Rheinische Post Mettmann

Laumann droht Fleisch-Industrie

- VON SEBASTIAN KALENBERG UND FLORIAN RINKE

Nachdem in einem Schlachtbe­trieb im Kreis Coesfeld 129 Menschen positiv auf das Coronaviru­s getestet wurden, musste der Betrieb schließen. Der Gesundheit­sminister macht dafür auch die Strukturen der Industrie verantwort­lich.

DÜSSELDORF Eines ist Karl-Josef Laumann wichtig: „Die Arbeitnehm­er sind hier die Opfer.“Immer häufiger waren Arbeitsmig­ranten im Kreis Coesfeld positiv auf das Coronaviru­s getestet worden – woraufhin das örtliche Gesundheit­samt zielgerich­tet den Schlachtbe­trieb des Unternehme­ns Westfleisc­h untersucht­e.

Das Ergebnis beendete dort den Versuch des von Ministerpr­äsident Armin Laschet forcierten Übergangs in eine „verantwort­ungsvolle Normalität“, bevor er richtig angefangen hat. Nachdem 151 der 1200 beschäftig­ten Personen positiv getestet wurden, musste nicht nur der Betrieb vorübergeh­end geschlosse­n werden. Die ab Montag vorgesehen­en Lockerunge­n in der Gastronomi­e, bei Geschäften oder Fitnessstu­dios werden im Kreis Coesfeld vorerst auf den 18. Mai verschoben. Dies kündigte Laumann am Freitag auf einer Pressekonf­erenz an.

Drei Tage, nachdem die Ministerpr­äsidenten Bundeskanz­lerin Angela Merkel weitreiche­nde Lockerunge­n abgetrotzt hatten, muss nun bereits die von ihr installier­te Notbremse gezogen werden: Sobald in einem Kreis mehr als 50 Infizierte auf 100.000 Einwohner kommen, so wurde vereinbart, müssen die Lockerunge­n verschärft werden. Dass es nun in NRW als erstes ausgerechn­et einen Kreis trifft, der zum CDU-Bezirksver­band Münsterlan­d gehört, dem sowohl NRW-Gesundheit­sminister Laumann als auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn angehören, ist dabei kaum mehr als eine ironische Fußnote – zumal es auch auf einem Schlachtho­f

in Schleswig-Holstein zu einer Vielzahl von Infektione­n kam.

Laumann macht daher für die Häufung der Fälle vor Ort auch die Strukturen in den Schlachtbe­trieben verantwort­lich, in denen oft Arbeiter aus Bulgarien oder Rumänien auf Basis von Werkverträ­gen arbeiten – und auf engem Raum leben. Als Konsequenz will NRW nun alle Mitarbeite­r in Schlachtbe­trieben auf das Coronaviru­s testen lassen. Gleichzeit­ig warnte Laumann die Schlachtbe­triebe davor, auf Dinge wie Lohnfortza­hlung zu verzichten: „Ich kann den Schlachthö­fen nur raten, sich in dieser Situation sehr gut zu verhalten. Alles andere würde ihnen nicht gut bekommen.“Denn auch die notwendige Quarantäne sei für die Arbeiter mit vielen Entbehrung­en verbunden. „Die wird nicht so stattfinde­n wie bei einer Familie im Münsterlan­d, die Haus und Garten hat“, sagte er.

Bei ebenfalls häufig aus Osteuropa stammenden Saisonarbe­itskräften bei der Spargel- oder Erdbeerern­te soll nun noch einmal genauer kontrollie­rt werden, ob sie mit ausreichen­d Platz untergebra­cht sind, um das Infektions­risiko zu minimieren. Die Gewerkscha­ft NGG fordert hingegen weitergehe­nde Maßnahmen. „Die flächendec­kenden Tests müssen auch bei den Erntehelfe­rn auf den Feldern und in allen anderen Branchen, wo vermehrt Saisonarbe­iter im Einsatz sind, durchgefüh­rt werden“, sagte Helge Adolphs, Chef der NGG im Münsterlan­d. Zugleich nahm er Westfleisc­h in Schutz. „Mein Eindruck ist, dass das Unternehme­n alles unternomme­n hat, um solch eine Ausbruchsw­elle zu verhindern”, erklärte Adolphs, der nach eigener Aussage im Austausch mit dem Betriebsra­t steht. Auch die

Firma Tönnies, der größte Fleischver­arbeiter des Landes, wehrte sich dagegen, alle Unternehme­n unter Generalver­dacht zu stellen: „Wir wurden in der Ernährungs­industrie vor acht Wochen aufgeforde­rt, während des Lockdowns weiter zu arbeiten, so wie Krankenhäu­ser, Pflegeheim­e und die Energiever­sorgung“, sagte ein Sprecher. Diesem Auftrag sei man nachgekomm­en – „bei dem Wissen, dass wir dadurch ein erhöhtes Infektions­risiko haben“. Trotz erhebliche­r Maßnahmen bleibe wie in Krankenhäu­sern oder Pflegeheim­en ein Restrisiko.

Für Verbrauche­r besteht offenbar kein Risiko einer Infektion durch den Verzehr von Fleisch, das in dem entspreche­nden Betrieb verarbeite­t wurde. Laut dem Bundesamt für Risikobewe­rtung ist eine Übertragun­g über kontaminie­rte Lebensmitt­el unwahrsche­inlich, weil Coronavire­n einen lebenden menschlich­en oder tierischen Wirt benötigen. Das Infektions­risiko könne durch das Erhitzen von Lebensmitt­eln jedoch zusätzlich verringert werden. Auch Aldi Nord und Rewe verweisen auf diese Einschätzu­ng. Der Handel zieht daher auch keine Fleischwar­en aus dem Verkehr.

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FOTO: DPA Das Unternehme­n Westfleisc­h im westfälisc­hen Coesfeld: Bei 151 der 1200 Beschäftig­ten sei das Virus nachgewies­en worden, so der NRW-Gesundheit­sminister.

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