„Covid-19 ist eine sehr variable Krankheit“
Krankheit zu erklären. Mikrogerinnsel in der Lunge könnten der Grund sein, warum künstliche Beatmung vielen Patienten mit Sauerstoffmangel im Blut nicht hilft, sagt Cecilia Mirant-Borde, Intensivmedizinerin am Militärkrankenhaus in Manhattan. Die Gerinnsel blockierten die Blutzirkulation in der Lunge und damit die Sauerstoffversorgung.
Inzwischen ist auch klar, dass Covid-19 einen sogenannten Zytokinsturm auslösen kann, und diese Überreaktion des Immunsystems wird ebenfalls mit Thrombosen in Verbindung gebracht. Oder aber das Virus selbst verursacht die Blutgerinnsel, was auch bei anderen Viren vorkommt. Ein Artikel in der Zeitschrift „Lancet“beweist – vermutlich einer der wichtigsten Hinweise in jüngster Zeit –, dass das Virus die innere Zellschicht von Organen und Blutgefäßen, das sogenannte Endothel, infizieren kann, was ebenfalls zu Gerinnungsstörungen führt.
Ein interdisziplinäres Team des Universitätsspitals Zürich hat sich mit diesen systemischen Gefäßentzündungen genauer beschäftigt. Es wollte wissen, warum bei lungenkranken Patienten auch andere Organe versagen. Da vor allem ältere Patienten betroffen waren, gingen die Ärzte anfangs davon aus, dass die Belastung durch die Krankheit die Herzkreislaufprobleme in dieser Altersgruppe auslöst.
Das Virus schädigt auch die Gefäß-Innenwände
Bei Untersuchungen der Gewebeproben verstorbener Covid-19-Patienten gelang es der Pathologin Zsuzsanna Varga mit dem Elektronenmikroskop, Sars-CoV-2 erstmals direkt im Endothel sowie den dort durch das Virus ausgelösten Zelltod nachzuweisen. Das Endothel ist als Zellschicht eine Art Schutzschild in den Gefäßen, der verschiedene Prozesse in den Mikrogefäßen regelt und ausgleicht. Ist dieser Regelungsprozess gestört, kann dies beispielsweise Durchblutungsstörungen in den Organen oder in Körpergewebe auslösen, die zum Zelltod und damit zum Absterben dieser Organe oder Gewebe führen.
Die Forscher schlossen daraus, dass das Virus nicht wie bisher vermutet über die Lunge, sondern über bestimmte Andockstellen im Endothel die körpereigene Verteidigung direkt angreift, sich darüber verteilt und eine generalisierte Entzündung im Endothel auslöst, die dessen Schutzfunktion zum
Intensivmediziner
Erliegen bringt. Durch die Entzündung des gesamten Endothels im Körper (systemische Endothelitis genannt) werden tatsächlich all seine Regionen erfasst. Mit fatalen Folgen: Es entstehen schwere Mikrozirkulationsstörungen, die das Herz schädigen, jene Lungenembolien und Gefäßverschlüsse im Hirn und im Darmtrakt auslösen und zum Multiorganversagen bis zum Tod führen können.
Jüngere Menschen kommen mit der Attacke besser zurecht
Das Endothel jüngerer Patienten, haben die Schweizer Ärzte herausgefunden, kommt mit dem Angriff der Viren meistens gut zurecht. Anders die Patienten, die an Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronaren Herzkrankheiten leiden: Dies sind Erkrankungen, bei denen die Funktion des Endothels ohnedies eingeschränkt ist. Eine Infektion mit Sars-CoV-2 gefährdet diese Patienten besonders, weil bei ihnen in der Phase, in der sich das Virus am stärksten vermehrt, die ohnehin geschwächte Endothelfunktion noch weiter abnimmt.
Frank Ruschitzka, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich, glaubt somit, dass die Therapie bei Covid-19-Patienten an zwei Stellen ansetzen muss: „Wir müssen die Vermehrung der Viren in der aktivsten Phase hemmen und gleichzeitig das Gefäßsystem der Patienten schützen und nachhaltig stabilisieren.“
Uwe Janssens weist auf ein weiteres Kuriosum der Krankheit hin: den offenkundigen Kontrast zwischen subjektivem Krankheitsgefühl manches Patienten und seinen erschreckenden Blutwerten und Bildern. Da kommt mancher kaum beeinträchtigt ins Krankenhaus und wird sofort mit Alarm für die Intensivstation angemeldet. „Covid-19 ist eine sehr variable Krankheit, deren Bild extrem schnell kippen kann“, berichtet der Intensivmediziner. Tatsächlich besitzt die Lunge in den Anfangsstadien noch eine gute Dehnbarkeit und ist nur ein wenig überwässert, sie hat kaum Infiltrate; der Betroffene atmet noch weitgehend unangestrengt. Doch das ändert sich nicht selten von jetzt auf gleich. „Manchen Patienten schicken wir schon sehr früh durchs CT, um genaue Bilder zu bekommen.“
Spezielle Blutwerte geben schon früh genauen Aufschluss Die Blutwerte geben dann auch bei geringen Beschwerden schon Aufschluss, wohin die Reise im ungünstigsten Fall geht: in die sogenannte virale Sepsis mit Schock und Multiorganversagen. Vor allem die Entzündungswerte sind von enormer Wichtigkeit. Ein Parameter interessiert viele Ärzte besonders: die sogenannten Interleukine. Sie sind Ausdruck jenes Zytokinsturms, also hoher Konzentrationen bestimmter Eiweiße (Zytokine), die im Körper wie bei einem Unwetter mit heftigen Entzündungsreaktionen verbunden sind.
Hier aber haben die Ärzte eine therapeutische Antwort, die sie von einer anderen Krankheit kennen: der rheumatoiden Arthritis. Gegen diese Autoimmunkrankheit ist ein Medikament zugelassen, es heißt Tocilizumab. Das Medikament mit dem schwer auszusprechenden Namen zählt zur Gruppe der sogenannten monoklonalen Antikörper, die auch in der Krebstherapie oft segensreich wirken. Die künstlich erzeugten Eiweißmoleküle sind aus derselben Mutterzelle geklont und übernehmen dort strategische Therapieaufgaben, wo der Mensch allein nicht weiterkommt. Das Andocken etwa des Botenstoffs Interleukin-6 auf der Zelloberfläche kann durch Tocilizumab verhindert werden. Somit entfaltet es nicht seine volle, entzündungsfördernde Wirkung, und der gefährliche Zytokinsturm kann abflauen. Dieser Ansatz wird nun auch bei Patienten mit einem sehr schweren Covid-19-Krankheitsbild ausprobiert.
Intensivmediziner Uwe Janssens sagt: „Wir haben mit dieser Krankheit jetzt erst seit wenigen Wochen Kontakt. Das ist nicht viel Zeit zum Lernen. Aber wir Ärzte in Deutschland – das darf ich sagen – befinden uns auf einem sehr hohen Level.“Sein Blick in die Zukunft: „Für den Kampf gegen Covid-19 ist das eine sehr wichtige Ausgangslage.“
Prof. Uwe Janssens