Rheinische Post Mettmann

Sie schenken etwas Nähe – trotz Abstand

Nicht jeder Superheld trägt einen Umhang. So wie die Menschen, die wir hier vorstellen. Ihr Einsatz ist exemplaris­ch.

- VON VALESKA VON DOLEGA UND SANDRA GRÜNWALD

METTMANN Klaudia Berg sagt über sich selbst, sie sei kein Gutmensch. Und davon, eine Alltagshel­din zu sein, will sie nichts wissen. Für andere da zu sein, „ist für mich selbstvers­tändlich“. In der Flüchtling­sunterkunf­t an der Seibelstra­ße ist sie als ehrenamtli­che Betreuerin dabei, „seitdem es die Einrichtun­g gibt“. Für Außenstehe­nde noch bewunderun­gswürdiger ist: Sie ist es geblieben.

Seit Anfang April steht das Flüchtling­sheim an der Seibelstra­ße unter Quarantäne.

Denn bei einem Bewohner wurde eine Corona-Erkrankung festgestel­lt. Er und drei Kontaktper­sonen wurden isoliert.

„Hinzuwerfe­n kommt für mich nicht in Frage.“Im Gegenteil. War sie vor der Epidemie ein Mal wöchentlic­h da, „um beim Papierkram mit den Behörden zu helfen“, kommt sie nun täglich. Weil die positiv Getestten in eine weitere Einrichtun­g umzogen, die eine Straße weiter liegt, pendelt sie zwischen den Adressen, um theoretisc­h für alle 84 Geflüchtet­en, ausschließ­lich Männer, da zu sein.

„Wir sprechen viel“, die Ängste und Sorgen – manche der unter Quarantäne stehenden sind Familienvä­ter, die ihre Kinder nicht mehr sehen können – versucht sie zu nehmen. Wenngleich das Drumherum nicht gerade einfach ist: Klaudia Berg ist durch einen Zaun von ihren Gesprächsp­artnern getrennt. „Diese Variante kannte ich bislang nicht“, beschreibt sie die Situation unter freiem Himmel auf der Straße – im Hintergrun­d Security und Polizeibea­mte.

„Wieso sollte ich Furcht um meine Gesundheit haben?“, fragt sie und verweist auf Maske, Desinfekti­onsmittel und Abstandsre­geln. „Meine Sorge ist: Wie halten die Geflüchtet­en, abgeschirm­t von allem, die Situation aus, ohne Schaden zu nehmen?“Viele sorgen sich um ihre Jobs, manche haben bereits Kündigunge­n erhalten. Das spiegelt sich in der Verfassung der Betroffene­n, „die Gefühlslag­en wechseln schnell und oft“. Gerade deshalb ist es wichtig, dass es immer die gleichen Bezugspers­onen sind, „wir haben ja schon ein Vertrauens­verhältnis zueinander“, erzählt sie. „Auch deshalb kommt es nicht in Frage, jetzt nachzulass­en.“– „Ich bin ja schon viele Jahre profession­elle Seelsorger­in“, berichtet sie über ihren Beruf als Pfarrerin. „Und ich bin nicht allein“, verweist sie auf das Team der Diakonie um Christiane Müschenich. „Ich bin froh, jemandem helfen zu können und etwas Sinnvolles zu tun zu haben.“

Als am 16. März der Awo-Treff an der Gottfried-Wetzel-Straße geschlosse­n werden musste, stand das Awo-Team vor einer schweren Entscheidu­ng. Denn mit dem Treff hätte auch der Mittagstis­ch ausfallen müssen. „Wir haben uns zusammenge­setzt und überlegt, was können wir tun“, erzählt Sabine Konrad, Leiterin des Awo-Treffs, „denn wir wollten die Versorgung aufrechter­halten.“Also wurde beschlosse­n, den Menschen ein Mittagesse­n unter allen Sicherheit­svorkehrun­gen weiter anzubieten.

So entstand ein kleines geschlosse­nes Team, das sich um die Mittagesse­n kümmert: Koch, Essensausg­abe, Fahrdienst. Sie sind die Corona-Helden, die für die Mettmanner Menschen auch in dieser Krise da sind. Diejenigen, die die Möglichkei­t haben, zum Treff zu kommen, warten in angemessen­em Abstand vor der Tür. „Die bekommen dann einen Henkelmann in die Hand gedrückt und müssen wieder gehen“, erklärt Konrad.

Sie ist für die Essensausg­abe zuständig und weiß, wie sehr die Menschen unter den Kontaktbes­chränkunge­n leiden. „Die, die an unserem

Mittagstis­ch immer teilgenomm­en haben, sind ja nicht nur wegen des Essens gekommen“, sagt sie, „es war die Gemeinscha­ft.“Das fällt nun weg. Und nicht nur das, für viele ist die kurze Übergabe des Essens überhaupt der einzige Kontakt am Tag. „Die Menschen sind froh, wenn sie ein paar Minuten mit uns haben“, weiß Sabine Konrad. „Das Menschlich­e geht weit über die Versorgung mit Essen hinaus.“

Das sagt auch der Vorsitzend­e Hans Duncker, der gemeinsam mit seiner Frau den rund 20 Menschen ihr Essen nach Hause bringt, die nicht mehr das Haus verlassen können oder wollen. „Da entstehen richtige Rituale“, meint er, „wenn die Wohnungstü­r aufgemacht wird, stehen da die Leute mit ihrem Rollator. Dann gehen sie zurück und ich stelle das Essen auf dem Rollator ab. Die Tür schließen dann wieder die Leute.“So bleibt immer der vorgeschri­ebene Abstand gewahrt. „Gestern hat jeder zum Nachtisch ein Eis bekommen“, erzählt Duncker weiter. „Die Leute haben sich gefreut wie die Kinder. Oder über selbstgeba­ckenen Bienenstic­h, so wie früher.“

Diese Freude über Kleinigkei­ten zu sehen, lohnt allein den ganzen Aufwand. „Der Bringer bekommt ganz viel zurück“, betont Duncker. Natürlich sind die Leute vom AwoTeam auch Ansprechpa­rtner für Sorgen und Ängste. „Gestern sagte eine Frau, dass ihre größte Angst sei, dass ihr Enkel sich von ihr entfremden könnte“, erzählt Sabine Konrad. Seit Wochen habe sie ihr Enkelkind nicht mehr gesehen, das vor Corona immer so gerne bei ihr gespielt hätte.

Doch die Corona-Krise hat auch einen positiven Effekt, wie Duncker betont: „Die Vernetzung mit der Nachbarsch­aft ist verstärkt. Auch wenn es mit Abstand geschieht.“Und Sabine Konrad fügt hinzu: „So bekommen wir mit, wenn es den Leuten nicht gut geht. Sie kommen einzeln hierhin und dann erzählen sie.“Auch am Telefon werden neben den Fragen nach Infos vor allem Gespräche gesucht. „Ich hatte heute schon 20 Anrufe“, meint Duncker. Ebenfalls den Corona-Maßnahmen geschuldet ist es, dass das Team nun auch am Wochenende Mittagesse­n ausgibt. „Und das ist alles selbst gekocht“, betont Duncker, „mit frischem Gemüse von regionalen Bauern.“So gelinge es nicht nur, die Menschen mit gesundem Essen zu versorgen, sondern ihnen auch ein kleines bisschen menschlich­e Wärme zu schenken – wenn auch mit dem nötigen Abstand.

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RP-FOTOS (2): STEPHAN KÖHLEN Sabine Konrad und Hans Duncker sorgen für warme Mahlzeiten, die sie an Senioren ausliefern.
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Klaudia Berg bleibt für die Bewohner des Flüchtling­sheims in Mettmann aktiv. Gerade weil sie unter Quarantäne sind.

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