Eine neue Normalität als Wende zum Besseren
Nach der Krise geht es nicht so weiter wie vorher – das ist eine eher triviale Erkenntnis, die auf persönliche Beziehungen genauso zutrifft wie auf globale Zusammenhänge. Reibung entsteht weniger bei der Frage, ob es anders weitergehen sollte, sondern wie genau. Während gerade die Corona-Einschränkungen nach und nach zurückgenommen werden, fehlen uns diese Antworten aber noch.
Von einer neuen Normalität ist in dieser Ausgabe die Rede, was an den Finanzmärkten ein eher negativ besetzter Begriff ist. Wenn die Kurse scharf gefallen sind und sich einpendeln, beschreibt dieses niedrigere Niveau die neue Normalität. Aber vielleicht ist ja gerade eine der Lehren aus der Pandemie, dass stetig steigende Kurse und ein ewig wachsendes Bruttoinlandsprodukt eben nicht alles sind. So könnte eine neue Normalität auch Hoffnung stiften.
Soziale Distanz zu halten, trotzdem zugewandt zu sein und auf sich und andere zu achten – das ist eine neu erlernte Tugend, die uns noch lange begleiten muss. Es ist normal geworden, das Gesicht hinter einer Maske zu verstecken, sich aus dem Weg zu gehen, Abstand zu halten, über Videochats zu kommunizieren und bei all dem dennoch so etwas wie Nähe zu finden. Und es muss normal bleiben, wenn die Menschen aus Homeoffice oder Kurzarbeit an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, wenn sie wieder shoppen oder essen gehen, ein Theater besuchen oder Sport treiben. ehr auf die anderen zu achten, hätte auch noch Wert, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Und daher gilt es, die Hierarchie unserer Berufswelt zu überdenken. Schon vor der Pandemie waren Pflegekräfte und medizinisches Personal offensichtlich unterbezahlt, und das muss sich ändern. Die Menschen, die in diesen und anderen Bereichen
Mals Heldinnen und Helden der Corona-Zeit gefeiert werden, verdienen den Applaus, aber dabei darf es nicht bleiben. Manches wird dann teurer, aber das sollte uns nicht abhalten, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
Billiger sind Benzin und Diesel geworden. Keine neue Normalität, sondern die gesunkene Nachfrage hat zu Niedrigpreisen von zeitweise weniger als einem Euro pro Liter geführt. Doch bleibt der Klimawandel auch nach der Pandemie die größte gesellschaftliche Herausforderung. Die notwendige neue Normalität muss also darin liegen, dauerhaft das geringere Verkehrsaufkommen der Lockdown-Zeiten auf den Straßen zu erreichen, und zwar ohne Verbote. Dann muss aber noch sehr viel für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr getan werden.
Der Verkehr ist zurückgegangen, die Digitalisierung hat sich radikal beschleunigt. Das gilt für die Kommunikation in den Unternehmen ebenso wie bei den Alltagsbedürfnissen der Menschen. Aber zum einen profitieren davon vor allem die amerikanischen Tech-Riesen, und zum anderen ist diese gigantische Paketflut alles andere als nachhaltig und sozial. Spätestens jetzt muss geklärt werden, welche Bedingungen für die Digitalisierung zu gelten haben und wie ihre volkswirtschaftlichen Kosten verteilt werden. Die Profite im Silicon Valley, die Schäden hier – das kann es nicht sein.
Die neue Normalität lässt sich also nicht nur im Sinne neuer Hygieneregeln begreifen, sondern als gesellschaftlicher Anspruch. Bei jeder Krise, ob persönlich oder weltgeschichtlich, sind sich zunächst alle einige, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Es gilt also, die Erkenntnisse und Vorsätze über die Strecke zu retten. Neue Normalität hieße in diesem Sinne, die Welt jetzt wirklich zu einem besseren Ort machen zu wollen – und sich dabei regelmäßig die Hände zu waschen.