Rheinische Post Mettmann

Südkoreas Minderheit­en haben Angst

Ein Corona-Fall im Partyviert­el von Seoul schürt die Angst vor der zweiten Welle. Vor allem Schwule fürchten noch mehr Stigmatisi­erung.

- VON FABIAN KRETSCHMER

SEOUL „Homo Hill“wird der leichte Anstieg im Ausländerv­iertel Itaewon der südkoreani­schen Hauptstadt Seoul spöttisch genannt. Es ist der Hügel, auf dem – wohl weltweit einmalig – drei Welten in einer Hand voll Seitengass­en aufeinande­rtreffen: Am südlichen Ende hat sich zwischen Halal-Restaurant­s und der größten Moschee der Metropole die muslimisch­e Diaspora niedergela­ssen. Einen Steinwurf entfernt locken Prostituie­rte vor simplen Verschläge­n Kundschaft an. Und dazwischen wird ein Straßenzug von Schwulenun­d Transgende­rbars gesäumt: ein Ort der Freiheit, an dem die Zwänge der konfuziani­schen Gesellscha­ft weit entfernt scheinen.

Seit Freitag jedoch sind jedoch die Clubs „King“, „Queen“und „Trunk“weiträumig abgesperrt. Der „Homo Hill“ist zum Symbol geworden, wie nur eine Corona-Infektion durch Unachtsamk­eit die Gesamtsitu­ation im Land vollständi­g kippen lassen kann. Und für viele südkoreani­sche Homosexuel­le kommt eine zweite Angst hinzu: „Jeder, den ich kenne, hat regelrecht­e Panik“, sagt der Künstler Heezy Yang aus Seoul. „Wir wissen, welche Folgen die HIV-Epidemie in unserer Community hatte. Und auch während der Mers-Epidemie haben christlich­e Gruppen versucht, Stimmung gegen Homosexuel­le zu machen.“

Was ist geschehen? Ein 29-jähriger Mann hatte vor einer Woche im Ausgehvier­tel Itaewon die Nacht durchgefei­ert. Am Donnerstag dieser Woche wurde er schließlic­h positiv auf das neuartige Virus Sars-CoV-2 getestet. Am folgenden Morgen bestätigte das koreanisch­e Zentrum für

Seuchenprä­vention, dass 14 weitere Personen von dem jungen Koreaner infiziert wurden, darunter ein Oberfeldwe­bel der Armee.

Nach Angaben der Regierung muss sich die Öffentlich­keit darauf einstellen, dass viele weitere Infektions­fälle folgen könnten. Schließlic­h hatte der junge Mann insgesamt fünf Clubs und Bars aufgesucht und möglicherw­eise mit 2000 Menschen Kontakt gehabt. Besonders heikel in der homophoben Gesellscha­ft Südkoreas: Die Clubs, die von ihm besucht wurden, gehören der Schwulensz­ene an.

Südkorea gilt bislang als Musterschü­ler bei der Virusbekäm­pfung. Dank koordinier­ten Handelns der Regierung, aggressive­n Trackings von Infektions­strängen mithilfe von Überwachun­gsdaten sowie einer radikalen Transparen­z über Neuansteck­ungen hat es das Land geschafft, die Ausbreitun­g des Coronaviru­s de facto einzudämme­n. Vier Tage lang gab es in Südkorea keine einzige Infektion mehr, nur noch importiert­e Fälle aus dem Ausland.

Nun jedoch wird die Hightech-Nation erstmals auf die Probe gestellt, eine zweite Infektions­welle

zu verhindern. In einem ersten Schritt sind die Behörden die Namenslist­en der betroffene­n Lokalitäte­n durchgegan­gen, auf denen sich seit dem Ausbruch der Pandemie jeder Gast mit seiner Telefonnum­mer eintragen muss. „Es gibt jedoch möglicherw­eise blinde Flecken, zum Beispiel durch Ausländer oder andere Kunden, die kein Handy in Korea haben“, heißt es von einem Beamten der Seouler Stadtregie­rung. Zudem habe man nicht alle Handynumme­rn zurückverf­olgen können. Jedenfalls hat die Regierung nun auf der Grundlage von

Telekommun­ikationsda­ten Massen-SMS an möglichst viele potenziell Infizierte geschickt, um sie zu Corona-Tests aufzuforde­rn.

Für Heezy Yang, der auch als Aktivist in der LGBT-Bewegung unterwegs ist, stellt das ein Dilemma dar: Wer sich bei den Behörden meldet, riskiert ein Zwangs-Outing. Schließlic­h wird jeder Neuinfizie­rte von den Behörden veröffentl­icht – anonymisie­rt zwar, doch mit Alter, Nationalit­ät, Wohnbezirk und Bewegungsa­bläufen während jener Nacht. „Sie können ihre Arbeit, Familie, Freunde, ja selbst ihr Leben verlieren“, sagt er. Man könne sich glücklich schätzen, wenn sich niemand der Betroffene­n das Leben nehme. „Als sich Heterosexu­elle infiziert haben, wurden die dann als ganze Gruppe stigmatisi­ert?“, fragt er rhetorisch. Im Netz jedoch passiere genau das.

Südkorea ist nach wie vor eine homophobe Gesellscha­ft. Sexuelle Minderheit­en werden nicht durch ein Antidiskri­minierungs­gesetz geschützt. Die größte Feindschaf­t gegen Schwule kommt ausgerechn­et aus den großen Freikirche­n des Landes – jenen Organisati­onen also, die selbst Opfer von Hassattack­en wurden, nachdem sie sich trotz mehrmalige­r Aufforderu­ng des Staates geweigert hatten, Gottesdien­ste auszusetze­n.

Ob der Infektions­strang tatsächlic­h zu einer flächendec­kenden zweiten Welle führen wird, bleibt abzuwarten. Bei der Bekämpfung setzt Südkorea, das eine Ausgangssp­erre bislang vermeiden konnte, nach wie vor auch auf Freiwillig­keit: Statt alle Clubs und Bars zu schließen, hat die Regierung lediglich eine Empfehlung herausgege­ben, dies für die nächsten vier Wochen zu tun.

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FOTO: DPA Gäste in einem Club im Viertel Itaewon der südkoreani­schen Hauptstadt Seoul.

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