Laumann droht Fleisch-Industrie
Nachdem in einem Schlachtbetrieb im Kreis Coesfeld 129 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet wurden, musste der Betrieb schließen. Der Gesundheitsminister macht dafür auch die Strukturen der Industrie verantwortlich.
DÜSSELDORF Eines ist Karl-Josef Laumann wichtig: „Die Arbeitnehmer sind hier die Opfer.“Immer häufiger waren Arbeitsmigranten im Kreis Coesfeld positiv auf das Coronavirus getestet worden – woraufhin das örtliche Gesundheitsamt zielgerichtet den Schlachtbetrieb des Unternehmens Westfleisch untersuchte.
Das Ergebnis beendete dort den Versuch des von Ministerpräsident Armin Laschet forcierten Übergangs in eine „verantwortungsvolle Normalität“, bevor er richtig angefangen hat. Nachdem 151 der 1200 beschäftigten Personen positiv getestet wurden, musste nicht nur der Betrieb vorübergehend geschlossen werden. Die ab Montag vorgesehenen Lockerungen in der Gastronomie, bei Geschäften oder Fitnessstudios werden im Kreis Coesfeld vorerst auf den 18. Mai verschoben. Dies kündigte Laumann am Freitag auf einer Pressekonferenz an.
Drei Tage, nachdem die Ministerpräsidenten Bundeskanzlerin Angela Merkel weitreichende Lockerungen abgetrotzt hatten, muss nun bereits die von ihr installierte Notbremse gezogen werden: Sobald in einem Kreis mehr als 50 Infizierte auf 100.000 Einwohner kommen, so wurde vereinbart, müssen die Lockerungen verschärft werden. Dass es nun in NRW als erstes ausgerechnet einen Kreis trifft, der zum CDU-Bezirksverband Münsterland gehört, dem sowohl NRW-Gesundheitsminister Laumann als auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angehören, ist dabei kaum mehr als eine ironische Fußnote – zumal es auch auf einem Schlachthof
in Schleswig-Holstein zu einer Vielzahl von Infektionen kam.
Laumann macht daher für die Häufung der Fälle vor Ort auch die Strukturen in den Schlachtbetrieben verantwortlich, in denen oft Arbeiter aus Bulgarien oder Rumänien auf Basis von Werkverträgen arbeiten – und auf engem Raum leben. Als Konsequenz will NRW nun alle Mitarbeiter in Schlachtbetrieben auf das Coronavirus testen lassen. Gleichzeitig warnte Laumann die Schlachtbetriebe davor, auf Dinge wie Lohnfortzahlung zu verzichten: „Ich kann den Schlachthöfen nur raten, sich in dieser Situation sehr gut zu verhalten. Alles andere würde ihnen nicht gut bekommen.“Denn auch die notwendige Quarantäne sei für die Arbeiter mit vielen Entbehrungen verbunden. „Die wird nicht so stattfinden wie bei einer Familie im Münsterland, die Haus und Garten hat“, sagte er.
Bei ebenfalls häufig aus Osteuropa stammenden Saisonarbeitskräften bei der Spargel- oder Erdbeerernte soll nun noch einmal genauer kontrolliert werden, ob sie mit ausreichend Platz untergebracht sind, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Die Gewerkschaft NGG fordert hingegen weitergehende Maßnahmen. „Die flächendeckenden Tests müssen auch bei den Erntehelfern auf den Feldern und in allen anderen Branchen, wo vermehrt Saisonarbeiter im Einsatz sind, durchgeführt werden“, sagte Helge Adolphs, Chef der NGG im Münsterland. Zugleich nahm er Westfleisch in Schutz. „Mein Eindruck ist, dass das Unternehmen alles unternommen hat, um solch eine Ausbruchswelle zu verhindern”, erklärte Adolphs, der nach eigener Aussage im Austausch mit dem Betriebsrat steht. Auch die
Firma Tönnies, der größte Fleischverarbeiter des Landes, wehrte sich dagegen, alle Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen: „Wir wurden in der Ernährungsindustrie vor acht Wochen aufgefordert, während des Lockdowns weiter zu arbeiten, so wie Krankenhäuser, Pflegeheime und die Energieversorgung“, sagte ein Sprecher. Diesem Auftrag sei man nachgekommen – „bei dem Wissen, dass wir dadurch ein erhöhtes Infektionsrisiko haben“. Trotz erheblicher Maßnahmen bleibe wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen ein Restrisiko.
Für Verbraucher besteht offenbar kein Risiko einer Infektion durch den Verzehr von Fleisch, das in dem entsprechenden Betrieb verarbeitet wurde. Laut dem Bundesamt für Risikobewertung ist eine Übertragung über kontaminierte Lebensmittel unwahrscheinlich, weil Coronaviren einen lebenden menschlichen oder tierischen Wirt benötigen. Das Infektionsrisiko könne durch das Erhitzen von Lebensmitteln jedoch zusätzlich verringert werden. Auch Aldi Nord und Rewe verweisen auf diese Einschätzung. Der Handel zieht daher auch keine Fleischwaren aus dem Verkehr.