Rheinische Post Mettmann

Eine neue Normalität als Wende zum Besseren

- VON MORITZ DÖBLER

Nach der Krise geht es nicht so weiter wie vorher – das ist eine eher triviale Erkenntnis, die auf persönlich­e Beziehunge­n genauso zutrifft wie auf globale Zusammenhä­nge. Reibung entsteht weniger bei der Frage, ob es anders weitergehe­n sollte, sondern wie genau. Während gerade die Corona-Einschränk­ungen nach und nach zurückgeno­mmen werden, fehlen uns diese Antworten aber noch.

Von einer neuen Normalität ist in dieser Ausgabe die Rede, was an den Finanzmärk­ten ein eher negativ besetzter Begriff ist. Wenn die Kurse scharf gefallen sind und sich einpendeln, beschreibt dieses niedrigere Niveau die neue Normalität. Aber vielleicht ist ja gerade eine der Lehren aus der Pandemie, dass stetig steigende Kurse und ein ewig wachsendes Bruttoinla­ndsprodukt eben nicht alles sind. So könnte eine neue Normalität auch Hoffnung stiften.

Soziale Distanz zu halten, trotzdem zugewandt zu sein und auf sich und andere zu achten – das ist eine neu erlernte Tugend, die uns noch lange begleiten muss. Es ist normal geworden, das Gesicht hinter einer Maske zu verstecken, sich aus dem Weg zu gehen, Abstand zu halten, über Videochats zu kommunizie­ren und bei all dem dennoch so etwas wie Nähe zu finden. Und es muss normal bleiben, wenn die Menschen aus Homeoffice oder Kurzarbeit an ihre Arbeitsplä­tze zurückkehr­en, wenn sie wieder shoppen oder essen gehen, ein Theater besuchen oder Sport treiben. ehr auf die anderen zu achten, hätte auch noch Wert, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Und daher gilt es, die Hierarchie unserer Berufswelt zu überdenken. Schon vor der Pandemie waren Pflegekräf­te und medizinisc­hes Personal offensicht­lich unterbezah­lt, und das muss sich ändern. Die Menschen, die in diesen und anderen Bereichen

Mals Heldinnen und Helden der Corona-Zeit gefeiert werden, verdienen den Applaus, aber dabei darf es nicht bleiben. Manches wird dann teurer, aber das sollte uns nicht abhalten, für mehr Gerechtigk­eit zu sorgen.

Billiger sind Benzin und Diesel geworden. Keine neue Normalität, sondern die gesunkene Nachfrage hat zu Niedrigpre­isen von zeitweise weniger als einem Euro pro Liter geführt. Doch bleibt der Klimawande­l auch nach der Pandemie die größte gesellscha­ftliche Herausford­erung. Die notwendige neue Normalität muss also darin liegen, dauerhaft das geringere Verkehrsau­fkommen der Lockdown-Zeiten auf den Straßen zu erreichen, und zwar ohne Verbote. Dann muss aber noch sehr viel für den öffentlich­en Nah- und Fernverkeh­r getan werden.

Der Verkehr ist zurückgega­ngen, die Digitalisi­erung hat sich radikal beschleuni­gt. Das gilt für die Kommunikat­ion in den Unternehme­n ebenso wie bei den Alltagsbed­ürfnissen der Menschen. Aber zum einen profitiere­n davon vor allem die amerikanis­chen Tech-Riesen, und zum anderen ist diese gigantisch­e Paketflut alles andere als nachhaltig und sozial. Spätestens jetzt muss geklärt werden, welche Bedingunge­n für die Digitalisi­erung zu gelten haben und wie ihre volkswirts­chaftliche­n Kosten verteilt werden. Die Profite im Silicon Valley, die Schäden hier – das kann es nicht sein.

Die neue Normalität lässt sich also nicht nur im Sinne neuer Hygienereg­eln begreifen, sondern als gesellscha­ftlicher Anspruch. Bei jeder Krise, ob persönlich oder weltgeschi­chtlich, sind sich zunächst alle einige, dass es so wie bisher nicht weitergehe­n kann. Es gilt also, die Erkenntnis­se und Vorsätze über die Strecke zu retten. Neue Normalität hieße in diesem Sinne, die Welt jetzt wirklich zu einem besseren Ort machen zu wollen – und sich dabei regelmäßig die Hände zu waschen.

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