er verweist zudem auf die jüngste Corona-Resolution des EU-Parlaments, in der die ungarische Notstandspolitik
Ende März während einer Fragestunde im Parlament: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.
als „völlig unvereinbar mit europäischen Werten“gebrandmarkt wird. Orbán und seine politischen Mitstreiter dagegen halten solche Angriffe für Auswüchse einer „in Qualität und Quantität frappierend intensiven Kampagne gegen Ungarn“. So formuliert es Peter Györkös, Orbáns Botschafter in Berlin.
Györkös wittert ein internationales „Fake-News-Monopol“, das schlicht falsch über die Entwicklung in Ungarn berichte. In Wirklichkeit sei die Notstandsgesetzgebung in seiner Heimat nicht nur verfassungskonform, sondern entspreche auch europäischen Regeln. Genau das werde die ungarische Regierung nach dem Ende der Corona-Pandemie notfalls auch beweisen. „Wir sehen der Debatte, die auf den Sieg über das Virus folgen wird, schon jetzt freudig entgegen“, erklärte Györkös kürzlich. Orbán selbst hat angekündigt, sich nach erfolgreichem Kampf gegen das Virus an die Spitze einer solchen Debatte stellen zu wollen.
Aber wer entscheidet, wann das Virus als besiegt gilt? Orbán und sein Botschafter Györgös verweisen darauf, dass das Parlament die Hoheit behalte. Es könne jederzeit beschließen, dass der Corona-Kampf erfolgreich war. In der Nationalversammlung verfügt der von Orbán autoritär geführte Fidesz allerdings über eine verfassungsändernde Mehrheit. Faktisch entscheidet also Orbán über das Pandemie-Ende. Und daran wird sich nach den geltenden Regeln auch nichts ändern, denn während der „Gefahrensituation“sind alle Wahlen ausgesetzt. Die für Grundwerte zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova erklärte, das Problem sei nicht der „Text des Notstandsgesetzes, sondern der Kontext“. Botschafter Györkös konterte: „Wenn es juristisch nichts auszusetzen
gibt, weshalb dann diese hysterische Kampagne?“
Offensichtlich fällt es der Kommission um Präsidentin Ursula von der Leyen, die ihre Wahl auch Orbáns Fürsprache verdankt, überaus schwer, die formaljuristische Argumentation mit klaren politischen Ansagen zu beantworten. Das gilt umso mehr in der Krisenlage, in der von der Leyen ihre wichtigste Aufgabe darin sieht, überhaupt ein Mindestmaß an europäischer Einheit herzustellen. Dafür aber wird jeder einzelne Mitgliedstaat gebraucht, nicht zuletzt im Ringen um die geplanten Finanzhilfen, von denen die Kommissionschefin früh sprach.
Vor diesem Hintergrund ist die Kritik an Orbáns Notstandspolitik in der EU zuletzt immer leiser geworden. In Ungarn selbst gibt es nicht einmal mehr nennenswerte kritische Fragen. In der neuesten Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“sackte das Land weiter ab und findet sich nun auf Platz 89 wieder. Fazit: Die ungarischen Medien sind unter Regierungskontrolle.
Mit 225 Corona-Toten bei 2168 Fällen ist die Sterberate in Ungarn höher als in vielen vergleichbaren Staaten.