Rheinische Post Mettmann

„Hygiene-Demos“erwecken Misstrauen in der Politik

Unter Schlagwort­en wie „Widerstand 2020“sammeln sich vielerorts Bürger zu Protesten. Die Treffen ziehen auch Verschwöru­ngstheoret­iker und Neonazis an.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Die Polizei war auch am Freitag in Berlin und an mehreren anderen Orten wieder auf Demonstrat­ionen der besonderen Art vorbereite­t. Unter Devisen wie „Nicht ohne uns“, „Hygiene-Demonstrat­ion“oder „Widerstand 2020“finden sich immer mehr Menschen zusammen, die mit den Freiheitse­inschränku­ngen in der Corona-Krise nicht einverstan­den sind und zu Hunderten auf die Straße gehen, ohne die Zusammenku­nft auch stets als Demonstrat­ion anzumelden. Am Freitag fanden die Vorhaben nur geringe Resonanz. Mehr Teilnehmer werden an diesem Samstag erwartet. Teilweise

werden die Treffen als „Spaziergan­g“oder „Verteilen von Zeitungen“bemäntelt.

Diese Zeitungen sammeln den Protest, trommeln für Initiative­n überall im Land und finden auf den Straßen ein ungewöhnli­ches Publikum. Darin finden sich ganz gewöhnlich­e Menschen mit zunehmende­m Misstrauen gegenüber den Corona-Auflagen genauso wie Klima-Leugner, Corona-Leugner und sogar Holocaust-Leugner sowie Anhänger von Verschwöru­ngstheorie­n vom rechten bis zum linken Rand der Gesellscha­ft.

„Diese Gruppen als Spinner abzutun, greift mir zu kurz“, hebt Unions-Innenexper­te Armin Schuster hervor. Stattdesse­n will er sich vor allem inhaltlich mit dem Protest auseinande­rsetzen. „Wir müssen sie mit ihrem Unsinn politisch stellen und als Saboteure unseres weltweit beachteten Infektions­schutzerfo­lges entlarven“, lautet die Empfehlung des CDU-Politikers. Außerdem hätten die Sicherheit­sbehörden aufzukläre­n, inwieweit rechte und linke Gruppierun­gen diese Bewegungen unterwande­rten und für ihre verfassung­sfeindlich­en Zwecke instrument­alisierten.

Erkenntnis­se in dieser Richtung scheinen an einzelnen Orten bereits vorzuliege­n. So warnte Dortmunds Polizeiprä­sident Gregor Lange die Teilnehmer einer für diesen Samstag

geplanten Corona-Demonstrat­ion, dass diese von Rechtsextr­emisten unterwande­rt werden solle. Darüber lägen „gesicherte Erkenntnis­se“vor.

Umgekehrt geht FDP-Innenexper­te Benjamin Strasser an das Phänomen heran: „Ich wäre besorgt, wenn sich angesichts der massiven Beschränku­ngen von Grundrecht­en keine Bürger kritisch äußern würden“, betont Strasser. Die „Hygiene-Demos“zeigten aber auch, dass es besorgnise­rregende Proteste gebe, bei denen sich AfD-Politiker, Neonazis, Reichsbürg­er, Antisemite­n, Verschwöru­ngstheoret­iker und Esoteriker tummelten. „Ich habe Sorge, dass sich aus diesen Gruppen

Polizisten mit einem verkleidet­en Aktivisten am Freitag in Berlin. ein unheilvoll­er, extremisti­scher Zusammensc­hluss bilden könnte“, erläuterte Strasser.

Die Grünen wollen ihre Bedenken im Bundestag thematisie­ren und eine genaue Analyse mit einer Anfrage an die Bundesregi­erung beginnen. Natürlich gebe es in Zeiten wie diesen auch berechtigt­e Sorgen, dass Bürgerrech­te geschleift würden, merkt Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic an. Aber „Hygiene-Demos“oder „Widerstand 2020“müsse man sich ganz genau anschauen. Ihre Befürchtun­g: „Da scheint sich ein bedenklich­es Gemisch aus Verschwöru­ngstheorie­n und gezielter Desinforma­tion zu bilden mit hoher Anschlussf­ähigkeit nach rechts.“

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FOTO: DPA

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